EuGH-Urteil zur Vorsteuerberichtigung bei fehlgeschlagener Option

Option zur Steuerpflicht bei Grundstückslieferungen, Vorsteuerberichtigung bei fehlgeschlagener Option, Keine Möglichkeit der Nacherhebung von MwSt aus einer Vorsteuerberichtigung auf Seiten des Grundstückserwerbers

EuGH, Urteil vom 10.10.2013, C-622/11 (Pactor Vastgoed BV)

Praxisproblem

Das nachfolgende Urteil betrifft die Frage bei wem eine Rückforderung von Umsatzsteuer/Vorsteuer erfolgen kann, wenn unzutreffenderweise für Grundstückslieferungen auf die Steuerbefreiung verzichtet wurde und daher fehlerhaft ein Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen geltend gemacht wurde. Der EuGH hatte die Frage zu klären, ob dann eine Rückforderung gegenüber dem Grundstückserwerber auch für Vorsteuerabzugsbeträge des Veräußerers möglich ist.

Sachverhalt

Bei dem Verfahren ging es um die nach niederländischem Recht mögliche Nacherhebung von MwSt. aus einer Grundstückslieferung beim Erwerber, wenn der infolge eines Grundstücksverkaufs geltende gemachte Vorsteuerabzug auf Seiten des Veräußerers berichtigt wird, weil die Voraussetzungen der Option zur Steuerpflicht für die Veräußerung des Grundstücks nicht vorliegen. Streitig war die Auslegung von Art. 20 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 184 und 186 MwStSystRL). Dessen einleitender Satz bestimmt, dass der ursprüngliche Vorsteuerabzug nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt wird. Hierbei handelt es sich um die Berichtigung des von einem Unternehmer nach Art. 17 der 6. EG-Richtlinie vorgenommenen Abzugs der ihm in Rechnung gestellten MwSt. Im vorliegenden Verfahren stellte sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten bestimmen können, dass die Berichtigungs-MwSt bei einem anderen als dem Unternehmer, der die MwSt. ursprünglich als Vorsteuer abgezogen hat, erhoben wird.

Der Klägerin hatte am 5.1.2000 eine Immobilie erworben, für deren Verkauf der Veräußerer zur Umsatzsteuerpflicht (Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Nr. 2 des NL-UStG) optiert hatte. Der Veräußerer hatte die Immobilie einige Jahre zuvor – ebenfalls unter Anwendung der Option – erworben und die MwSt. aus dem Kaufpreis als Vorsteuer abgezogen. Die Klägerin vermietete die Immobilie ab April 2000 steuerfrei und veräußerte sie im Juli 2000 ebenfalls steuerfrei. Die niederländische Verwaltung war daher der Auffassung, nach Art. 6 Abs. 4 der NL-UStDV, dass für die Lieferung der Immobilie an die Klägerin die Voraussetzungen der Option nicht vorgelegen hätten und die Lieferung steuerfrei gewesen sei (nach niederländischem Recht ist mit Wirkung vom 31.3.1995 die Option bei Grundstückslieferungen auf Lieferungen an Unternehmer beschränkt, die das Grundstück in vollem oder nahezu vollem Umfang für vorsteuerunschädliche Ausgangsumsätze nutzen). Die daraus zu Lasten des Veräußerers entstehende Vorsteuerberichtigung wurde mittels einer Steuernacherhebung nach Art. 12a des NL-UStG bei der Klägerin vorgenommen (Berichtigungs-MwSt). Nach dieser Vorschrift, die den Fall einer ungerechtfertigten Option regelt, wird die Vorsteuer, die im Zusammenhang mit einer Grundstückslieferung durch den Lieferanten abgezogen worden ist, beim Erwerber nacherhoben.

Diese Regelung beruht offensichtlich auf der Ratsentscheidung 88/498/EWG v. 19.7.1988 zur Ermächtigung des Königreichs der Niederlande, eine von Art. 21 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie abweichende Maßnahme einzuführen (ABl. EG 1988 Nr. L 269, S. 54). Mit dieser Sonderermächtigung des Rates war es den Niederlanden gestattet worden, in Abweichung von Art. 21 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie im Rahmen der in Art. 13 Teil C Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie vorgesehenen Optionsregelung für die in Art. 13 Teil B Buchst. g und h der 6. EG-Richtlinie genannten Umsätze (Lieferungen von Gebäuden und von unbebauten Grundstücken) eine Vorschrift anzuwenden, nach der der Käufer zum MwSt-Schuldner wird (Reverse-Charge). Die Ratsentscheidung 88/498 war durch die Richtlinie 2006/69/EG des Rates v. 24.7.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/388 zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer sowie zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen (ABl. EU 2006 Nr. L 221, S. 9) mit Wirkung v. 1.1.2008 aufgehoben worden. Stattdessen war in Art. 21 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie u.a. die für alle Mitgliedstaaten geltende Möglichkeit der Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger in Fällen der steuerpflichtigen Grundstückslieferungen eingeführt worden.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Vorsteuerberichtigungsregelung in Art. 20 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (danach wird der ursprüngliche Vorsteuerabzug berichtigt, wenn er höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war) dahin auszulegen ist, dass bei einer Berichtigung des von einem Unternehmer ursprünglich vorgenommenen Vorsteuerabzugs zu dessen Lasten dieser Unternehmer und kein anderer die Berichtigungslast zu tragen hat. Dies ergibt sich für den EuGH aus der Systematik und dem Zweck des Vorsteuerabzugs, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung von Gegenständen und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen. Der Berichtigungsmechanismus ist Bestandteil der Vorsteuerabzugsregelungen. Somit können die Mitgliedstaaten nach Art. 20 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie nicht frei entscheiden, welcher Unternehmer bei Vorsteuerberichtigungen im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Grundstücksumsätzen die daraus entstehende Zahllast zu tragen hat.

Die Niederlande hatten vorgetragen, es sei für einen Grundstückslieferanten ungerecht, wenn dieser zu einer Vorsteuerberichtigung aus der Anschaffung des gelieferten Grundstücks gezwungen werde, wenn auf Seitens des Käufers entgegen seiner ursprünglichen Erklärung, das Grundstück für vorsteuerunschädliche Zwecke nutzen zu wollen, die Voraussetzungen der Option des Veräußerers nicht erfüllt seien. Hierauf entgegnet der EuGH, dass die Mitgliedstaaten zwar gemäß Art. 13 Teil C Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie die Möglichkeit haben, den Umfang des Optionsrechts einzuschränken und die Modalitäten seiner Ausübung zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten dürfen aber bei Anwendung der Optionsregelung dem Unternehmer keine Verpflichtungen auferlegen, die über das hinausgehen, was nach dem Unionsrecht zulässig ist. Eine solche übermäßige Belastung sieht der EuGH im Vorlagefall nicht, weil das niederländische Recht bestimmt, dass der Erwerber einer Immobilie im Fall der Option durch den Veräußerer die Immobilie für Zwecke besteuerter (d.h. steuerpflichtiger) Umsätze verwenden muss.

Der EuGH sieht auch in der Ratsermächtigung 88/498/EWG v. 19.7.1988 keine Rechtsgrundlage, den Erwerber der Immobilie mit der MwSt aus der Vorsteuerberichtigung auf Seiten des Veräußerers zu belasten. Die Ratsentscheidung ermächtigte die Niederlande lediglich bei steuerpflichtigen Grundstückslieferungen die Steuerschuld auf den Erwerber zu verlagern (Reverse-Charge). Daraus ergibt sich nicht automatisch auch die Möglichkeit den Erwerber auch mit der MwSt aus der Vorsteuerberichtigung auf Seiten des Veräußerers zu belasten.

Praxishinweis

Der EuGH musste prüfen, ob aus den Art. 17 Abs. 2, 22 Abs. 4 Buchst. b und 20 der 6. EG-Richtlinie zusammen genommen zu folgern ist, dass in Fällen, in denen die Berichtigung eines Vorsteuerabzugs erforderlich ist, diese Berichtigung bei dem Unternehmer vorzunehmen ist, der den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat. Dies hat der EuGH bejaht. Die 6. EG-Richtlinie räumt eine Befugnis zur Erhebung der infolge der Berichtigung von Vorsteuer geschuldeten Steuer bei einem anderen Unternehmer - wie es nach Art. 12a des NL-UStG möglich ist - nicht ein. Eine entsprechende Sonderermächtigung des Rates nach Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie bestand für die Niederlande nicht. Es ist den Mitgliedstaaten nicht möglich, in Optionsfällen frei zu bestimmen, bei wem die Berichtigungs-MwSt (nach)erhoben wird. Zwar wird der ursprüngliche Vorsteuerabzug nach Art. 20 Abs. 1 einleitender Satz der 6. EG-Richtlinie nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt. Diese Berichtigung kann nach dem vorliegenden Urteil aber nur bei dem Unternehmer erfolgen, der den ursprünglichen Vorsteuerabzug geltend gemacht hat. Ein Reverse-Charge-Verfahren für eine Vorsteuerberichtigung kommt nach dem Unionsrecht nicht in Betracht.

Das deutsche Recht ist von dem Urteil nicht unmittelbar betroffen, weil es die Möglichkeit der Rückforderung von Vorsteuern bei einem anderen Unternehmer als dem, der die Steuer ursprünglich abgezogen hat, nicht kennt.

In Fällen von Grundstückslieferungen wie im vorliegenden Fall ist nach deutschem Recht die Option zur Steuerpflicht lediglich davon abhängig, dass die Grundstücklieferung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen bewirkt wird (§ 9 Abs. 1 UStG). Anders als z.B. bei Grundstücksvermietungen setzt die Option bei Grundstückslieferungen nicht voraus, dass der Erwerber mit dem Grundstück keine vorsteuerschädlichen Umsätze ausführt. Voraussetzung für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung der in § 9 Abs. 1 UStG genannten Umsätze (also z.B. Grundstückslieferungen) ist, dass steuerbare Umsätze von einem Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden bzw. eine entsprechende Verwendungsabsicht besteht (BFH-Urteil vom 17. 5. 2001, V R 38/00, BStBl 2003 II S. 434). Diese Verwendungsabsicht muss der Unternehmer objektiv belegen und in gutem Glauben erklären (BFH-Urteil vom 22. 3. 2001, V R 46/00, BStBl 2003 II S. 433, vgl. Abschnitt 15.12). Eine Option ist nicht zulässig, soweit der leistende Unternehmer das Grundstück oder der Leistungsempfänger das Grundstück zulässigerweise anteilig nicht seinem Unternehmen zugeordnet hat oder zuordnen konnte (vgl. BFH-Urteile vom 20. 7. 1988, X R 6/80, BStBl II S. 915, und vom 28. 2. 1996, XI R 70/90, BStBl II S. 459). Eine Teiloption kommt z.B. bei Gebäudelieferungen, insbesondere bei unterschiedlichen Nutzungsarten der Gebäudeteile, in Betracht. Unter Zugrundelegung unterschiedlicher wirtschaftlicher Funktionen ist auch eine Aufteilung nach räumlichen Gesichtspunkten (nicht dagegen eine bloße quotale Aufteilung) möglich (vgl. BFH-Urteil vom 26. 6. 1996, XI R 43/90, BStBl 1997 II S. 98). Bei der Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden kann die Option für eine Besteuerung nur zusammen für die Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund und Boden ausgeübt werden (EuGH-Urteil vom 8. 6. 2000, C-400/98, BStBl 2003 II S. 452).

Maßgeblich für die Möglichkeit zur Option bei Grundstückslieferungen sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Lieferung. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Voraussetzungen der Option nicht gegeben waren, ist ein aufgrund der Ausübung der Option auf Seiten des Veräußerers erfolgter Vorsteuerabzug (nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Lieferung) zu korrigieren. Dies kann ein Fall der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG sein, wenn aufgrund der fehlgeschlagenen Option das Grundstück als steuerfrei geliefert zu behandeln ist und daher von einer steuerfreien Verwendung bis zum Ende des Berichtigungszeitraums auszugehen ist. Die Vorsteuerberichtigung erfolgt beim liefernden Unternehmer.

Eine Option zur Steuerpflicht bei Vermietungsumsätzen i.S.v. § 4 Nr. 12 UStG ist nur zulässig, wenn der Unternehmer die Absicht zur steuerpflichtigen Verwendung durch den Leistungsempfänger nachweist. Hierbei trifft den Unternehmer eine Verifizierungspflicht, ob sich der Leistungsempfänger tatsächlich auch entsprechend verhält. Der Nachweis der steuerpflichtigen Verwendung i.S.v. § 9 Abs. 2 UStG erfordert den sog. Vollbeweis. Eine bloße Glaubhaftmachung ist nicht ausreichend (vgl. FG Köln v. 13.8.2007, 5 K 1866/05, EFG 2008, 174). In der Praxis werden regelmäßig Schadensersatzpflichten vereinbart, nach der der Mieter dem Vermieter den Schaden ersetzen muss, der entsteht, wenn der Vermieter wegen der optionsschädlichen Nutzung des Grundstücks nicht (mehr) berechtigt ist, Vorsteuerbeträge geltend zu machen.