Themen

Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 29.2.2024, C-676/22 (B2 Energy)

Steuerbefreiung, innergemeinschaftliche Lieferungen, Nachweis der Steuerbefreiung

Sachverhalt
Bei dem tschechischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung von Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL (Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen) und insbesondere die Nachweisführung für die Steuerbefreiung.

Die Klägerin ist eine tschechische Handelsgesellschaft. Auf der Grundlage einer Prüfung für die Steuerzeiträume Februar bis Mai 2015 gelangte die Steuerbehörde zu dem Schluss, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung mehrerer innergemeinschaftlicher Lieferungen erfüllt seien. Diese seien auf der Grundlage von Steuerunterlagen geltend gemacht worden, in denen als Empfänger der Gegenstände eine O-Genossenschaft und eine B-Gesellschaft (im Folgenden: Empfänger der Gegenstände) aufgeführt waren. Die vorgelegten Unterlagen betrafen die Lieferung von Rapsöl in einen anderen EU-Mitgliedstaat. Die Klägerin legte der Steuerbehörde die Steuerunterlagen zu den erbrachten Leistungen einschließlich ihrer Anlagen in Form von Bestellungen, Lieferscheinen, internationalen Frachtbriefen, Wiegescheinen, Qualitätsmessungsbescheinigungen, Rahmenkaufverträgen, einem Rahmenspeditionsvertrag und Kontoauszügen vor. 

Die Steuerbehörde hatte die tatsächliche Durchführung des Transports der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat nicht bestritten. Sie war jedoch der Ansicht, dass die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass sie die Befähigung, über die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen, auf die Personen übertragen habe, die in den vorgelegten Unterlagen als Empfänger der Gegenstände genannt gewesen seien (O und B). Auch habe sie nicht nachgewiesen, dass die Gegenstände an eine in einem anderen Mitgliedstaat steuerlich registrierte Person geliefert worden seien. Die Abnehmer der Lieferungen hätten den Erwerb von Gegenständen aus der Tschechischen Republik nicht angemeldet - auch nicht die innergemeinschaftliche Lieferung im Wege eines Dreiecksgeschäfts - und keine Erwerbsteuer abgeführt. Die Lieferung der Gegenstände sei auch nicht im Verhältnis zu den Gesellschaften D und W bescheinigt worden, den nach den Angaben der Klägerin tatsächlichen Endabnehmern. Zwar sei auf einigen der vorgelegten CMR-Frachtbriefe und Wiegescheine die Gesellschaft W als Eigentümer der Gegenstände ausgewiesen worden, sie seien jedoch von einer anderen Entität, nämlich WB, unterzeichnet und abgestempelt worden. Die Klägerin habe im Ergebnis eine Lieferung der Gegenstände an W nicht nachgewiesen. 

Die Tatsache, dass die Empfänger (O und B) für das Rapsöl bezahlt hätten, bedeute für sich genommen nicht, dass sie die Befähigung erworben hätten, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen. Einige der internationalen Frachtbriefe, die den für die Empfänger (O und B) ausgestellten Rechnungen beigefügt gewesen seien, seien nicht bestätigt worden, auch nicht von den Endempfängern, oder aber von ganz anderen Entitäten bestätigt worden. Die tatsächliche Lieferung der Gegenstände an die angegebenen Empfänger in einem anderen EU-Mitgliedstaat sei auch von Zeugen nicht bestätigt worden. 

In Bezug auf die Beurteilung des Zeitpunkts, zu dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, entstanden sei, machte die Klägerin zunächst geltend, dass sie, auch wenn sie die Lieferung der Gegenstände an die angegebenen Empfänger (O und B) nicht belegt habe, dennoch alle drei Voraussetzungen für den Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung für die Lieferung von Gegenständen in einen anderen EU-Mitgliedstaat erfüllt habe. Die Identität des tatsächlichen Empfängers, auf den die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, übertragen worden sei, könne nämlich anhand der vorgelegten Beweise festgestellt werden. Diese hätten überzeugend belegt, dass die Gegenstände in Polen tatsächlich von deren Endempfängern übernommen worden seien, wobei es sich um andere als die in den entsprechenden Steuerunterlagen erklärten Gesellschaften gehandelt habe. 

Das tschechische Vorlagegericht war mit der Frage konfrontiert, ob die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung abgelehnt werden kann, wenn der tatsächliche Empfänger der Gegenstände, für die der Lieferer die Befreiung geltend macht, nicht bekannt ist. 

Der Sachverhalt im Ausgangsverfahren zeigte nach Auffassung des Vorlagegerichts, dass die Klägerin Rapsöl in einen anderen Mitgliedstaat transportiert hatte, ohne nachzuweisen, dass es an die angegebenen Empfänger (O und B) geliefert wurde. Die entsprechenden Gegenstände wurden jedoch an konkrete Adressen in einem anderen EU-Mitgliedstaat geliefert, wo ihr Empfang von anderen Wirtschaftsteilnehmern bestätigt wurde. Auf einem CMR-Frachtbrief wurde die Lieferung der Gegenstände, für die als Empfänger O angegeben war, durch Stempel und Unterschrift einer Gesellschaft R bestätigt. Auf den entsprechenden CMR-Frachtbriefen und Wiegescheinen wurde die Lieferung der Gegenstände, für die B als Empfänger angegeben war, vom einem Lagerhalter und von W mit Stempel und Unterschrift bestätigt. Die vorgelegten Wiegescheine für einige der zu beurteilenden Lieferungen wiesen W als Eigentümer der Gegenstände aus und wurden auch von WB abgestempelt und unterzeichnet. 

Darüber hinaus stellte das Vorlagegericht fest, dass der Transport von Rapsöl von Tschechien nach Polen und die anschließende Entladung aus den Tanks des Transportunternehmens durch einen anderen Erwerber, den die Klägerin in ihren Steuererklärungen nicht identifiziert hatte, unstrittig war und die Steuerbehörde ihr den Anspruch auf Steuerbefreiung allein deshalb versagt hatte, weil die Lieferung der Gegenstände an die angegebenen Empfänger nicht nachgewiesen wurde. Darüber hinaus wurde das Rapsöl in Mengen von mehr als zehn Tonnen, d. h. im Wert von mehreren zehntausend Euro, an die Bestimmungsorte geliefert. Es war daher nach Auffassung des Vorlagegerichts schwer vorstellbar, dass die tatsächlichen Erwerber der fraglichen Gegenstände keine Unternehmer waren. 

Aus diesen Gründen stellte sich dem Vorlagegericht die Frage, ob die im EuGH-Urteil Kemwater ProChemie (09.12.2021 - C-154/20) formulierten Schlussfolgerungen im vorliegenden Fall angewandt werden können und ob es zum Nachweis der materiellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung gehört, dass der Steuerpflichtige verpflichtet ist nachzuweisen, dass die Gegenstände von einem bestimmten (von ihm deklarierten) Empfänger übernommen wurden, der den Status eines Steuerpflichtigen hatte. Weiter ist fraglich ob es ausreicht, wenn sich aus dem Sachverhalt ergibt, dass die Gegenstände von einem anderen tatsächlichen Empfänger in einem anderen EU-Mitgliedstaat übernommen wurden und dass dieser den Status eines Steuerpflichtigen hatte (bzw. aus dem Sachverhalt offensichtlich ist, dass er diesen Status haben musste). 

Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Lieferer, der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat geliefert hat, die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn dieser Lieferer nicht nachgewiesen hat, dass die Gegenstände an einen in dem letztgenannten Mitgliedstaat steuerpflichtigen Empfänger geliefert wurden, und – unter Berücksichtigung des Sachverhalts und der vom Lieferer vorgelegten Nachweise – die für die Überprüfung der Steuerpflichtigkeit des Empfängers erforderlichen Informationen fehlen.

Praxishinweis
Die deutsche Rechtslage ist von dem Vorlageersuchen grundsätzlich betroffen. § 6a UStG und §§ 17a bis 17d UStDV regeln die Anforderungen an die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen. Nach dem vorliegenden Urteil kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung versagt werden, wenn der Lieferer nicht nachweisen kann, wer der Abnehmer ist, weil dann insbesondere nicht feststeht, ob der Abnehmer als Unternehmer gehandelt hat. Allerdings muss die Finanzbehörde im Hinblick auf die Steuerbefreiung alle in ihrem Besitz befindlichen Nachweise, wie die vom vorlegenden Gericht angeführten Dokumente, gebührend berücksichtigen müssen, um zu prüfen, ob diese Dokumente ggf. das wahrscheinliche Vorliegen einer tatsächlichen Lieferung der in einen anderen Mitgliedstaat als den Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung beförderten Gegenstände untermauern können. Der Umstand, dass die Gegenstände von anderen als den in den Steuerunterlagen genannten Empfängern empfangen wurden, kann nach dem vorliegenden EuGH-Urteil darauf hindeuten, dass sie Gegenstand eines Liefergeschäfts waren, dessen Zeitpunkt für die Anwendung der Befreiung entscheidend sein kann. Die Einstufung der von dem Lieferer, der die Steuerbefreiung in Anspruch nimmt, vorgenommenen und in den Steuerunterlagen angegebenen Lieferung als innergemeinschaftliche Lieferung hängt davon ab, ob die Beförderung tatsächlich dieser Lieferung zugerechnet werden kann. Dies ist vor allem bei Reihengeschäften zu beachten.

Der EuGH hat seine ständige Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Nachweisführung für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen bestätigt. Wenn unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und trotz der vom Steuerpflichtigen vorgelegten Nachweise die zur Überprüfung der Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL erforderlichen Angaben fehlen, ist ihm die Mehrwertsteuerbefreiung zu versagen, ohne dass die Steuerbehörde nachweisen müsste, dass dieser Steuerpflichtige an einer Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt war.

Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung trägt der Steuerpflichtige die Beweislast für die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen. Die Rechtsprechung des EuGH ändert die Beweislast nur insoweit, als sie es den Steuerbehörden und den Mitgliedstaaten untersagt, dem Steuerpflichtigen zusätzliche Bedingungen aufzuerlegen, die nicht mit den in der MwStSystRL anerkannten Zielen im Einklang stehen. Im Fall des Nachweises der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung wird die Beweislast umgekehrt und die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung ist von der Steuerbehörde nachzuweisen. 

Obwohl die MwStSystRL selbst keine spezifische Bestimmung über die Beweise enthält, die der Steuerpflichtige vorlegen muss, um in den Genuss der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung kommen zu können, hat der EuGH in konkreten Fällen z.B. entschieden, dass der Importeur für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nachweisen muss, dass die betreffenden Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr zur Versendung oder Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat bestimmt waren und dass sie im Rahmen einer anschließenden innergemeinschaftlichen Lieferung in dieser Weise versandt oder befördert wurden, ohne dass er den Versand an die konkrete Anschrift des Erwerbers nachweisen muss. Solche Nachweise können Dokumente sein, die sich auf die Beförderung von einem steuerlich überwachten Lager im Ausfuhrmitgliedstaat zu einem steuerlich überwachten Lager in einem anderen Mitgliedstaat beziehen. 
 

Quelle

EuGH, Rs. C-676/22 v. 29.02.024, B2 Energy s.r.o.

Ihre Ansprechpartnerinnen und Ihr Ansprechpartner