BFH zum Konkurrenzverhältnis mehrerer Steuerbefreiungen für den Vorsteuerabzug

BFH, Urt. v. 22.08.2013 – V R 30/12

Praxisproblem

Ein im Inland steuerbarer Umsatz kann nach §§ 4 ff UStG unter bestimmten Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit sein. Ist eine Leistung steuerfrei, so kann dies Auswirkungen auf das Recht des Unternehmers zum Vorsteuerabzug haben. So führt die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 17 UStG insgesamt gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG zum Verlust des Vorsteuerabzugs.
Gem. § 15 Abs. 3 UStG tritt der Ausschluss vom Vorsteuerabzug allerdings in bestimmten Fallgruppen nicht ein, so dass der Vorsteuerabzug trotz Steuerbefreiung geltend gemacht werden kann. Zu diesen Fallgruppen gehören die nach § 4 Nr. 1 Buchst. b) i.V.m. § 6a UStG steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen.


Ist nun in einem Sachverhalt nicht nur die Steuerbefreiung für die Lieferung menschlicher Organen, sondern auch die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen anwendbar, so stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Steuerbefreiungen zueinander stehen.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens vor dem BFH war die streitige Frage, ob der Vorsteuerabzug für Lieferungen von Blutplasma von Deutschland in das übrige Gemeinschaftsgebiet ausgeschlossen ist, weil die Lieferung von Blutplasma im Inland bereits gem. § 4 Nr. 17 Buchst. a) UStG steuerfrei ist.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine gemeinnützige GmbH, die in den Streitjahren 2001 und 2002 Blutplasma in das übrige Gemeinschaftsgebiet lieferte. Das Finanzamt war im Rahmen einer nachfolgenden Prüfung der Ansicht, dass es sich bei den Lieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet um Reihengeschäfte gehandelt habe, in deren Umfang die Lieferungen der Klägerin nicht gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG steuerfrei seien, sondern vielmehr die Steuerbefreiung gen. § 4 Nr. 17 Buchst. a) UStG zur Anwendung komme - die allerdings den Vorsteuerabzug ausschließt. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass ihr der Vorsteuerabzug für die Lieferung des Blutplasma zustehe. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.


Das FG entschied, dass die Klägerin, selbst wenn innergemeinschaftliche Umsätze vorlägen, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Sofern ein Vorsteuerabzug bei Blutplasmalieferungen im Inland nicht in Betracht komme, bestehe auch bei Blutplasmalieferungen, die als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei seien, kein Recht auf Vorsteuerabzug. Die Klägerin macht deshalb mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend.

Entscheidung

Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Lieferung von Blutplasma in das Ausland berechtigt die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug.


Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Der Vorsteuerabzug ist jedoch für diejenigen Leistungen gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Von diesem Ausschluss des Rechts auf Vorsteuerabzug besteht in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b) UStG eine Gegenausnahme. Danach ist der Unternehmer soweit zum Vorsteuerabzug berechtigt, als er Eingangsleistungen für Zwecke der dort aufgeführten steuerfreien Umsätze zu verwenden beabsichtigt. Zu diesen Umsätzen zählen die nach § 4 Nr. 1 Buchst. b) i.V.m. § 6a UStG steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen, nicht aber z.B. die nach § 4 Nr. 17 Buchst. a) UStG steuerfreie Lieferung von menschlichem Blut im Inland.


In Übereinstimmung mit den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 07.12.2006, C-240/05, Eurodental, HFR 2007, 176, hat der BFH entschieden, dass dem Unternehmer kein Recht auf Vorsteuerabzug zustehe, wenn er Leistungen für die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen bezieht, deren Lieferung im Inland steuerfrei ist. Ausgangspunkt dieser Rechtsauffassung ist die Systematik der Steuerbefreiungen, wie sie in der (im streitgegenständlichen Fall anwendbaren) Richtlinie 77/388/EWG vorgegeben sind. Danach haben die spezifischen Steuerbefreiungen des Art. 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG Vorrang vor denjenigen, die auf die von der Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Steuerbefreiungen betreffend innergemeinschaftliche Umsätze anwendbar sind. Dieses Spezialitätsverhältnis findet auch bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 15 Abs. 3 UStG Anwendung, da der Wortlaut der Vorschrift einer solchen Auslegung nicht entgegensteht. Da die Vorschrift des § 4 Nr. 17 Buchst. a) UStG auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 77/388/EWG beruht, gilt insoweit das Vorrangverhältnis der speziellen Steuerbefreiungen vor den allgemeinen Steuerbefreiungen für die innergemeinschaftlichen Umsätze. Daraus folgt, dass die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, selbst wenn sie eine innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt hat, da die Lieferung von Blutplasma im Inland bereits nach § 4 Nr. 17 Buchst. a) UStG steuerfrei ist.


Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der an dem Urteil des EuGH, C-240/05, Eurodental, HFR 2007, 176, geäußerten Kritik, da der dort entschiedene Sachverhalt nicht mit dem vorliegend entschiedenen Sachverhalt übereinstimme. Ob auch ein Konkurrenzverhältnis zwischen Steuerbefreiungen für Inlandslieferungen und Ausfuhrlieferungen besteht, brauchte der BFH nicht zu entscheiden.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BFH verdeutlicht, dass Steuerbefreiung nicht gleich Steuerbefreiung bedeutet, sondern die hinter den Regelungen stehende Systematik bei jeder Tatbestandsverwirklichung berücksichtigt werden muss. Nach der Systematik und Zielsetzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist mithin entscheidend, dass zwischen den Steuerbefreiungen ein Spezialitätsverhältnis besteht. Soweit ein Steuerpflichtiger, der eine Steuerbefreiung in Anspruch nimmt, nicht zum Abzug der Vorsteuer berechtigt ist, kann der Vorsteuerabzug nicht deshalb gewährt werden, weil der betreffende Umsatz innergemeinschaftlichen Charakter hat. Insoweit sind die Regelungen über die Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug abschließend.