BFH zur Erstattung nicht geschuldeter Umsatzsteuer aus § 37 Abs. 2 AO bei Insolvenz des Rechnungsausstellers

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 30.06.2015, VII R 30/14; kein Anspruch des Leistungsempfängers auf Erstattung nicht geschuldeter Umsatzsteuer aus § 37 Abs. 2 AO bei Insolvenz des Rechnungsausstellers, Erstattung der Vorsteuer im Wege eines Billigkeitserweises

Praxisproblem

In Fällen, in denen der Unternehmer den Vorsteuerabzug aus mit Umsatzsteuer abgerechneter Leistungen geltend gemacht hat, die Leistungen aber nicht steuerbar waren, hat der Leistende die Steuer unrichtig ausgewiesen (§ 14c Abs. 1 UStG). Berichtigt der Leistende die Rechnung, kann er nach § 17 Abs. 1 UStG gegenüber dem Finanzamt den geschuldeten Steuerbetrag zu seinen Gunsten berichtigen (er hat ggf. einen Erstattungsanspruch). Der Leistungsempfänger hat korrespondierend dazu seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen. Hat der Leistungsempfänger die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer dem leistenden Unternehmer bezahlt und seinen Vorsteuerabzug gegenüber dem Finanzamt bereits berichtigt, besteht für den Leistungsempfänger das Risiko, von dem leistenden Unternehmer den an diesen gezahlten Umsatzsteuerbetrag nicht mehr zurück zu erhalten, z.B. weil der leistende Unternehmer zwischenzeitlich insolvent geworden ist. Der BFH hatte in einem solchen Fall zu entscheiden, ob der Leistungsempfänger einen Anspruch aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus hat, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.

Ist eine Steuer (wie im entschiedenen Fall Umsatzsteuer) ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, hat nach § 37 Abs. 2 AO derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger (derjenige, zu dessen Gunsten erkennbar die Zahlung geleistet wurde) einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags.

Der EuGH hatte mit Urteil v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH entschieden, dass ein Mitgliedstaat Mehrwertsteuern im Verfahren nach der (seinerzeit noch) 8. EG-Richtlinie (Vorsteuervergütungsverfahren) nicht erstatten muss, die der leistende Unternehmer aufgrund eines Irrtums über den Ort der Leistung entrichtet hat, für die jedoch ein anderer Mitgliedstaat das Besteuerungsrecht hat und für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (Reverse-Charge). Der EuGH sah allerdings auch die Möglichkeit, dass der Anspruch auf Rückerstattung der Steuer nicht zivilrechtlich beim leistenden Unternehmer, sondern unmittelbar bei der Finanzbehörde (bzw. dem Fiskus, der die Steuer vereinnahmt hat) geltend gemacht wird. Ein solcher Fall soll nach dem Urteil vorliegen, wenn ansonsten die Erstattung unmöglich oder übermäßig erschwert würde, z.B. im Fall der (Rück-)Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers.

Sachverhalt

Die Klägerin hatte in den Jahren 1999 bis 2005 Messen durchgeführt und sich hierfür einer Firma E bedient. Für ihre Leistungen stellte die E der Klägerin Rechnungen aus, in denen Umsatzsteuer in Höhe von über 4,8 Mio. € ausgewiesen war. Diesen Betrag führte E an das beklagte Finanzamt ab und die Klägerin machte die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer bei dem für sie zuständigen Finanzamt X geltend. Bei einer Umsatzsteuerprüfung bei der Klägerin wurde festgestellt, dass die Leistungen der E im Ausland erbracht worden und im Inland nicht umsatzsteuerpflichtig waren. Daraufhin erstattete die Klägerin dem Finanzamt X große Teile der Vorsteuerbeträge und forderte von der Firma E die Rückzahlung der rechtswidrig gezahlten Umsatzsteuer bzw. die Abtretung deren Erstattungsanspruchs gegen das Finanzamt. Im März 2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem eine Umsatzsteuerprüfung des Finanzamts ergeben hatte, dass die E die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer zu Unrecht gezahlt hatte, erstattete das Finanzamt den Betrag der Insolvenzmasse und der Insolvenzverwalter erteilte der Klägerin berichtigte Rechnungen ohne Ausweis der Umsatzsteuer. Zugleich verwies er sie auf die – später auch erfolgte – Anmeldung des Erstattungsbetrags zur Insolvenztabelle. Die Klägerin beantragte beim Finanzamt danach die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer gem. § 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 14c Abs. 1, § 17 UStG. Mit dem streitigen Abrechnungsbescheid lehnte das Finanzamt diesen Antrag ab.

Entscheidung

Der BFH hat einen Erstattungsanspruch basierend auf § 37 Abs. 2 AO verneint. Nach der Entscheidung ist dem EuGH-Urteil Reemtsma kein unionsrechtliches Gebot zu entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus anzuerkennen, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.

Die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, würden den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht. Die Billigkeitsregelungen der §§ 163 und 227 AO böten eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug – jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis – geltend zu machen, um auf diesem Weg den im Insolvenzverfahren nicht zu realisierenden Teil der gegen den Rechnungsaussteller gerichteten, zivilrechtlichen Forderung vom Finanzamt gutgebracht zu bekommen.

§ 37 Abs. 2 AO regelt nach dem BFH-Urteil keinen Rückzahlungsanspruch des Leistungsempfängers, der die in der ihm gestellten Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer dem Rechnungsaussteller gezahlt hat. Die in der Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, bei der Umsatzsteuer müsse der umsatzsteuerliche Leistungsempfänger als derjenige angesehen werden, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, wenn der Steuerpflichtige zur Rückabwicklung nicht in der Lage ist, stehe nicht nur zu dem klaren Wortlaut des § 37 Abs. 2 AO in Widerspruch, sondern auch zur Zielsetzung der Norm, dem Fiskus zur Vereinfachung im Massengeschäft komplexe Prüfungen des „wahren“ Leistungserbringers zu ersparen.

Im Streitfall habe die Firma E die 4,8 Mio. € auf ihre Rechnung, nämlich in Erfüllung ihrer eigenen Umsatzsteuerschuld gegenüber dem Finanzamt, gezahlt. Damit sei E diejenige, der nach Berichtigung der Rechnungen nach § 17 UStG durch den Insolvenzverwalter der Anspruch auf Erstattung der nunmehr rechtsgrundlos gewordenen Zahlungen an das Finanzamt gem. § 37 Abs. 2 AO zusteht. Daran ändere nichts, dass mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der E der Insolvenzverwalter in Ausübung des auf ihn gem. § 80 InsO übergegangenen Verfügungsrechts den Anspruch auf Erstattung in die Insolvenzmasse geltend gemacht habe. Dem Insolvenzschuldner sei lediglich das Verfügungs- und Verwaltungsrecht über sein Vermögen entzogen, ihm verbleibe aber die Rechtsinhaberschaft, d.h. er bleibe Steuerschuldner und im Fall einer rechtsgrundlosen Steuerzahlung Rechtsträger des Erstattungsanspruchs.

Praxishinweis

Der BFH hat zwar die Anwendbarkeit von § 37 Abs. 2 AO verneint. Er macht aber sehr deutlich, dass eine Erstattung der Umsatzsteuer an den umsatzsteuerlichen Leistungsempfänger im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden nicht von vornherein ausgeschlossen ist, auch wenn der BFH der Reemtsma-Entscheidung jedenfalls dann keine Erstattungsverpflichtung des Fiskus entnehmen kann, wenn die Steuer gar nicht an ihn entrichtet worden war. Ob diese Feststellung auch auf den Fall der vorliegenden Erstattung des Finanzamts an die Insolvenzmasse nach Rechnungsberichtigung ausgedehnt werden kann, könnte nach Auffassung des BFH davon abhängen, ob der Fiskus zur Erstattung an den Leistenden verpflichtet war oder ob er ausnahmsweise die Zustimmung zur Rechnungsberichtigung und damit die Erstattung hätte verweigern können, weil sie zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse geführt hätte. Es erscheint dem BFH nicht fernliegend, dazu ein neuerliches Vorabentscheidungsersuchen, nicht zuletzt im Hinblick auf das vom Insolvenzverwalter hervorgehobene Gläubigergleichbehandlungsgebot des Insolvenzrechts, an den EuGH zu richten.

In vergleichbaren Fällen sollten die Betroffenen also in jedem Fall einen Billigkeitsantrag nach den §§ 163 und 227 AO an ihr zuständiges Finanzamt richten. Der Billigkeitsweg erscheint als guter Ansatz zur Herstellung der Neutralität der Umsatzsteuer. Allerdings sind dabei auch einige Voraussetzungen zu beachten, so dass es zu empfehlen ist, sich in derartigen Fällen fachkundig beraten zu lassen. Es erscheint zudem als sehr wahrscheinlich, dass der BFH den EuGH in einem solchen Fall um Vorabentscheidung bitten wird.