EuGH zur selektiven Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei Hör- und E-Büchern

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 11.09.2014, C-219/13, K Oy; Ermäßigter Steuersatz, selektive Anwendung des ermäßigten Steuersatzes, Hör- und E-Bücher

Praxisproblem

Nach Kategorie 6 des Anhangs III MwStSystRL MwSt-Richtlinie können „Bücher auf jeglichen physischen Trägern“ dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Fraglich ist, ob und inwieweit von einem Mitgliedstaat die Steuerermäßigung auch für Bücher auf digitalen oder vergleichbaren anderen Datenträgern (insbesondere E-Books als körperliche Gegenstände – nicht als elektronische Dienstleistungen, weil für diese die Steuermäßigung nach dem Unionsrecht nicht möglich ist) anzuwenden ist, wenn dieser bereits Bücher in gedruckter Form begünstigt.

Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 MwStSystRL in der Fassung der RL 2009/47/EG. Die Klägerin wandte sich gegen einen Vorbescheid zur Besteuerung der Lieferung von E-Books. Die Klägerin ist im Buchverlagswesen tätig. Ihre Verlagstätigkeit umfasst Bücher der allgemeinen Literatur und Lehrbücher. Sie verlegt auch sogenannte Hör- und E-Bücher. Ein Hörbuch ist ein auf einem physischen Träger wie einer CD oder einer CD-ROM gespeichertes Buch, das vorgelesen wird und zum Anhören bestimmt ist. Ein E-Buch ist ein auf einem physischen Träger wie einer CD gespeichertes Buch, das nach seinem Inhalt und nach seiner Struktur nahezu vollständig einem gedruckten Buch und dem darin enthaltenen geschriebenen Text entspricht. Lexika und Wörterbücher auf einer CD sind Beispiele für E-Bücher, die von einer CD auf einen Computer oder ein Lesegerät geladen werden. Auch von Lehrbüchern gibt es auf CD oder USB-Sticks gespeicherte Versionen.

Der Antrag der Klägerin auf den Vorbescheid bezog sich nicht auf E-Bücher, die aus dem Internet heruntergeladen werden können. Hör- oder E-Bücher im Sinne des Antrags sind Bücher, die auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem sonstigen entsprechenden physischen Träger gespeichert sind und die gesondert von herkömmlichen gedruckten Büchern verkauft werden und einer gesonderten Preisgestaltung unterliegen. Hörbücher geben den geschriebenen Text gedruckter Bücher wieder. E-Bücher haben überwiegend denselben Inhalt wie gedruckte Bücher und gleichen diesen in ihrer äußeren Gestaltung und Struktur. Die E-Buch-Versionen von Lehrbüchern können jedoch in gewissem Umfang auch weitere Materialien enthalten, etwa verschiedene Übungsaufgaben, die in den gedruckten Lehrbüchern nicht enthalten sind. Von Hörbüchern gibt es i.d.R. auch ein nach seinem Inhalt und seiner Struktur entsprechendes gedrucktes Buch. Von E-Büchern gibt es hingegen nicht immer ein solches nach seinem Inhalt und seiner Struktur entsprechendes gedrucktes Buch.

In ihrem Antrag auf Vorbescheid hatte die Klägerin gefragt, ob auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem sonstigen entsprechenden physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher als Bücher im Sinne des § 85a Abs. 1 Nr. 7 AVL (FIN-UStG) angesehen werden können, auf deren Verkauf der ermäßigte Steuersatz angewandt werden darf. Die finnische Steuerbehörde hatte in ihrem Vorbescheid an die Klägerin festgestellt, dass gem. § 85a Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 3 AVL nur eine gedruckte oder in vergleichbarer Weise hergestellte Veröffentlichung als Buch gelte. Die auf einem physischen Träger gespeicherten Hör- und E-Bücher im Sinne des Antrags könnten daher nicht als Bücher im Sinne dieser Bestimmungen angesehen werden.

Nach Auffassung der finnischen Steuerbehörde sind gedruckte Bücher und Hör- und E-Bücher keine im Sinne der MwStSystRL gleichartigen Waren. Sie stünden auch nicht in einem derartigen Wettbewerbsverhältnis zueinander, dass die steuerliche Neutralität es geböte, denselben Steuersatz auf sie anzuwenden. Gedruckte Bücher und auf einem physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher unterschieden sich nach ihrem Wesen, ihren Eigenschaften und der Art ihrer Benutzung voneinander. Hör- und E-Bücher könnten viele Eigenschaften aufweisen, die gedruckte Bücher nicht hätten. Daher könne die Gleichstellung von Hör- und E-Büchern mit gedruckten Büchern möglicherweise zu schwierigen und gegen die Neutralität verstoßenden Abgrenzungen gegenüber anderen Tonerzeugnissen und anderem Material in elektronischer Form führen. Hörbücher könne man zudem nicht ohne technische Hilfsmittel anhören und E-Bücher nicht ohne sie lesen. Auf einem physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher stünden im direkten Wettbewerb mit entsprechenden Produkten, die über das elektronische Netz vertrieben würden. Diese Produkte seien nach ihrem Wesen, ihren Eigenschaften und der Art ihrer Benutzung gleichartig. Auf Hör- und E-Bücher, die auf einem physischen Träger gespeichert seien, den ermäßigten Steuersatz anzuwenden, während auf aus Sicht des Verbrauchers gleichartige, über das elektronische Netz vertriebene Produkte der normale Steuersatz angewendet werde, würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen, da die steuerliche Behandlung vom Vertriebskanal des Produkts abhinge. In Bezug auf die Wettbewerbsverzerrung spiele es keine Rolle, dass im Rahmen der Mehrwertbesteuerung auf einem physischen Träger gespeicherte Hör- und E-Bücher als Gegenstände und die entsprechenden über das elektronische Netz vertriebenen Produkte als Dienstleistungen angesehen würden.

Die Klägerin trug vor, dass nach einer einstimmigen Leitlinie des Mehrwertsteuerausschusses vom Dezember 2010 Anhang III Nr. 6 MwStSystRL neben den herkömmlichen auf Papier gedruckten Büchern auch den Inhalt von auf physischen Datenträgern wie Kassetten, Disketten, CD, DVD, CD-ROM oder USB-Sticks gespeicherten Büchern erfasse, die im Wesentlichen den gleichen Informationsgehalt hätten wie gedruckte Bücher. Ein Hörbuch enthalte lediglich den geschriebenen Text eines gedruckten Buchs, der vorgelesen werde. Ein E-Buch könne je nach seinem Dateiformat und den Eigenschaften des Lesegeräts auch eine Suchfunktion enthalten. Ein auf einem physischen Datenträger gespeichertes E-Buch könne nicht aktualisiert werden. Auf den physischen Träger, auf dem das Hör- oder E-Buch gespeichert sei, könnten keine anderen Daten gespeichert werden.

Der EuGH musste entscheiden, ob Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 MwStSystRL unter Berücksichtigung des Neutralitätsgrundsatzes einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt wird, auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, jedoch der normale Steuersatz. Der EuGH hatte auch zu prüfen, ob es eine Rolle spielt, ob ein Buch zum Lesen oder zum Anhören (Hörbuch) bestimmt ist, ob es von dem auf einer CD oder CD-ROM, einem USB-Stick oder einem entsprechenden anderen physischen Träger gespeicherten Buch oder Hörbuch ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt und dass bei einem auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Buch technische Eigenschaften dieses Trägers, wie etwa Suchfunktionen, benutzt werden können.

Entscheidung

Der EuGH hat keine Tatsachenentscheidung getroffen, sondern lediglich allgemein festgestellt, dass Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 1 und Anhang III Nr. 6 MwStSystRL unter Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes (was Sache des nationalen Gerichts ist) es nicht verbieten, dass ein Mitgliedstaat für gedruckte Bücher einen ermäßigter Mehrwertsteuersatz anwendet, während Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, dem Normalsteuersatz unterliegen.

Nach dem Urteil wollte der Richtliniengeber die Mitgliedstaaten nicht verpflichten, auf alle Bücher, unabhängig davon, auf welchem physischen Träger sie gespeichert sind, einen identischen ermäßigten Steuersatz anzuwenden. Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung des Neutralitätsgrundsatzes die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf bestimmte Arten von Büchern (d.h. auf unterschiedlichen Datenträgern) beschränken.

Nach dem EuGH-Urteil ist für die Frage, ob Bücher auf unterschiedlichen Datenträgern gleich behandelt werden müssen oder nicht, auf den Durchschnittsverbraucher des jeweiligen Mitgliedstaats (also nicht auf den Durchschnittsverbraucher allgemein!) abzustellen, da die Beurteilung des Durchschnittsverbrauchers davon abhängig sein könne, in welchem Ausmaß die neuen Technologien sich im jeweiligen nationalen Markt durchgesetzt haben und die technischen Vorrichtungen verfügbar sind, die es ihm ermöglichen, auf Bücher zuzugreifen, die auf anderen physischen Trägern als Papier gespeichert sind.

Das nationale Gericht hat unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Durchschnittsverbrauchers zu bewerten, ob gedruckte Bücher und Bücher auf anderen Datenträgern ähnliche Eigenschaften haben und nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen, um zu ermitteln, ob die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, das eine oder das andere dieser Bücher zu wählen, erheblich oder spürbar beeinflussen.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Recht, wonach E-Bücher bisher nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Ab 01.01.2015 gilt dies nur für Hörbücher (Nr. 50 der Anlage 2 zum UStG).

Nach der Leitlinie zur 92. Sitzung des MwSt-Ausschusses v. 07./08.12.2010 ist der MwSt-Ausschuss einstimmig der Auffassung, dass der in Kategorie 6 des Anhangs III MwStSystRL MwSt-Richtlinie genannte Begriff „Bücher auf jeglichen physischen Trägern“ nach der Annahme der Richtlinie 2009/47/EG lediglich traditionelle auf Papier gedruckte Bücher umfasst sowie den Inhalt von Büchern auf physischen Trägern wie Kassetten, Disketten, CDs, DVDs, CD-ROMs, USB-Datensticks usw., der überwiegend denselben Informationsinhalt hat wie gedruckte Bücher. Der MwSt-Ausschuss hat ebenfalls einstimmig bestätigt, dass die Bereitstellung von Bücherinhalten in elektronischem Format, gewöhnlich als „E-Books“ bezeichnet (z.B. im PDF-Format), oder virtuelle Bücher, die von einer Webseite heruntergeladen werden müssen, um auf einem Computer, einem Laptop, einem Smartphone, einem E-Book-Lesegerät oder einem anderen Lesesystem angezeigt werden zu können, wie auch die Bereitstellung des Inhalts von Zeitungen und Zeitschriften zum Abruf aus dem Internet nicht in den Anwendungsbereich der Kategorie 6 des Anhangs III der MwSt-Richtlinie fallen. Die Bereitstellung sog. E-Books sowie die Bereitstellung des Inhalts von Zeitungen und Zeitschriften zum Abruf aus dem Internet gelten als auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen, auf die gem. Artikel 98 Absatz 2 Unterabsatz 2 MwStSystRL ermäßigte Mehrwertsteuersätze nicht anwendbar sind.

In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass die Leitlinien, die vom MwSt-Ausschuss herausgegeben werden, lediglich die Ansichten eines beratenden Ausschusses wiedergeben. Sie stellen weder eine offizielle Auslegung des Unionsrechts dar, noch stimmt ihnen die EU-Kommission unbedingt zu. Sie binden weder die EU-Kommission noch die Mitgliedstaaten, denen es freisteht, sie nicht zu befolgen.

Die Entscheidung des EuGH gilt, ohne dass der EuGH dies ausdrücklich ausführt, sowohl für reine Hörbücher als auch für E-Bücher auf Datenträgern. Die Art des verwendeten physischen Trägers, der Inhalt des betreffenden Buchs oder die technischen Eigenschaften des betreffenden physischen Trägers selbst spielen für eine etwaige Unterscheidung zwischen den einzelnen Buchformen keine Rolle. Die Art des Datenträgers und seine Funktionalität sind nach der Entscheidung lediglich bei der Bewertung zu berücksichtigen, ob sie aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine Rolle bei seiner Kaufwahl spielen. Kommt es dem Verbraucher vor allem auf den gleichartigen Inhalt all dieser Buchformen unabhängig von ihrem Trägermaterial oder ihren Eigenschaften an, ist die selektive Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht gerechtfertigt.

Insgesamt hat der EuGH keine eindeutige Entscheidung getroffen. Sein Grundsatz, auf den Durchschnittsverbraucher des jeweiligen Mitgliedstaats abzustellen, ist zwar insoweit nachvollziehbar, als gleiche Buchformen nicht in allen Mitgliedstaaten dem ermäßigten Steuersatz unterliegen müssen. Gleichwohl wäre das Abstellen auf den Durchschnittsverbraucher allgemein wohl sachgerechter.

Aus dem Urteil ist möglicherweise der Schluss zu ziehen, dass eine (wie jetzt in Deutschland zum 01.01.2015) vorgenommene Gleichsetzung zwischen Hör- und gedruckten Büchern (die ja gerade voraussetzt, dass insoweit gleichartige Produkte anzunehmen sind), zwingend auch eine Steuerermäßigung für E-Bücher auf körperlichen Datenträgern geboten ist.