BFH zu den Voraussetzungen des guten Glaubens beim Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG

Voraussetzungen des guten Glaubens bei der Inanspruchnahme von Vertrauensschutz bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung

BFH, Urt. v. 25.04.2013, V R 28/11

Praxisproblem

Unter dem Stichwort „innergemeinschaftliche Lieferung“ finden sich gegenwärtig alleine im Rechtsportal „juris“ 4.017 Treffer. Insbesondere im Bereich des Kfz-Handels besteht für die Finanzverwaltung der Konflikt, der Bewegungsfreiheit unredlicher Unternehmer nachzukommen. Auf der anderen Seite stehen die redlichen Unternehmer, die unter strengen Maßstäben die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. §§ 17a ff UStDV nachweisen müssen. Dieser Konflikt wird um einen weiteren Baustein verschärft, wenn Verträge nicht länger unter Anwesenden, sondern vermehrt unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel wie Mobiltelefonen, E-Mails oder Telefaxgeräten geschlossen werden. Dies ermöglicht es, Verträge nicht notwendig am Ort des Geschäftssitzes bei gegenwärtiger Anwesenheit beider Vertragspartner abzuschließen.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Anforderungen an die Tatbestandsvoraussetzung „der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ zu stellen sind, wenn die Geschäftsanbahnung unter ausschließlicher Anwendung von Mobiltelefonen und Telefax und nicht am Geschäftssitz vorgenommen wird.  Der BFH konkretisiert, was er unter kaufmännische Sorgfaltspflichten „bis zur Grenze der Zumutbarkeit“ versteht.

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt einen KfZ-Handel. Im Jahr 2004 verkaufte sie zwei PKWs an eine in Luxemburg ansässige GmbH. Dabei ging sie davon aus, dass die Lieferung der beiden Fahrzeuge als innergemeinschaftliche Lieferung nach Luxemburg steuerfrei sei.

Die Abwicklung der Kaufverträge spielte sich im Einzelnen wie folgt ab: Die Klägerin bot die beiden Fahrzeuge im Internet zum Verkauf an. Für die Käuferin meldete sich eine natürliche Person (KP), die sich als Geschäftsführer der GmbH ausgab und gemäß den Angaben ihres Personalausweises im Inland ansässig war. Die vorhergehenden Vertragsverhandlungen erfolgten über ein Mobiltelefon und ein Telefaxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses lagen der Klägerin folgende Unterlagen seitens der GmbH vor:

  1. Ein Auszug aus dem Handels- und Gesellschaftsregister für die GmbH, welches KP als Geschäftsführer auswies;
  2. Ein Schreiben mit Briefkopf der GmbH mit folgendem handschriftlichen Hinweis „Vollmacht. Bitte Herrn L Kfz-Brief und Schlüssel aushändigen. Herr L. hat Kaufpreis in bar dabei“;
  3. Eine auf L ausgestellte Vollmacht ohne Datum
  4. Kopien des auf KP ausgestellten Personalausweises.

Sowohl das Schreiben auf dem Briefkopf der GmbH als auch die auf den L lautende Vollmacht waren mit einer aus dem Ausweis des KP ersichtlichen ähnlichen Unterschrift unterzeichnet. Das Bundeszentralamt für Steuern bestätigte der Klägerin die Gültigkeit der für die GmbH erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Die Klägerin händigte daraufhin die beiden Fahrzeuge an L aus. L bestätigte durch Unterschrift auf den Rechnungsdoppeln, die beiden Fahrzeuge nach Luxemburg zu befördern. Den Kaufpreis beglich L in bar. Der tatsächliche Verbleib der beiden Fahrzeuge blieb ungeklärt. Die Personaldokumente waren gefälscht.

Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung vertrat die Beklagte die Ansicht, dass die beiden Fahrzeuglieferungen steuerpflichtig seien. Demgegenüber ist die Klägerin der Ansicht, dass die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG zu ihren Gunsten einschlägig sei.

Das FG hat der Klage stattgegeben und entschieden, dass die Lieferung der beiden Fahrzeuge steuerfrei sei. Obwohl die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG 1999 nicht vorlägen, sei die Lieferung gem. § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei, da die Klägerin die Fälschungen der Personalausweise nicht habe erkennen können. Auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen treffe die Klägerin auch keine weitergehende Erkundigungspflicht über die GmbH.

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 1 lit. b) i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind.

Möchte der Unternehmer in den Genuss der Steuerbefreiung kommen, ist es gem. § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV seine Aufgabe nachzuweisen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 6a Abs. 1 UStG erfüllt sind. Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vorliegen, wird die Lieferung gem. § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei behandelt, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.

Zur Bestimmung des Maßstabs der erforderlichen Sorgfalt bezieht sich der BFH auf das Urteil des EuGH vom 6. September 2012 in der Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona. Danach muss der Lieferer in gutem Glauben handeln und alle Maßnahmen ergreifen, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Nach dem EuGH ist es gerechtfertigt, das Recht der Verkäuferin auf Mehrwertsteuerbefreiung von ihrer Gutgläubigkeit abhängig zu machen, wenn eine Steuerhinterziehung der Erwerberin vorliegt. Um festzustellen, ob der Lieferer in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass er sich aufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat, so der EuGH,  sind alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen. Die Rechtsprechung des BFH übernimmt diesen Sorgfaltsmaßstab und konkretisiert ihn dahingehend, dass es – soweit der Sachverhalt dazu Anlass gibt – erforderlich ist, dass der Unternehmer „Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit“ durchführt.

Die zur Steuerpflicht führende Bösgläubigkeit könne sich nach Ansicht des BFH dabei auch aus Umständen ergeben, die nicht im Zusammenhang mit den Beleg- und Buchangaben stehen. Dabei schließen ungewöhnliche Umstände wie z.B. ein Barverkauf hochwertiger Wirtschaftsgüter mit „Beauftragten“ ohne Überprüfung der Vertretungsmacht nicht bereits für sich allein die Anwendung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG aus, sondern seien bei der Würdigung zu berücksichtigen, ob der Unternehmer mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt habe (BFH, Urteil in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, Rn. 69).

Da der Kontakt zum Abschluss der beiden Kaufverträge nicht über den Geschäftssitz der GmbH angebahnt wurde, sondern auf der Abnehmerseite ausschließlich über ein Mobiltelefon und ein Telefaxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl ausgeführt wurde, hätte die Klägerin bei der Beachtung der erforderlichen Sorgfalt aufgrund dieser Umstände am Vorliegen einer Geschäftsbeziehung zu einer in Luxemburg ansässigen Gesellschaft zweifeln müssen. Ohne die Anforderungen zu konkretisieren, unter denen die gem. § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG erforderliche Sorgfalt vorliegt, stellte der BFH darauf ab, dass die Klägerin nur dann mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt hätte, wenn sie bei Anbahnung einer erstmaligen Geschäftsbeziehung zur GmbH zumindest auch den Kontakt über deren Geschäftssitz in Luxemburg gesucht hätte.

Praxishinweis

Mit der vorliegenden Entscheidung führt der BFH seine Rechtsprechung zur Frage der gem. § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG erforderlichen Sorgfalt um eine Einzelfallentscheidung fort, ohne verbindlich und enumerativ zu entscheiden, was alles unter der erforderlichen Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu verstehen ist. War für die Frage der Sorgfaltspflichten nach früheren Entscheidungen vor allem die formelle Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben maßgeblich, rückt diese Entscheidung die materielle Nachforschungspflicht in den Fokus der Pflichten des Unternehmers. Dem Urteil ist dennoch zu entnehmen, dass die kaufmännischen Sorgfaltspflichten „bis zur Grenze der Zumutbarkeit“ erbracht werden müssen. Wie weitrechend diese Anforderungen sind verdeutlicht der Entscheidungssachverhalt. Über die Buch- und Belegdokumentation hinaus soll die Existenz der Warenabnehmer überprüft werden, so dass auch aus den weiteren Umständen der Geschäftsanbahnung Rückschlüsse über den Abnehmer gezogen werden müssen. Dies ist in einem normalen Geschäftsbetrieb mit Massenverfahren schwerlich realisierbar, aber vom BFH gefordert. Jeder Unternehmer sollte im Bereich des des grenzüberschreitenden Warenhandels seinen Handlungsbedarf prüfen, um Betrugsrisiken zu minimieren. Hierbei u.a. Checklisten, Arbeitsanweisungen, klare Auftragsannahmeprozesse und automatisierte Prüfverfahren sehr dienlich sein.