BFH zu den Anforderungen an leichtfertiges Handeln im Binnenmarkt

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 24.07.2014, V R 44/13; Umsatzsteuer: Anforderungen an leichtfertiges Handeln im Binnenmarkt; Leichtfertige Steuerverkürzung i.S.v. § 173 Abs. 2 AO

Praxisproblem

Im grenzüberschreitenden Warenverkehr sind Unternehmen häufig den Vorwurf ausgesetzt, dass sie Unstimmigkeiten beim Warenabnehmer oder über den Lieferweg „wussten oder hätten wissen müssen“. Der nunmehr veröffentlichten Entscheidung des BFH liegt ebenfalls ein Fall zugrunde, in dem der Vorwurf der leichtfertigen Steuerverkürzung erhoben wurde.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die erhöhte Bestandskraft nach einer Außenprüfung (§ 173 Abs. 2 AO) nur bei leichtfertiger Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung durchbrochen werden kann, so dass der erhobene Vorwurf der Leichtfertigkeit notwendig war, um zu einer Änderungsfestsetzung im streitgegenständlichen Sachverhalt zu gelangen.

Sachverhalt

Der Kläger stritt mit dem Finanzamt darüber, ob leichtfertige Steuerverkürzung oder sogar Steuerhinterziehung vorlag. Hintergrund war die Frage, ob die Steuerbescheide aufgrund der erhöhten Bestandskraft nach Außenprüfung noch änderbar waren. Dafür musste aber zumindest leichtfertiges Handeln vorliegen. Das Finanzamt sah dieses darin begründet, dass die Mitarbeiter der Klägerin die CMR-Frachtbriefe, welche als Belegnachweis (bis 31.12.2013) dienten, ausfüllten, obwohl nicht sichergestellt war, ob die Lieferwege und Angaben zutreffend seien.

Entscheidung

Bei Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach § 6a UStG (innergemeinschaftliche Lieferungen) handeln Unternehmer nur dann leichtfertig i.S.v. § 378 AO, wenn es sich ihnen zumindest aufdrängen muss, dass sie die Voraussetzungen dieser Vorschrift weder beleg- und buchmäßig noch objektiv nachweisen können. Das bloße Abstellen auf die Beleglage reicht nicht aus.

Der Bundesfinanzhof unterschied zwischen der Aberkennung der Steuerbefreiung – wenn Zweifel über das Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen vorhanden sind, gehen diese Zweifel grundsätzlich zu Lasten des Lieferanten – und dem Vorliegen der Tatbestände von Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung. Für Letztere müssen über die Beleglage hinausgehende Beweise/Anhaltspunkte vorliegen.

Hierbei ist wesentlich, dass der Buch- und Belegnachweis nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung (mehr) ist. Hier ist jeder objektive Beweis des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6a, § 4 Nr. 1 Buchst b UStG ausreichend. Daher wurde die Leichtfertigkeit in der Entscheidung zumindest allein aufgrund des Vorausfüllens der CMR-Frachtbriefe verneint. Ob die Lieferungen aber steuerfrei sind, wurde nicht entschieden. Der BFH wies die Entscheidung an das FG zurück, welches nun prüfen muss, ob der Lieferant einen objektiven Beweis der Voraussetzung der Steuerbefreiungsvorschrift (anderweitig) hätte führen können bzw. führen kann.

Praxishinweis

Exportierende Unternehmen sind schnell mit dem Vorwurf von Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung belastet, wenn die Finanzverwaltung Zweifel an der Existenz der Abnehmer, deren Unternehmereigenschaft oder der Liefer- bzw. Transportwege hat. Insofern ist der Vorwurf, dass wenn der liefernde Unternehmer den CMR-Frachtbrief ausstellt, obwohl er nicht weiß oder sicherstellt, dass die dort niedergelegten Angaben über den Lieferweg auch eingehalten werden, aus Sicht der Finanzverwaltung naheliegend. Der BFH aber unterscheidet zwischen der Frage der leichtfertigen Steuerverkürzung und der Frage nach dem Vorliegen eines objektiven Beweises für das Vorliegen der Voraussetzung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen. Daher sind Unternehmen angehalten, den Buch- und Belegnachweisen die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen und interne Kontrollsysteme zu errichten. Wenn der Kläger objektiv davon ausgehen durfte, dass er den Nachweis der Steuerbefreiung führen konnte, so liegt keine Leichtfertigkeit vor. Die Entscheidung hierüber sowie über die Steuerbefreiung der Lieferungen allgemein muss nun aber das FG treffen.

Seit dem 01.01.2014 (spätester Termin der Umsetzung der Gelangensbestätigung und Alternativen) ist zu beachten, dass der CMR-Frachtbrief nur noch dann als Nachweismittel anerkannt wird, wenn er vollständig und korrekt (insb. in Feld 1, Feld 22 und mit Feld 24) nach Ankunft der Waren am Bestimmungsort an den Lieferanten zurückgelangt.

Die Unterscheidung zwischen steuerstraf- bzw. steuerordnungswidrigkeitsrechtlichem Vorwurf und der Ab- bzw. Anerkennung der Steuerbefreiungen für grenzüberschreitende Warenlieferungen wird durch diese Entscheidung ebenfalls verdeutlicht. Zugleich wird betont, wie wichtig für liefernde Unternehmen ist, dass sie die Voraussetzungen der Steuerbefreiung objektiv beweisen können. In der Unternehmenspraxis ist daher die Erfüllung der Nachweispflichten (Buch- und Belegnachweis) für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen eine absolut wichtige (aber leider auch teilweise unterschätzte) Notwendigkeit.

Link: BFH, Urt. v. 24.07.2014