EuGH zur Verzinsung der Vorsteuererstattung

 

EuGH, Urteil vom 24.10.2013, C-431/12 (S.C. Rafinăria Steaua Română S.A.)

Praxisproblem

Nach Art. 183 MwStSystRL (Regelung zu den Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug) können die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen der Betrag der abgezogenen Vorsteuer den Betrag der für einen Steuerzeitraum geschuldeten Mehrwertsteuer übersteigt, den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.

Nach Art. 252 Abs. 1 MwStSystRL ist die Mehrwertsteuererklärung (d.h. nach deutschem Verständnis die Voranmeldung) innerhalb eines von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraums abzugeben. Dieser Zeitraum darf zwei Monate nach Ende jedes einzelnen Steuerzeitraums nicht überschreiten. Nach Art. 252 Abs. 2 MwStSystRL kann der Steuerzeitraum von den Mitgliedstaaten auf einen, zwei oder drei Monate festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch andere Zeiträume festlegen, sofern diese ein Jahr nicht überschreiten.

Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren forderte die Klägerin die Zahlung von Zinsen für die nicht rechtzeitige Erstattung von Vorsteuerüberschüssen, die zunächst rechtswidrig mit anderen MwSt-Forderungen verrechnet worden waren.

Das vorlegende Gericht bat den EuGH um Klärung der Frage, ob eine nationale Regelung, wonach der Staat auf mit einer Mehrwertsteuererklärung beantragte Erstattungsbeträge für den Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Verrechnung mit Ansprüchen des Fiskus und dem Zeitpunkt der Aufhebung des Verrechnungsakts durch eine gerichtliche Entscheidung keine Zinsen schuldet, gegen Art. 183 MwStSystRL verstößt.

Entscheidung

Der EuGH hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 12.5.2011, C-107/10 (Enel Maritsa Iztok 3 AD) bestätigt, dass Art. 183 MwStSystRL zwar weder eine Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen auf den zu erstattenden Vorsteuerüberhang noch den Zeitpunkt vorsieht, ab dem solche Zinsen geschuldet werden. Dies lässt nach dem Urteil aber nicht den Schluss zu, dass die von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten hinsichtlich der Erstattung von Überschüssen jeglicher unionsrechtlichen Kontrolle entzogen sind. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Festlegung der Einzelheiten der Erstattung zwar über gewisse Spielräume. Diese dürfen jedoch den Grundsatz der Neutralität nicht dadurch beeinträchtigen, dass der Unternehmer ganz oder teilweise mit der ihm zu erstattenden Steuer belastet wird. Insbesondere muss es dem Unternehmer möglich sein, unter angemessenen Bedingungen den gesamten Erstattungsanspruch realisieren zu können, was voraussetzt, dass die Erstattung innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Zahlung flüssiger Mittel oder auf gleichwertige Weise erfolgt und dass dem Unternehmer durch die gewählte Methode der Erstattung auf keinen Fall ein finanzielles Risiko entstehen darf. Der Neutralitätsgrundsatz gebietet es, dass die finanziellen Verluste, die dem Unternehmer, wenn ihm ein MwSt-Guthaben nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird, durch die fehlende Verfügbarkeit der Beträge entstehen, durch die Zahlung von Verzugszinsen ausgeglichen werden.

Es verstößt grundsätzlich gegen Art. 183 MwStSystRL, wenn der Berechnung der geschuldeten Zinsen nicht der Tag als Verzinsungsbeginn zugrunde gelegt wird, an dem das Guthaben nach der MwStSystRL hätte ausgeglichen werden müssen. Im Streitfall sieht das rumänische Recht grundsätzlich vor, dass Verzugszinsen ab dem Ablauf einer für die Bearbeitung der MwSt-Erklärungen festgelegten Frist von 45 Tagen berechnet werden. Nach dem Urteil gibt es in diesem Kontext keinen relevanten Unterschied zwischen einer verspäteten Erstattung aufgrund einer nicht fristgemäßen Bearbeitung des Antrags durch die Verwaltung und einer verspäteten Erstattung aufgrund von Verwaltungsakten, die in rechtswidriger Weise die Erstattung ausschließen und anschließend durch eine Gerichtsentscheidung aufgehoben werden.

Praxishinweis

Das Urteil hat keinen Einfluss auf die deutsche Rechtslage, da der Zinslauf nach § 233a AO grundsätzlich auch den Zeitraum zwischen dem Erlass eines rechtswidrigen Verrechnungsbescheides und dessen Aufhebung erfasst.

Nach deutschem Recht werden USt-Erstattungen aus Voranmeldungen grds. nicht verzinst (abgesehen von den hier eher seltenen Fällen des § 236 AO). Die so genannte Vollverzinsung nach § 233a AO gilt nur für die USt-Jahresfestsetzung. USt-Vergütungen an ausländische Unternehmer unterliegen dagegen grds. der Verzinsung, sei es nach § 61 UStDV oder nach § 233a AO.

Soweit USt-Erstattungsansprüche verzinst werden, wird der Zinslaufbeginn durch Ermittlungsmaßnahmen der Finanzbehörden nicht beeinflusst (Besonderheiten gelten ggf. in Fällen des § 61 UStDV). Stimmt das Finanzamt einer zustimmungspflichtigen USt-Voranmeldung zu, ist der entsprechende Erstattungsbetrag grds. auszuzahlen (Ausnahme: Aufrechnung oder Verrechnung).

Nach § 226 AO ist die Aufrechnung im Besteuerungsverfahren möglich, wenn die Forderung des Aufrechnenden fällig und der Anspruch des Aufrechnungsgegners entstanden ist. Dies gilt gleichermaßen für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Bei Vorliegen der Aufrechnungslage kann die Aufrechnung auch gegen den Willen des Aufrechnungsgegners erklärt und vollzogen werden. Eine Verrechnung durch die Finanzbehörde ist mit Zustimmung des Steuerpflichtigen auch schon vor Eintritt der Aufrechnungslage jederzeit möglich (Nr. 5 AEAO zu § 226). Auch dies gilt gleichermaßen für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.

Aus dem EuGH-Urteil ist nicht zu erkennen, dass der EuGH eine Bearbeitungsfrist von USt-Voranmeldungen und USt-Jahreserklärungen festgelegt hätte oder dass er eine allgemeine Verzinsungspflicht (auch) bei USt-Voranmeldungen fordert.

Die deutschen Regelungen über die Aufrechnung und Verrechnung sind prinzipiell an das Zivilrecht angelehnt. Auch insoweit ist aus dem Urteil kein Verstoß gegen europäisches Recht erkennbar. Die Aufrechnung (und Verrechnung mit Zustimmung des Steuerpflichtigen) führt gleichermaßen zur Erfüllung des Steuererstattungsanspruchs wie die Auszahlung durch Überweisung (vgl. § 47 AO). Dies hat der EuGH ausdrücklich bestätigt.