EuGH zur Auslegung der nicht-präferienziellen Ursprungsregeln in Anhang 22-01 UZK-DelVO

Urteil v. 21.09.2023, C-210/22, Stappert Deutschland

Sachverhalt/ Ausgangsverfahren beim FG Hamburg

Stappert Deutschland – eine Stahlhandelsgesellschaft – beantragte im Jahr 2017 beim Hauptzollamt Hannover eine Entscheidung über den Erlass einer verbindlichen Ursprungsauskunft (vUA-Entscheidung), um nahtlose Rohre aus nicht rostendem Stahl der Unterposition 7304 41 HS aus Südkorea einzuführen. Diese Rohre werden wie folgt hergestellt: In China werden in einem ersten Schritt massive Rohblöcke durch das Warmumformungsverfahren des Strangpressens (Warmumformung) hergestellt. Das so hergestellte Halbzeug (im Folgenden: Rohrluppen) gehört zur Unterposition 7304 49 HS. In einem zweiten Schritt werden die Rohrluppen nach Südkorea gebracht, wo sie kaltgewalzt und zu Rohren gezogen werden. Nach Ansicht von Stappert ist gemäß Art. 60 Abs. 2 UZK Südkorea als Ursprungsland der endgefertigten Rohre anzugeben. Dies hätte zur Folge, dass auf die Einfuhren dieser Rohre kein Antidumpingzoll erhoben werden müsste, was nicht der Fall wäre, wenn China das Ursprungsland wäre.

Mit seiner vUA-Entscheidung stellte das Hauptzollamt Hannover sodann fest, dass die Rohre denselben nicht-präferenziellen Ursprung hätten wie die Rohrluppen, d.h. China. Nach der Primärregel sei der Ursprung der Rohre nämlich anhand des Herstellungslandes der Rohrluppen zu bestimmen.

Diese Primärregel in Anhang 22-01 UZK-DelVO lautet wie folgt:

„CTH; oder Wechsel von Hohlprofilen der Unterposition 7304 49“

Im Anschluss an das erfolglose Einspruchsverfahren wandte sich Stappert an das Finanzgericht Hamburg. Dieses wiederum wandte sich mit seinem Vorlagebeschluss v. 02.03.2022, 4 K 160/18, an den Europäischen Gerichtshof und fragte diesen danach, ob der Begriff „Hohlprofile“ im Sinne der Primärregel Waren wie Rohrluppen umfasst. Sodann fragte das FG Hamburg danach, ob für den Fall, dass der Ursprung der betreffenden Rohre nicht nach der Hohlprofile-Ursprungsregel bestimmt werden sollte oder sich die Beantwortung der ersten Frage als unmöglich erweist, diese Ursprungsregel wegen fehlender Begründung, wegen fehlender Bestimmtheit oder wegen seiner Unvereinbarkeit mit Art. 60 Abs. 2 UZK ungültig ist. Schließlich fragte das FG Hamburg für den Fall, dass die Primärregel für ungültig erklärt werden sollte, soweit sie sich auf die Hohlprofile-Ursprungsregel bezieht, welche Regel des Unionsrechts dann anzuwenden wäre, um den Ursprung der betreffenden Rohre zu bestimmen.

Entscheidung durch den EuGH

Der EuGH führte zunächst aus, dass für die Anwendung der Primärregel als „Rohrluppen“ eingestufte Waren entweder „Rohre“ oder „Hohlprofile“ im Sinne von Kapitel 73 HS seien. Aus den dem EuGH vorliegenden Akten gehe hervor, dass die betreffenden Rohre, deren Einfuhr Stappert beabsichtige, aus Rohrluppen hergestellt worden seien, die unter den Begriff „Rohre“ im Sinne der Erläuterungen zu Kapitel 73 HS fielen, insbesondere soweit sie als gerade und von gleichmäßiger Wanddicke beschrieben würden. Als solche könnten diese Rohrluppen daher nicht unter den Begriff „Hohlprofil“ fallen, weder im Sinne von Kapitel 73 HS noch im Sinne der Primärregel.

Der EuGH führte weiter aus, dass der Ursprung der betreffenden Waren jedenfalls anhand des entscheidenden Kriteriums der „letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung“ der Waren zu bestimmen sei. Dieser Ausdruck sei so zu verstehen, dass er auf den Schritt der Herstellungsverfahrensverweise, in dem diese Waren ihre künftige Verwendung sowie besondere Eigenschaften und eine spezifische Beschaffenheit erlangen würden, die sie vorher nicht gehabt hätten und die nicht dazu bestimmt seien, später erhebliche qualitative Änderungen zu erfahren. Die gerichtliche Prüfung der Begründetheit einer Bestimmung eines Rechtsakts wie Anhang 22-01 der UZK-DelVO könne sich auf die Frage erstrecken, ob der Kommission unabhängig von einem Rechtsfehler unter Berücksichtigung der Umstände der betreffenden konkreten Situation bei der Durchführung von Art. 60 Abs. 2 UZK ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei. Daraus folge, dass die Kommission zwar bei der Anwendung der allgemeinen Kriterien von Art. 60 Abs. 2 UZK auf besondere Be- und Verarbeitungen über einen Beurteilungsspielraum verfüge. Sie dürfe jedoch ohne objektive Rechtfertigung nicht völlig verschiedene Lösungen für gleichartige Be- oder Verarbeitungsvorgänge vorsehen.

In Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht sei jedoch festzustellen, dass die Hohlprofile-Ursprungsregel eine Ungleichbehandlung begründe. Nach diesem Kriterium bestimme nämlich die Kaltumformung eines Erzeugnisses der Unterposition 7304 49 HS, dessen äußere und innere Querschnitte nicht dieselbe Form aufwiesen und das somit ein „Hohlprofil“ im Sinne der Erläuterungen zum HS zu dessen Kapitel 73 darstelle, in ein Erzeugnis mit den gleichen Formen, dessen Eigenschaften aber aufgrund dieser Formgebung unterschiedlich seien und das somit auch ein „Hohlprofil“ im Sinne dieser Erläuterungen darstelle, den Ursprung des Enderzeugnisses, so dass dieses als Ergebnis einer „wesentlichen Be- oder Verarbeitung“ im Sinne von Art. 60 Abs. 2 UZK gelte.

Hingegen bestimme die Kaltumformung eines ebenfalls zu Unterposition 7304 49 HS gehörenden Erzeugnisses, das ein konzentrisches Hohlerzeugnis mit einem Querschnitt derselben inneren und äußeren Form sei und somit ein „Rohr“ im Sinne der Erläuterungen zum HS zu dessen Kapitel 73 darstelle, in ein Erzeugnis mit denselben Formen, dessen Eigenschaften aber aufgrund dieser Formgebung auch unterschiedlich seien und das somit ein anderes „Rohr“ im Sinne dieser Erläuterungen darstelle, nicht den Ursprung des Enderzeugnisses. Nach der Hohlprofile-Ursprungsregel gelte somit nur das letztgenannte Erzeugnis nicht als das Ergebnis einer wesentlichen Verarbeitung im Sinne von Art. 60 Abs. 2 UZK.

Da die Kommission keine überzeugende Rechtfertigung zur objektiven Erklärung der unterschiedlichen Behandlung von Rohren auf der einen und Hohlprofilen auf der anderen Seite, die alle zur Unterposition 7304 41 HS gehörten und aus Erzeugnissen der Unterposition 7304 49 HS hergestellt worden seien, angeführt habe, erscheine es widersprüchlich und diskriminierend, dass nach der Primärregel die Kaltumformung den Ursprung von Hohlprofilen unter Rückgriff auf ein alternatives Kriterium bestimmen könne, während die gleiche Art der Umformung, sofern sie bei Rohren angewandt würde, deren Ursprung nur unter Rückgriff auf ein einziges, erheblich strengeres Kriterium bestimmen könne.

In diesem Zusammenhang sei festzustellen, dass die Primärregel ungültig sei, soweit sie es ausschließe, dass bestimmte Tätigkeiten einem Erzeugnis die Eigenschaft eines Erzeugnisses mit Ursprung in dem Land, in dem diese Tätigkeiten stattgefunden hätte, verliehen, obwohl entsprechende Tätigkeiten den Ursprungserwerb für ähnliche Erzeugnisse bestimmten.

Der EuGH gelangte daher zu folgendem Ergebnis:

1. Die Primärregel für Waren der Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren in Anhang 22-01 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1063 der Kommission vom 16. Mai 2018 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Hohlprofil“ im Sinne dieser Regel eine warmverformte „Rohrluppe“, gerade und von gleichmäßiger Wanddicke, die die Anforderungen einer technischen Norm für nahtlose warmgefertigte Rohre aus nicht rostendem Stahl nicht erfüllt und aus der durch Kaltverarbeitung Rohre mit anderem Querschnitt und anderer Wanddicke hergestellt werden, die unter die Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren fallen, nicht erfasst.

2. Die Primärregel für Waren der Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems zur Bezeichnung und Codierung der Waren in Anhang 22-01 der Delegierten Verordnung 2015/2446 in der durch die Delegierte Verordnung 2018/1063 geänderten Fassung ist ungültig, soweit sie es ausschließt, dass der Wechsel der Tarifposition, der sich aus der Verarbeitung von Rohren der Unterposition 7304 49 des Harmonisierten Systems zu kaltgezogenen oder kaltgewalzten Rohren und Hohlprofilen, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl der Unterposition 7304 41 des Harmonisierten Systems, ergibt, letzteren die Eigenschaft von Erzeugnissen mit Ursprung in dem Land verleiht, in dem dieser Wechsel stattgefunden hat.

Praxishinweis

Die Entscheidung des EuGH ist gerade für Importeure nahtloser Rohre aus rostfreiem Stahl spannend, die mit Antidumpingzöllen gemäß der Durchführungsverordnung 2018/330 belastet werden.

Die Thematik ist aber auch über den konkreten Sachverhalt hinaus für die Auslegung des Anhangs 22-01 UZK-DelVO von Bedeutung. Die Entscheidung „Stappert Deutschland“ verdeutlicht, dass es auch für die Auslegung der Regeln des Anhangs 22-01 UZK-DelVO weiterhin auf die Vereinbarkeit dieser produktspezifischen Ursprungsregeln mit den Besonderheiten des konkreten Herstellungsprozesses und den Kriterien des Art. 60 Abs. 2 UZK, dabei speziell mit dem Merkmal der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung, ankommt. Kann die Europäische Kommission also den Erlass einer produktspezifischen Ursprungsregel nicht mit sachgerechten Kriterien begründen, die am Merkmal der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung gem. Art. 60 Abs. 2 UZK orientiert sind, so wird dies dazu führen, dass ihr ein Beurteilungsfehler zur Last gelegt und die betreffende Ursprungsregel für ungültig erklärt wird.


Link:

Urteil Stappert Deutschland

Quelle:

Gerichtshof der Europäischen Union

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