EuGH zum Begriff der Dienstleistung

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 03.09.2015, C-463/14, Asparuhovo Lake Investment Company OOD

Praxisproblem

Nach der Definition zur Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen (unionsrechtlich: Dienstleistungen) sind sonstige Leistungen alle Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG). Als sonstige Leistung gilt auch jegliche Dauerleistung, die keine Lieferung ist, sowie das entgeltliche Anbieten von Leistungen (Leistungsbereitschaft; vgl. BFH, Urt. v. 27.08.1970, V R 159/66, BStBl. II 1971, 6). Das bulgarische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Frage, wie der Begriff „Dienstleistung“ in Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 Buchst. b MwStSystRL zu verstehen ist und ob exklusive Abonnementverträge über die Erbringung von Beratungsdienstleistungen unter diesen Begriff fallen. Für den Fall, dass dies bejaht wird, sollte festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt bei diesen Verträgen der Steuertatbestand nach Art. 62 bis 64 MwStSystRL eintritt und dementsprechend Mehrwertsteuer für die Erbringung der Dienstleistung zu berechnen ist: mit Ablauf des Zeitraums, für den die Zahlung vereinbart wurde, unabhängig davon, ob die vertraglichen Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden, oder mit der Erbringung dieser Dienstleistungen, wenn der Empfänger sie in Anspruch genommen hat.

Sachverhalt

Die Klägerin hatte den Vorsteuerabzug aus ihr von anderen Gesellschaften in Rechnung gestellten Beratungsdienstleistungen im Bereich der Unternehmensfinanzen, der Unternehmensentwicklung, von Rechtsberatungsleistungen und von Dienstleistungen in Bezug auf Informationssicherheit in Anspruch genommen. In den zugrunde liegenden Verträgen waren die Verpflichtungen der Parteien festgelegt, die zu den Beratungsdienstleistungen gehörenden Tätigkeiten detailliert beschrieben und wöchentliche Vergütungen vereinbart, doch fehlte eine Vereinbarung, wonach die Vergütung an das Erreichen eines Endergebnisses geknüpft gewesen wäre. In den Verträgen verpflichteten sich die Auftragnehmerinnen, an jedem Arbeitstag und bei Bedarf auch außerhalb der Arbeitszeit für Beratungen zur Verfügung zu stehen, und stets dafür zu sorgen, dass eine fachkundige Person bei der Auftraggeberin oder bei einem mit dieser in Beziehung stehenden Dritten anwesend ist. Die Rechnungen, für die von der Klägerin der Vorsteuerabzug ausgeübt wurde, wurden während der Laufzeit der Verträge ausgestellt und bei den Leistenden und der Klägerin verbucht.

Die bulgarische Finanzbehörde hatte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen versagt. Es lägen insbesondere keine Beweise für Art, Umfang und Natur konkret erbrachter Dienstleistungen vor und keine Quelldokumente, die ausgeführte Arbeiten nach Art und Arbeitsstunden belegten.

Sollte bereits, was ebenfalls Vertragsgrundlage war, die Verpflichtung des Auftragnehmers, dem Auftraggeber zur Verfügung zu stehen und es zu unterlassen, vergleichbare Verträge mit Wettbewerbern des Auftraggebers abzuschließen, eine steuerpflichtige Dienstleistung nach der MwStSystRL sein, wollte das Vorlagegericht wissen, ob der Steuertatbestand bei abonnierten Beratungsdienstleistungen mit Ablauf des Zeitraums eintritt, für den die Zahlung vereinbart wurde, ohne dass es darauf ankommt, ob und wie oft der Auftraggeber die Dienstleistungen, für die sich der Berater dem Auftraggeber zur Verfügung gestellt hat, in Anspruch genommen hat, und entsprechend, ob derjenige, der im Rahmen eines Abonnementvertrags über Betreuung die Dienstleistungen erbringt, verpflichtet ist, Mehrwertsteuer für die Dienstleistungen mit Ablauf des Zeitraums zu berechnen, für den die Abonnement-Vergütung vereinbart wurde, oder ob diese Verpflichtung nur entsteht, wenn der Auftraggeber im entsprechenden Steuerzeitraum die Dienstleistungen des Beraters in Anspruch genommen hat.

Nach Auffassung des Vorlagegerichts liegt bereits darin, dass der Berater dem Auftraggeber zur Verfügung steht, eine steuerpflichtige Dienstleistung, ohne dass es darauf ankommt, ob und wie oft der Auftraggeber in dem Zeitraum, für den die Vergütung vereinbart war, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.

Entscheidung

Der EuGH hat – im Wesentlichen unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 21.03.2002, C-174/00, Kennemer Golf – entschieden, dass der Begriff der Dienstleistung in Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL die Fälle von Abonnementverträgen über die Erbringung von Beratungsdienstleistungen, insbesondere im Rechts-, Wirtschafts- und Finanzbereich, gegenüber einem Unternehmen wie dies des Ausgangsverfahrens umfasst, in deren Rahmen sich der Leistende dem Auftraggeber für die Dauer des Vertrags zur Verfügung gestellt hat. Insbesondere ist die Leistungsbereitschaft, für die der Empfänger zahlt (ob pauschal oder wiederkehrend) eine Dienstleistung. Der Umstand, dass die Leistungen weder im Voraus bestimmt noch individualisiert sind und das Entgelt in Form einer Pauschale entrichtet wird, kann den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und der empfangenen Gegenleistung, deren Betrag im Voraus und nach genau festgelegten Kriterien bestimmt wird, nach dem Urteil nicht beeinträchtigen. Die Verpflichtung des Leistenden, es zu unterlassen, einem Wettbewerber des Auftraggebers Dienstleistungen anzubieten, kommt einer Ausschließlichkeitsklausel gleich, die sich in den Abonnementvertrag des Ausgangsverfahrens über Beratungsdienstleistungen einfügt und nichts an der Steuerbarkeit dieses Vertrags ändern kann. Daher war Art. 25 Buchst. b MwStSystRL, der als Dienstleistung auch die „Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen“ regelt, nicht einschlägig.

Zur Steuerentstehung hat der EuGH entschieden, dass es sich im vorliegenden Fall um Dauerleistungen handelt, die nach Art. 64 Abs. 1 zum Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraums als bewirkt gelten. Es kommt dabei nicht darauf an, dass bei Leistungsbereitschaft eine Leistung tatsächlich in Anspruch genommen wurde.

Praxishinweis

Auch aus der Sicht des deutschen Rechts dürfte es sich im entschiedenen Fall um eine Dauerleistung, die im Wesentlichen in einer steuerbaren Leistungsbereitschaft besteht, handeln. Bei zeitlich begrenzten Dauerleistungen, z.B. Duldungs- oder Unterlassungsleistungen (vgl. Abschn. 3.1 Abs. 4 UStAE) ist die Leistung mit Beendigung des entsprechenden Rechtsverhältnisses ausgeführt, es sei denn, die Beteiligten hatten Teilleistungen (vgl. Abschn. 13.4) vereinbart (vgl. Abschn. 13.1 Abs. 3 UStAE). Anzahlungen sind stets im Zeitpunkt ihrer Vereinnahmung zu versteuern (vgl. Abschn. 13.5 UStAE).