BFH zum Ort einer Lieferung oder Leistung

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 16.06.2015, XI R 17/13; Ort der Lieferung, Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer, direkte Vertretung, Lieferkonditionen

Praxisproblem

§ 3 Abs. 8 UStG regelt den Ort der Lieferung in den Fällen, in denen der Gegenstand der Lieferung bei der Beförderung oder Versendung aus dem Drittlandsgebiet in das Inland gelangt und der Lieferer oder sein Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist. Unabhängig von den Lieferkonditionen ist maßgeblich, wer nach den zollrechtlichen Vorschriften Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist. Abweichend von § 3 Abs. 6 UStG gilt der Ort der Lieferung in solchen Fällen als im Inland gelegen (Fiktion). Der Ort der Lieferung bestimmt sich nach Abschn. 3.13 Abs. 1 UStAE auch dann nach § 3 Abs. 8 UStG, wenn der Lieferer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, diese jedoch nach der EUStBV nicht erhoben wird.

Der BFH hatte zu der Regelung des § 3 Abs. 8 UStG in einem Fall zu entscheiden, in dem Lieferungen von Büchern, DVDs und CDs an Privatkunden in Deutschland über einen in der Schweiz ansässigen Logistikdienstleister erfolgten.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, ist Organträger einer Z-GmbH. Diese vertrieb im Streitjahr 2007 Bücher, DVDs und CDs an Privatkunden in Deutschland. Die Liefergegenstände wurden in einem Lager eines Speditionsunternehmens in der Schweiz gelagert und nach Eingang der Kundenbestellung dort verpackt und an ein Transportunternehmen übergeben.

Betrug der Warenwert der jeweiligen Lieferung bis zu 22 € (sog. Kleinsendung), erfolgte die Zollanmeldung als vereinfachte Zollanmeldung im Sammelfreischreibungsverfahren. Hierfür wurde jeder Anmeldung eine Liste der Empfänger mit Name, Ort und Rechnungsbetrag beigefügt.

Bei einer Bestellung im Internet wurde der Kunde auf die AGB verwiesen, wonach die Auslieferung der bestellten Ware direkt aus einem Auslieferungslager in der Schweiz erfolge und der Kunde hierfür die Z-GmbH bevollmächtige, die Zollanmeldung zur Einfuhr in Deutschland abzugeben und alle in diesem Zusammenhang erforderlichen Urkunden und Papiere vorzulegen. Die Z-GmbH komme für alle im Zusammenhang mit der Einfuhr stehenden Zölle, Steuern und Gebühren auf und befreie den Besteller insoweit von allen Verpflichtungen. In Bestellformularen und postalisch zugesandten Bestellscheinen wurde der Kunde auf ähnliche Klauseln hingewiesen.

Die Z-GmbH behandelte die Lieferungen als im Inland nicht steuerbar, da der Ort der Lieferung gem. § 3 Abs. 6 UStG in der Schweiz liege. Das Finanzamt sah die Lieferungen als im Inland steuerpflichtig an, da der Ort der Lieferung gem. § 3 Abs. 8 UStG im Inland liege. Außerdem stelle die Bevollmächtigungsklausel in den AGB einen Gestaltungsmissbrauch des Rechts i.S.d. § 42 AO da. Auch seien die AGB nach § 305 Abs. 2, § 305c Abs. 1 und § 307 BGB unwirksam. Das FG München folgte dieser Auffassung und wies die Klage mit Urteil v. 20.02.2013, 3 K 3346/10 ab.

In der Revision rügte die Klägerin die Verletzung des § 3 Abs. 8 UStG und § 305 Abs. 1 BGB. Die in den AGB verwendete Klausel sei nicht ungewöhnlich bzw. überraschend. Auch sei nicht gegen § 307 BGB verstoßen worden.

Entscheidung

Die Revision wurde durch den BFH zurückgewiesen.

Wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, bestimmt sich nach Ansicht des Gerichts gem. § 13a Abs. 2 UStG i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG nach den Vorschriften des Zollrechts. Nach Art. 201 Abs. 3 Zollkodex (ZK) ist der Anmelder der Waren Zollschuldner. Anmelder ist nach dem BFH-Urteil nach Art. 4 Nr. 18 ZK die Person, die in eigenem Namen eine Zollanmeldung abgibt, oder die Person, in deren Namen eine Zollanmeldung abgegeben wird.

Eine Vertretung gegenüber den Zollbehörden ist  zwar unter den Voraussetzungen des Art. 5 ZK zulässig. Da die Z-GmbH jedoch nicht wie vorausgesetzt auf fremde Rechnung (sondern auf eigene Rechnung) handelte, liegt nach dem BFH-Urteil hier keine wirksame Vertretung vor. Somit waren die Kunden nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer geworden. Daher liegt der Ort der Lieferung der Kleinsendungen gem. § 3 Abs. 8 UStG im Inland. Eine wirksame direkte Vertretung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 1. Spiegelstrich ZK setzt voraus, dass der Vertreter für fremde Rechnung handelt. Hieran fehlt es, wenn der Vertreter im Innenverhältnis für alle im Zusammenhang mit der Einfuhr stehenden Zölle, Steuern und Gebühren aufkommt und den Vertretenen insoweit von allen Verpflichtungen befreit.

Lag schon aus zollrechtlichen Gründen keine wirksame Vertretung der Kunden durch die Z-GmbH vor, kam es auf die Frage, ob die Bevollmächtigung durch die Kunden zivilrechtlich unwirksam war, insoweit nicht mehr an. Im Übrigen weist der BFH auf Folgendes hin: Sei § 3 Abs. 8 UStG im Sinne der Ansicht der Klägerin nicht anwendbar, läge die Annahme einer missbräuchlichen Gestaltung i.S.d. § 42 AO nahe.

Praxishinweis

Der BFH hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Für die Anwendbarkeit von § 3 Abs. 8 UStG ist nicht entscheidend, dass tatsächlich Einfuhrumsatzsteuer anfällt. Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer i.S.d. § 3 Abs. 8 UStG ist auch derjenige, dessen Umsätze zwar gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG steuerbar, aber nach § 5 UStG steuerfrei sind. Bestätigt hat der 5. Senat des BFH auch seine bisherige Rechtsprechung, was für eine wirksame direkte Vertretung der Kunden gem. Art. 5 Abs. 2 1. Spiegelstrich ZK erforderlich gewesen wäre. Dies wird aus zollrechtlicher Sicht aber bereits in der Literatur heftig kritisiert, da das Merkmal „für Rechnung eines anderen“ im Zollrecht keine eigenständige Bedeutung habe. Zollrechtlich ist die Entscheidung fragwürdig, da durchaus Vertretungsverhältnisse existieren, in denen der Vertretene keine „wirtschaftliche Belastung“ erfahren (z.B. Nichterhebungsverfahren, Ausfuhrverfahren).

In einem weiteren Verfahren mit vergleichbarem Sachverhalt hat der BFH mit Entscheidung v. 16.06.2015, XI R 18/13 das Urteil des FG München v. 20.02.2013, 3 K 2222/10 aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben und an das FG zur Sachverhaltsermittlung zurückverwiesen. Hinsichtlich der zwischen den Beteiligten streitigen materiellen Rechtsfrage hat der BFH auf das o.a. anhängige Revisionsverfahren XI R 17/13 hingewiesen.