BFH zur Umsatzsteuerbefreiung privater Arbeitsvermittler

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 29.7.2015 XI R 35/13; private Arbeitsvermittler können sich für ihre an Arbeitsuchende mittels eines Vermittlungsgutscheins nach § 421g SGB III erbrachten Vermittlungsleistungen unmittelbar auf Gemeinschaftsrecht berufen.

Praxisproblem

Private Arbeits- und Arbeitnehmervermittlung ist grundsätzlich eine steuerbare und steuerpflichtige Leistung. Insbesondere die private Arbeitsvermittlung noch bzw. bereits beschäftigter Arbeitnehmer („Head-Hunting“) ist umsatzsteuerpflichtig. Private Arbeitsvermittlung kann unter besonderen Umständen jedoch auch eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung sein, die steuerfrei zu belassen ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat für bei ihr gemeldete arbeitslose Empfänger von Arbeitslosengeld I/II unter bestimmten Voraussetzungen das Wiedereingliederungsinstrument des sog. Vermittlungsgutscheins vorgesehen. Mit diesem Vermittlungsgutschein können Arbeitsuchende auf Kosten der Arbeitsagentur private Arbeitsvermittlungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Arbeitsagentur zahlt den privaten Arbeitsvermittlern nach erfolgreicher Vermittlung die Vergütung, die den Arbeitsvermittlern grundsätzlich gegen den vermittelten Arbeitssuchenden zusteht. Die gesetzlich der Höhe nach gedeckelte Vergütung wird i.H.v. 1.000 € nach einer sechswöchigen und der Restbetrag i.H.v. weiteren 1.000 € nach einer sechsmonatigen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt. Für derartige Leistungen an Arbeitssuchende, die die Arbeitsagentur bezahlt, hat der BFH nunmehr die Steuerfreiheit in Altfällen vorgesehen.

Sachverhalt

Die Klägerin erbrachte in den Besteuerungszeiträumen 2004 bis 2006 Leistungen als Arbeitsvermittlerin. Ihre Leistungen bestanden darin, Arbeitsuchende durch Vermittlung eines geeigneten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu schloss die Klägerin einen „Vermittlungsvertrag“ mit dem jeweiligen Arbeitsuchenden ab, in dem sie sich verpflichtete, diesen mittels ihres Internetsystems bei der Erstellung eines umfassenden Bewerberprofils zu unterstützen und ihm nach Erstellung des Bewerberprofils geeignete Stellen vorzuschlagen. Die Leistung der Klägerin umfasste neben der Erstellung des Profils der beruflichen Fähigkeiten des Bewerbers und der Suche nach geeigneten Arbeitsplätzen außerdem ein individuelles Bewerbungstraining, die Optimierung der Bewerbungsunterlagen, die Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch sowie die Vor- und Nachbereitung von Bewerbungen. Der Arbeitsuchende verpflichtete sich zur Zahlung eines Vermittlungshonorars in bestimmter Höhe; der Anspruch darauf entstand mit Abschluss des Arbeitsvertrages zwischen ihm und einem von der Klägerin vorgeschlagenen Unternehmen. Außerdem bestätigte er u.a., dass er seit mehr als drei Monaten arbeitslos gemeldet und im Besitz eines von seinem zuständigen Arbeitsamt erteilten Vermittlungsgutscheins sei. Er verpflichtete sich, der Klägerin im Fall einer erfolgreichen Vermittlung eine von dem neuen Arbeitgeber ausgefüllte und unterschriebene Vermittlungsbestätigung zurückzugeben und wurde darauf hingewiesen, dass die Klägerin diese Bestätigung und den Vermittlungsgutschein dem Arbeitsamt vorlegen müsse, weil andernfalls die Vermittlungsprovision nicht vom Arbeitsamt gezahlt werde. Ein vertragliches Verhältnis zwischen der Klägerin und der Bundesagentur für Arbeit (BA) bestand nicht.

Nach erfolgreicher Vermittlung beantragte die Klägerin bei der BA mit einem von dieser herausgegebenen Vordruck unter Vorlage der Vermittlungsbestätigung und des Vermittlungsgutscheins die direkte Zahlung der vereinbarten Vermittlungsprovision gem. § 421g Abs. 2 Satz 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) durch die BA. Die Klägerin behandelte die ihr daraufhin von der BA gezahlten Vermittlungsprovisionen als Entgelte für umsatzsteuerfreie Leistungen.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, dass die Klägerin die Arbeitsvermittlungsleistungen zu Recht als steuerfrei behandelt hat. Die Klägerin, deren Leistungen in den Streitjahren nach nationalem Recht zwar nicht von der Umsatzsteuer befreit waren, kann sich aber unmittelbar auf die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g) der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung berufen.

Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g) der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedsstaaten von der Steuer die „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen [...] durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedsstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“. Bei den streitgegenständlichen Leistungen der Klägerin handelt es sich unstreitig um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Umsätze (vgl. die Gesetzesbegründung zu dem ab 2015 geltenden § 4 Nr. 15b UStG, BTDrucks 18/1529, S. 76).

Außerdem war die Klägerin in den Jahren 2004 bis 2006 mit den streitgegenständlichen Umsätzen auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen. Die Anerkennung der Klägerin als Einrichtung mit sozialem Charakter folgt aus der in § 421g und § 296 SGB III geregelten Kostenübernahme durch die BA. Durch beide Vorschriften wurde arbeitslosen Leistungsbeziehern die Möglichkeit eröffnet, auf Kosten des Arbeitsamtes einen (privaten) Vermittler zu beauftragen. Dieses Verfahren trat an die Stelle der ansonsten kostenfreien Vermittlung durch die BA selbst. Nach § 421g Abs. 1 SGB III (in der in den Streitjahren 2004 und 2005 geltenden Fassung) haben bestimmte Personen Anspruch auf Erteilung eines Vermittlungsgutscheins gegenüber der BA (Satz 1). Mit diesem Vermittlungsgutschein verpflichtet sich die BA, den Vergütungsanspruch eines vom Anspruchsberechtigten eingeschalteten Vermittlers, der diesen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich vermittelt hat, zu erfüllen. Die Zahlung erfolgt unmittelbar an den Vermittler. Die Klägerin hat in allen streitgegenständlichen Fällen Zahlungen der insoweit als Träger der sozialen Sicherheit handelnden BA aufgrund von Vermittlungsgutscheinen erhalten. Die Kosten wurden demgemäß in vollem Umfang – aufgrund eines entsprechenden öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Zahlungsanspruchs – tatsächlich von einer Einrichtung der sozialen Sicherheit übernommen. Das reicht für eine Anerkennung i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g) der Richtlinie 77/388/EWG aus.

Einer Anerkennung der Klägerin steht auch nicht der BFH-Beschluss v. 26.01.2012, V R 52/10, BFH/NV 2012, 817 entgegen, wonach die nachträgliche Kostenübernahme nach Einzelfallprüfung für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht genügt, da bereits im Zeitpunkt der Leistung feststehen müsse, ob die Leistungen steuerbefreit seien oder nicht. Denn im Streitfall war die BA aufgrund des Vermittlungsgutscheins – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – zur Zahlung verpflichtet, ein Ermessen bestand nicht (vgl. § 421g Abs. 1 Satz 2 SGB III bzw. ab 01.01.2005: § 421g Abs. 1 Satz 4 SGB III).

Praxishinweis

Die Entscheidung des BFH kann als „Paukenschlag“ bezeichnet werden, begünstigt sie doch in erheblichem Umfang „rückwirkend“ sämtliche Arbeitsvermittlungsleistungen, die durch einen Vermittlungsgutschein gefördert wurden. Die Begünstigung, die nunmehr für nach § 178 SGB III zugelassene Träger für private Arbeitsvermittlungsleistungen in § 4 Nr. 15b Buchst. a) UStG normiert ist, kann aufgrund dieser Entscheidung mit Rückwirkung durch den einzelnen Steuerpflichtigen geltend gemacht macht werden. Arbeitsvermittler, die unter Nutzung dieses Wiedereingliederungsinstruments am Markt tätig waren, können hohe Umsatzsteuererstattungen erwarten: Sofern der Maximalsatz von 2.000 € für (nichtbehinderte) Arbeitnehmer gezahlt wurde, sind dies immerhin 319,32 € je vermittelten Arbeitnehmer. Wichtig ist jedoch, zunächst die Altjahre nicht bestandskräftig werden zu lassen. Unter Beachtung der vierjährigen Festsetzungsverjährungsfrist und dem üblichen Beginn (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO: mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird) droht z.B. zum 31.12.2015 das Jahr 2010 zu verjähren, wenn die Umsatzsteuersteuerjahreserklärung in 2011 abgegeben wurde. Anders ist dies, wenn für die erbrachten Arbeitsvermittlungsleistungen Rechnungen unter Ausweis der Umsatzsteuer ausgestellt wurden. Dann kann der Steuerpflichtige zwar keine rückwirkende Korrektur zu seinen Gunsten erreichen (unter Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO), aber er kann gem. § 14c UStG i.V.m. § 17 UStG im Voranmeldungszeitraum der Rechnungskorrektur die Umsatzsteuerkorrektur begehren. Da es – jedenfalls nach derzeitiger höchstrichterlicher Rechtsprechung – keine zeitliche Beschränkung der Rechnungskorrektur gibt, könnten in derartigen Fällen sogar Umsatzsteuern für Arbeitsvermittlungsfälle der Jahre vor 2010 geltend gemacht werden. Jeder Arbeitsvermittler sollte, sofern er in der Vergangenheit unter Nutzung des Vermittlungsgutscheins tätig geworden ist, zum Ende dieses Jahres genau prüfen bzw. prüfen lassen, ob Umsatzsteuerkorrekturen zu seinen Gunsten in Betracht kommen.

Hinzuweisen ist noch darauf, dass mit Wirkung vom 01.04.2012 private Arbeitsvermittler einer vorherigen Zulassung nach § 176 Abs. 1, § 178 SGB III bedürfen, um Zahlungen aufgrund von Vermittlungsgutscheinen erreichen zu können. Der BFH hat offen gelassen, ob diese Zulassung auch für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung erforderlich ist. Viele Fälle dürften aber ohnehin nicht darunter fallen, da die Arbeitsagentur in der Regel die Auszahlung der Vergütungssumme ab diesem Zeitpunkt – mit Ausnahme einer kurzen Karenzzeit – an die Zulassung geknüpft hat.

Letztlich ist zu beachten, dass mit Wirkung v. 01.01.2015 in Neufällen nunmehr auch eine nationale Vorschrift, nämlich § 4 Nr. 15b UStG, die Steuerfreiheit derartiger Arbeitsvermittlungsleistungen vorsieht.