BFH: Kein Vorsteuerabzug, wenn in der zugrunde liegenden Rechnung lediglich ein Scheinsitz des Leistenden angegeben ist

Anmerkung zu: BFH, Beschl. v. 08.07.2015, XI B 5/15, Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei Lieferungen und sonstigen Leistungen

Praxisproblem

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist nur die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehbar. Somit muss die Lieferung oder sonstige Leistung von einem Unternehmer ausgeführt worden sein. Die Rechnung muss für Zwecke des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers grundsätzlich vom leistenden Unternehmer oder vom Leistungsempfänger (Gutschrift) ausgestellt sein. Der Unternehmer, der die Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt hat, muss in der Rechnung (Abrechnungspapier) grundsätzlich mit seinem wirklichen Namen bzw. mit der wirklichen Firma angegeben sein (vgl. auch § 31 Abs. 2 UStDV). Bei der Verwendung eines unzutreffenden und ungenauen Namens (z.B. Scheinname oder Scheinfirma) kann nach bisheriger Auffassung der Finanzverwaltung der Vorsteuerabzug ausnahmsweise zugelassen werden, wenn der tatsächlich leistende Unternehmer eindeutig und leicht nachprüfbar aus dem Abrechnungspapier ersichtlich ist (vgl. BFH, Urt. v. 07.10.1987, X R 60/82, BStBl. II 1988, 34).

Sachverhalt

In dem dem BFH-Beschluss v. 08.07.2015,  XI B 5/15 zugrunde liegenden Fall hatte das Finanzamt dem Kläger den Vorsteuerabzug aus der Rechnung einer X-GmbH v. 28.11.2005 und einer Y-GmbH v. 14.12.2006 versagt. Das FA nahm an, die X-GmbH sei eine „Briefkastenfirma“, die tatsächlich nicht wirtschaftlich tätig gewesen sei. Es sei nicht glaubhaft, dass die X-GmbH die abgerechneten Leistungen erbracht habe. Auch die Y-GmbH habe die abgerechneten Leistungen nicht erbracht; sie sei schon im November 2006 wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht worden.

Das FG hatte die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das FG entschied, die X-GmbH habe unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift keinen Geschäftssitz gehabt und unter dieser Anschrift keine Geschäftstätigkeit in irgendeiner Form ausgeübt. Es bestünden außerdem Zweifel, ob die X-GmbH die in Rechnung gestellten Leistungen erbracht habe. Ebenso habe die Y-GmbH keinen Sitz an der in der Rechnung genannten Adresse gehabt. Die Gesellschaft sei seit November 2006 gelöscht und ihr Gewerbe überdies unter einer anderen Anschrift angemeldet gewesen. Zudem bestünden hinsichtlich der Y-GmbH Zweifel, ob diese die abgerechneten Leistungen erbracht habe.

Entscheidung

Der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet abgewiesen. Eine Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als ein anderes Gericht. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Eine solche Divergenz liegt im Streitfall nach dem BFH-Beschluss nicht vor. Das FG hat nach dem BFH-Beschluss zulässigerweise den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der Vorsteuerabzug scheide aus, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz tatsächlich nicht bestanden hat. Die Angabe einer Anschrift, an der keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht nicht aus. Auch hält der BFH nach wie vor an dem Rechtsgrundsatz fest, dass der Steuerpflichtige die objektive Feststellungslast für die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs trägt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 21.06.2012, C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, BFH/NV 2012, 1404) jedenfalls hinsichtlich der Frage, ob die in der Rechnung ausgewiesene Leistung bewirkt worden ist.

Nach dem BFH-Beschluss war die Rechtsfrage (als möglicher weiterer Revisionszulassungsgrund, der Fortbildung des Rechts), ob beim Vorsteuerabzug der Schutz des guten Glaubens nicht erst im Billigkeitsverfahren, sondern bereits im Festsetzungsverfahren zu erfolgen hat, im Streitfall nicht klärbar.

Praxishinweis

Beachtlich ist, dass der BFH nach wie vor davon ausgeht, dass die objektive Feststellungslast für die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs auf Seiten des Unternehmers liegt, der den Vorsteuerabzug begehrt. Der Unternehmer muss z.B. darlegen können, dass die in der Rechnung beschriebene Leistung tatsächlich an ihn bewirkt worden ist.  Davon zu unterscheiden ist der Fall bzw. die Frage, ob der Vorsteuerabzug bei ansonsten gegebenen Voraussetzungen (insbesondere bei tatsächlichem Leistungsbezug) versagt werden kann, wenn der Unternehmer außer der Rechnung des Leistenden kein Dokument besitzt, aus dem sich ergibt, dass der leistende Unternehmer die Leistung erbringen konnte bzw. die Finanzverwaltung – auf der Grundlage einer verschuldensunabhängigen Haftung – das Recht auf Vorsteuerabzug beschränken oder entziehen kann. Hierzu hat der EuGH mit Urteil v. 21.06.2012, C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, BFH/NV 2012, 1404, entschieden, die Steuerverwaltung könne von dem Unternehmer nicht generell verlangen, zum einen zu prüfen, ob der Rechnungsaussteller Unternehmer ist, über die Liefergegenstände verfügte und sie liefern konnte und seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der Mehrwertsteuer nachgekommen ist, um sich zu vergewissern, dass auf einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorliegen, oder zum anderen entsprechende Unterlagen vorzulegen. Es ist grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Unternehmern die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken und gegen den Unternehmer, der diese Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung begangen hat, Sanktionen zu verhängen. Nur wenn der Unternehmer, der eine Leistung von einem Dritten bezieht, wusste oder hätte wissen müssen, dass die Leistung Gegenstand eines Mehrwertsteuer-Betrugs ist, kann ihm der Vorsteuerabzug verweigert werden. Die Finanzbehörde kann die ihr obliegenden Kontrollaufgaben grundsätzlich nicht auf die Unternehmer abwälzen. In bestimmten Einzelfällen kann der Unternehmer jedoch verpflichtet sein, sich von den Verhältnissen seines Auftragnehmers ein Bild zu machen.