EuGH verneint erneut Untersagung des Vorsteuerabzugs bei Erfüllung materieller Anforderungen auch wenn bestimmte formelle Anforderungen nicht erfüllt sind

Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 25.10.2018, C-69/17,Siemens Gamesa Renewable Energy România SRL, vormals Gamesa Wind România S.R.L.

Praxisproblem

Bei dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Vereinbarkeit des rumänischen Verfahrensrechts mit der MwStSystRL in dem Zusammenhang, dass der Vorsteuerabzug auf Eingangsleistungen versagt wird, die in Zeiträumen erbracht werden, in denen die MwSt-Identifikationsnummer des Unternehmers „inaktiv“ ist.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine rumänische Gesellschaft, deren Geschäftsgegenstand die Montage, Installation und Unterhaltung von Windparks ist. Die Klägerin bezog für ihre unternehmerische Tätigkeit von in Rumänien und im EU-Ausland ansässigen und steuerlich registrierten Unternehmern Leistungen und machte daraus den Vorsteuerabzug geltend. Ab Oktober 2010 wurde die Klägerin von der Finanzverwaltung zur „inaktiven Steuerpflichtigen“ erklärt, da sie während eines Kalenderhalbjahres keine der gesetzlich vorgesehenen Erklärungspflichten erfüllt habe. Im Mai 2011 wurde die Klägerin dann wieder mehrwertsteuerlich reaktiviert und erneut registriert. In 2015 führte die Verwaltung eine Außenprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum Mai 2009 bis Dezember 2013 durch. Aufgrund der Prüfung versagte die Verwaltung den Vorsteuerabzug auf die Eingangsleistungen in dem Zeitraum, in dem die Klägerin mehrwertsteuerlich „inaktiv“ war. Die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, Vorsteuer auf Eingangsleistungen, die in dem Zeitraum anfielen, in dem sie für inaktiv erklärt gewesen sei, abzuziehen, nachdem sie erneut mehrwertsteuerlich für aktiv erklärt und registriert worden sei, und zwar unabhängig davon, ob die zugehörigen Rechnungen während des genannten Zeitraums oder nach diesem Zeitraum ausgestellt worden seien.

Nach Ansicht der Klägerin stellt der Umstand, dass Unternehmer aus mehrwertsteuerlicher Sicht für inaktiv erklärt werden, zwar eine Art der Sanktionierung der Steuerpflichtigen dar, jedoch werde dadurch deren Eigenschaft als Unternehmer nicht aufgehoben, da sie weiterhin ihre wirtschaftliche Tätigkeit ausübten und verpflichtet seien, für alle Ausgangsleistungen MwSt zu vereinnahmen und an den Staatshaushalt abzuführen. Die Vorsteuer auf Umsätze, die in dem Zeitraum ausgeführt würden, in dem die Klägerin aus mehrwertsteuerlicher Sicht für inaktiv erklärt sei, könne während dieses Zeitraums nicht abgezogen werden, jedoch sei es der Klägerin nicht untersagt, diesen Abzug vorzunehmen, nachdem sie erneut als mehrwertsteuerpflichtig registriert worden sei. Die Verweigerung des Rechts auf Vorsteuerabzug in Bezug auf Einkaufsrechnungen, die während des Zeitraums der Inaktivität bzw. nach der Reaktivierung für während des Zeitraums der Inaktivität der Gesellschaft erbrachte Eingangsumsätze ausgestellt würden, beeinträchtige den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Wenn ein Unternehmer gemäß dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Salomie/Oltean (C-183/14) berechtigt sei, die Vorsteuer für Erwerbe abzuziehen, die vor der mehrwertsteuerlichen Registrierung getätigt worden seien, müsse ein Steuerpflichtiger, der vorübergehend aus mehrwertsteuerlicher Sicht inaktiv gewesen sei, nach der Reaktivierung seiner MwSt-Identifikationsnummer erst recht zum Abzug der Vorsteuer für während des Zeitraums der Inaktivität ausgeführte Umsätze berechtigt sein.

Entscheidung

Der EuGH hat mit Bezug auf seine ständige Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug entschieden, dass es unionsrechtlich unzulässig ist, wenn die Steuerverwaltung einem Unternehmer, der in einem Zeitraum Erwerbe getätigt hat, in dem seine USt-IdNr. gelöscht war, weil er keine Steuererklärungen abgegeben hatte, das Recht auf Vorsteuerabzug für diese Erwerbe mittels nach der Reaktivierung seiner USt-IdNr. erstellter Mehrwertsteuererklärungen oder ausgestellter Rechnungen allein aus dem Grund versagt, dass die Leistungsbezüge während des Zeitraums der Deaktivierung stattfanden, obwohl die materiellen Anforderungen für den Vorsteuerabzug erfüllt waren und das Vorsteuerabzugsrecht nicht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird.

Praxishinweis

Das UStG kennt keine dem rumänischen Recht vergleichbare Vorsteuerausschlüsse bzw. mit dem rumänischen Registrierungs-/Deregistrierungsverfahren vergleichbare Verfahrensvorschriften nicht kennt. Aber die Entscheidung hat dennoch Bedeutung, da die Vorsteuerabzugsgrundsätze hervorgehoben werden.

Mit Urteil v. 09.07.2015, C-183/14, Salomie/Oltean, hatte der EuGH bereits entschieden (was er nunmehr bestätigt), dass der Vorsteuerabzug ein zentrales Kriterium des Mehrwertsteuersystems ist und dieser nicht mit der Begründung verweigert werden kann, der Unternehmer sei im Zeitpunkt des Leistungsbezugs noch nicht für MwSt-Zwecke registriert gewesen. Der EuGH hat seine ständige Rechtsprechung bestätigt, die in Art. 214 MwStSystRL vorgesehene Mehrwertsteuer-Identifikation sowie die in Art. 213 MwStSystRL vorgesehene Pflicht des Steuerpflichtigen, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit anzuzeigen, stellten nur Kontrollzwecken dienende Formerfordernisse dar, die insbesondere das Vorsteuerabzugsrecht nicht in Frage stellen dürfen, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen. Danach war im Ausgangsverfahren der Vorsteuerabzug auf Eingangsleistungen ungeachtet der Deregistrierung des Klägers in dem betreffenden Zeitraum zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH erfordert das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Unternehmer bestimmte formelle Anforderungen nicht erfüllt hat.

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