EuGH zum Vorsteuerabzug für den Erwerb und die Herstellung von Investitionsgütern

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 22.10.2015, C-126/14, Sveda UAB, Vorsteuerabzug für den Erwerb und die Herstellung von Investitionsgütern; primäre Verwendung für nicht besteuerte Umsätze;  sekundäre Verwendung für besteuerte Umsätze

Praxisproblem

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehbar. Der Leistungsempfänger muss Unternehmer und die Lieferung oder sonstige Leistung für sein Unternehmen ausgeführt worden sein. In einem litauischen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH war fraglich, ob der Vorsteuerabzug (Art. 168 MwStSystRL) aus dem Erwerb bzw. der Herstellung von Investitionsgütern, die der Öffentlichkeit unentgeltlich zu Verfügung gestellt werden (touristische Infrastruktur), aber später steuerpflichtige Ausgangsumsätze ermöglichen sollen, gewährt werden kann.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine juristische Person, die Tätigkeiten in folgenden Bereichen ausübt: Angebot von Unterkünften sowie von Verpflegung und Getränken, Organisation von Messen und Kongressveranstaltungen, Ingenieurtätigkeiten und damit verbundene Beratungen. Im Jahr 2012 schloss die Klägerin mit dem litauischen Landwirtschaftsministerium einen Vertrag, in dem sie sich verpflichtete, das Projekt „Freizeit- und Entdeckungsweg zur baltischen Mythologie“ durchzuführen, wobei das Ministerium bis zu 90 % der Durchführungskosten erstatten sollte. Die Klägerin errichtete im Rahmen des Förderprojekts den Freizeit- und Entdeckungsweg und verpflichtete sich, der Öffentlichkeit die kostenlose Nutzung des Freizeit- und Entdeckungswegs zu gewähren. Sie verbuchte die bei der Errichtung und dem Erwerb der Investitionsgüter (Parkplätze und Kraftfahrzeuge, Wege, Beobachtungsplattformen, Stufen, Lagerfeuerplätze usw.) entstandene Kosten und machte daraus den Vorsteuerabzug geltend. Die Steuerbehörde versagte der Klägerin den Vorsteuerabzug aus den bei der Durchführung des Projekts entstandenen Kosten für die Herstellung bzw. den Erwerb von Investitionsgütern mangels Nachweises einer Verwendung für Tätigkeiten, die der Mehrwertsteuer  unterliegen.

Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob ein Vorsteuerabzug aus den Investitionsgütern trotz der kostenlosen Bereitstellung für die Öffentlichkeit zu gewähren ist, da der Freizeit- und Entdeckungsweg Besucher anziehen soll, um diesen gegenüber steuerpflichtige Leistungen (Souvenirs, Verpflegung, Unterhaltungsangebote, Badeeinrichtungen und weitere kostenpflichtige Freizeiteinrichtungen) zu erbringen.

Entscheidung

Ausgehend von dem Sachvortrag des Vorlagegerichts, dass die mit den Investitionen verbundenen Kosten letztlich zur Ausübung der von der Klägerin beabsichtigten wirtschaftlichen Tätigkeiten bestimmt sind und der Freizeitweg als ein Mittel angesehen werden kann, Besucher anzuziehen, um ihnen durch den Verkauf von Souvenirs, Verpflegung und Getränken und die ihnen eröffnete Möglichkeit, entgeltliche Unterhaltungsangebote und Badeeinrichtungen in Anspruch zu nehmen, Gegenstände und Dienstleistungen durch die Klägerin anzubieten, hat der EuGH den Vorsteuerabzug im Prinzip bejaht. Der EuGH hebt auf seine frühere Rechtsprechung ab, dass der Vorsteuerabzug auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen zu gewähren ist, wenn die entstandenen Kosten zu den Gemeinkosten des Unternehmers gehören und als solche Kostenelemente der von ihm erbrachten Umsätze sind. Derartige Kosten hängen dann direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen. Von einem solchen Fall geht der EuGH im vorliegenden Verfahren aus. Die unmittelbare kostenfreie Verwendung des Freizeitwegs stellt nicht den direkten und unmittelbaren Zusammenhang in Frage, der zwischen den Eingangsumsätzen und den das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnenden Ausgangsumsätzen oder mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Klägerin besteht. Diese Verwendung hat keine Auswirkungen auf das Bestehen des Vorsteuerabzugs. Hier spielt im Ausgangsverfahren auch eine Rolle, dass die Investitionsausgaben der Klägerin für die Anlegung des Freizeitwegs zumindest teilweise von den Einkünften aus der Lieferungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der späteren Nutzung des Freizeitwegs gedeckt waren.

Praxishinweis

Zu der in Art. 168 MwStSystRL geregelten Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, dass die Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen „für Zwecke seiner besteuerten Umsätze“ verwendet werden, kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH darauf an, ob ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem Eingangsumsatz und Ausgangsumsätzen bzw. der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen besteht. Für die Beurteilung maßgeblich ist der objektive Inhalt der vom Unternehmer bezogenen Leistungen. Der Entstehungsgrund eines Eingangsumsatzes kann als ein Kriterium für die Bestimmung des objektiven Inhalts zu berücksichtigen sein. (vgl. EuGH, Urt. v. 21.02.2013, C-104/12, Wolfram Becker)

Im vorliegenden Verfahren ging es in erster Linie um die Frage der – nicht in die Zuständigkeit des EuGH fallenden – Beweiswürdigung, ob

  • die kostenlose Zugangsgewährung zu dem Freizeit- und Entdeckungsweg eine eigenständige nichtwirtschaftliche Tätigkeit darstellt, für die ein Vorsteuerabzugsrecht nicht besteht (dies hat der EuGH verneint),

oder

  • ob die streitgegenständlichen Investitionsgüter als Werbemaßnahme direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin in Zusammenhang stehen und damit zum Vorsteuerabzug berechtigen (dies hat der EuGH bejaht).

Das Urteil eröffnet mit Blick auf den durch das StÄndG 2015 eingeführten neuen § 2b UStG zur Unternehmereigenschaft von öffentlichen Einrichtungen insbesondere den Kommunen für Infrastrukturmaßnahmen neue Gestaltungsspielräume. Wenn eine Infrastrukturmaßnahme (z.B. die Errichtung eines Gewerbeparks oder eines Waldlehrpfades) im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art vorgenommen wird, kann u.U. der Vorsteuerabzug aus den Investitionskosten zu gewähren sein, wenn die Kommune später aus dem Gewerbepark neben der unentgeltlichen Überlassung für neu anzusiedelnde Unternehmen Einnahmen infolge der Errichtung des Parks erzielt.