EuGH zu Vorumsätzen in der Seeschifffahrt

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 03.09.2015, C-526/13 , Fast Bunkering Klaipėda UAB

Praxisproblem

Bei Vorumsätzen in der Seeschifffahrt hängt die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 UStG grundsätzlich davon ab, auf welcher Handels- oder Dienstleistungsstufe die jeweilige Leistung erfolgt. Die Steuerbefreiung ist davon abhängig, dass die Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes bewirkt werden. Die Lieferung eines Wasserfahrzeuges i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist auch dann umsatzsteuerfrei, wenn die Lieferung an einen Unternehmer erfolgt, der das Wasserfahrzeug zum Zweck der Überlassung an einen Betreiber eines Seeschiffes oder die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zu deren ausschließlicher Nutzung erwirbt und diese Zweckbestimmung im Zeitpunkt der Lieferung endgültig feststeht und vom liefernden Unternehmer nachgewiesen wird. Die Steuerbefreiung kann sich nicht auf Umsätze auf den vorhergehenden Stufen erstrecken (vgl. Abschn. 8.1 Abs. 1 UStAE).

Bei dem litauischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Steuerbefreiung für die Lieferung von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen nach Art. 148 Buchst. a MwStSystRL. Das vorlegende Gericht hielt es im Hinblick auf die bisherige EuGH-Rechtsprechung für zweifelhaft, ob die Steuerbefreiung (Mehrwertsteuer-Nullsatz) in Fällen versagt werden kann, in denen die Lieferung zwar nicht direkt an den Betreiber des Seeschiffes erfolgt, aber ein Kontrollmechanismus besteht, mit dem die Verwendung der Gegenstände belegt werden kann.

Sachverhalt

Das Ausgangsverfahren betraf eine Gesellschaft, die Hochseeschiffe mit Treibstoff beliefert. Die Rechnungsstellung erfolgte dabei allerdings nicht direkt auf die Eigentümer (Betreiber) der Schiffe, sondern auf andere „Mittelspersonen“. Der Erwerb des Treibstoffes erfolgte aus Drittstaaten und unterlag dem Zolllagerverfahren. Daneben unterliegt die klagende Gesellschaft nach litauischem Recht einer Registrierungspflicht für Schiffe, mit denen mehrwertsteuerfreier Treibstoff an Schiffe geliefert werden kann, sowie einer Lizenzpflicht für die betreffende Tätigkeit. Die Treibstofflieferungen unterliegen genauen nationalen Dokumentationspflichten. In dem vorgelegten Fall war die Verwendung des Treibstoffs für den beabsichtigten Zweck unbestritten.

In seinen Urteilen v. 26.06.1990, C-185/89, Velker International Oil Company und v. 14.09.2006, verb. Rs. C-181/04 bis C 183/04, Elmeka hatte der EuGH entschieden, dass die Steuerbefreiung für die Versorgung von Seeschiffen voraussetzt, dass die Leistungen unmittelbar an den Betreiber eines Seeschiffes erbracht werden. Zur Begründung führte der EuGH aus, dass eine Befreiung auf vorausgehenden Handelsstufen von den Mitgliedstaaten die Einführung von Kontroll-und Überwachungsmechanismen hinsichtlich der endgültigen Bestimmung der gelieferten Gegenstände verlangen würde. Dies würde für die Mitgliedstaaten und Wirtschaftsbeteiligten Zwänge schaffen, die mit einer korrekten und einfachen Anwendung der Steuerbefreiungen unvereinbar wären.

Im Ausgangsverfahren machte die klagende Gesellschaft geltend, dass hinsichtlich der getätigten Treibstofflieferungen aufgrund der Durchführung des Zolllagerverfahrens ein solcher Kontroll-und Überwachungsmechanismus bestünde, und die Steuerbefreiung deshalb zu gewähren sei.

Mit Urteil v. 19.07.2012, C-33/11, A Oy hatte der EuGH entschieden, dass die Vorstufenbefreiung für Umsätze in der Luftfahrt (Art. 148 Buchst. f i.V.m. Buchst. e MwStSystRL) auch für die Lieferung eines Luftfahrzeugs an einen Wirtschaftsteilnehmer gilt, der selbst nicht zu den begünstigten Luftfahrtgesellschaften i.S.v. Art. 148 Buchst. e MwStSystRL gehört, sondern das gelieferte Flugzeug zum Zweck der ausschließlichen Nutzung durch eine begünstigte Luftfahrtgesellschaft erwirbt. Er begründete dies mit den Möglichkeiten zur Überwachung und Überprüfung aufgrund bestehender Registrierungs- und Zulassungsverfahren.

Vor diesem Hintergrund fragte das vorlegende Gericht nach der Anwendbarkeit der Steuerbefreiung für die Lieferung von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen nach Art. 148 Buchst. a MwStSystRL auf Lieferungen an nicht bekanntgegebene Mittelspersonen, wenn zum Zeitpunkt der Lieferung die endgültige Verwendung der Gegenstände schon bekannt und ordnungsgemäß belegt ist und der Steuerbehörde im Einklang mit den rechtlichen Vorschriften entsprechende Beweise vorgelegt werden.

Entscheidung

Der EuGH hat seine grundsätzliche Rechtsprechung bekräftigt, dass eine Lieferung von Gegenständen zur Versorgung von Schiffen, um steuerfrei sein zu können, an den Schiffsbetreiber erfolgen und dementsprechend auf der letzten Stufe der Handelskette stattfinden muss. Die in Art. 148 Buchst. a MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung ist grundsätzlich nicht auf Lieferungen an im eigenen Namen handelnde Mittelspersonen wie im Ausgangsverfahren anwendbar, selbst wenn zum Zeitpunkt der Lieferung die endgültige Verwendung der Gegenstände bekannt und ordnungsgemäß belegt ist und der Finanzbehörde im Einklang mit nationalen Rechtsvorschriften entsprechende Nachweise vorgelegt werden.

Etwas anderes kann nach dem Urteil für die streitigen Treibstofflieferungen gelten, wenn die Mittelsperson, auch wenn das Eigentum am Kraftstoff formell auf sie übertragen worden war und angenommen wird, dass sie im eigenen Namen handelte, aber zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, über die gelieferten Mengen zu verfügen, da die Verfügungsgewalt darüber ab dem Einfüllen des Treibstoffs durch die Klägerin den Schiffsbetreibern zustand. In diesem Fall wäre keine Lieferung an die Mittelsperson, sondern unmittelbar an den Schiffsbetreiber erfolgt. Ob dies der Fall war, muss das vorlegende Gericht prüfen.

Der EuGH hat klargestellt, dass seine etwas weitere Auslegung der Steuerbefreiung für Vorumsätze in der Luftfahrt und in der Seeschifffahrt im Urteil v. 19.07.2012, C-33/11, A Oy insbesondere darauf basiert, dass für die Lieferung eines Flugzeugs auf Regelungen zur Registrierung und zu Fluggenehmigungen abgestellt werden kann, die in allen Mitgliedstaaten u.a. aufgrund der Beteiligung der Staaten an dem Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt bestehen. Dieser allen Mitgliedstaaten gleichermaßen bekannte Rechtsrahmen lasse sich für Lieferungen von Versorgungsgütern für Schiffe nicht feststellen. Ein individueller, nur in einem Mitgliedstaat bestehender Mechanismus, wie die tatsächliche Verwendung eines auf einer Vorstufe (noch nicht an den Betreiber eines Schiffes) gelieferten Gegenstands tatsächlich sichergestellt werden kann, reicht nach dem Urteil nicht aus, um auch einen solchen Vorstufenumsatz zu befreien.

Praxishinweis

Das vorliegende Urteil berührt die Anwendung der Steuerbefreiung für die Seeschifffahrt und Luftfahrt nach § 8 Abs. 1 und 2 UStG. Nach den Regelungen in Abschn. 8.1 Abs. 1 und Abschn. 8.2 Abs. 1 UStAE setzt die Steuerbefreiung voraus, dass die Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes bzw. an begünstigte Luftfahrtgesellschaften bewirkt werden. Sie kann sich nicht auf Umsätze auf den vorhergehenden Stufen erstrecken (Umsetzung des EuGH-Urteils C-181/04 bis C 183/04, Elmeka). Dem vorliegenden EuGH-Urteil lag eine besondere Fallkonstellation zu Grunde (Lieferung von Gegenständen, die dem Zolllagerverfahren unterliegen, zur Versorgung von Seeschiffen, Registrierungs- und Lizenzpflicht nach nationalem Recht, dokumentierter und unbestrittener Verwendungszweck), die im deutschen Recht bisher nicht thematisiert wurde. Lediglich für Lieferungen von Luftfahrzeugen und Wasserfahrzeugen bestand nach dem BMF-Schreiben vom 24.01.2008, BStBl. I, 295, bisher eine Ausnahmeregelung. Diese Lieferungen sind abweichend von Abschnitt 8.1 Abs. 1 bzw. 8.2 Abs. 1 UStAE (a.F.) umsatzsteuerfrei. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Zweckbestimmung bezüglich der Wasserfahrzeuge gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG und die Zweckbestimmung bezüglich der Luftfahrzeuge gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 UStG im Zeitpunkt der Lieferung endgültig feststeht und vom Unternehmer nachgewiesen wird. Das BMF-Schreiben v. 24.01.2008 ist mit dem BMF-Schreiben v. 04.04.2014, BStBl. I 2014, 801 und der damit vorgenommen Änderung von Abschn. 8.1 Abs. 1 UStAE perpetuiert worden. Nach der Änderung ist die Lieferung eines Wasserfahrzeuges i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 UStG auch dann umsatzsteuerfrei, wenn die Lieferung an einen Unternehmer erfolgt, der das Wasserfahrzeug zum Zweck der Überlassung an einen Betreiber eines Seeschiffes oder die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zu deren ausschließlicher Nutzung erwirbt und diese Zweckbestimmung im Zeitpunkt der Lieferung endgültig feststeht und vom liefernden Unternehmer nachgewiesen wird. Die Steuerbefreiung kann sich aber nicht auf Umsätze auf den vorhergehenden Stufen erstrecken. Das BMF-Schreiben v. 04.04.2014 gilt nur für Lieferungen von Luftfahrzeugen und von Seeschiffen. Es gilt nicht etwa für Flugzeugteile (wie z.B. Triebwerke), die auf einer vorhergehenden Handelsstufe geliefert werden, selbst wenn solche Teile zulassungs- bzw. registrierungspflichtig sind. Insgesamt ist diese einschränkende Auslegung der Steuerbefreiung durch das vorliegende EuGH-Urteil bestätigt worden.