Umsatzsteuer: Neuregelung bei Konsignationslager – BFH entscheidet gegen Verwaltungsauffassung

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 20.10.2016, V R 31/15

Praxisproblem

Werden Waren aus einem sog. Konsignationslager im Inland abgerufen, das mit Waren beispielsweise aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet bestückt worden ist, so können die Parteien vereinbaren, dass erst bei Abruf (Entnahme) der Ware aus dem Konsignationslager durch den Abnehmer zivilrechtlich ein Kaufvertrag über die entnommene Ware bei gleichzeitiger Lieferung durch den Lieferanten und Erwerb durch den Abnehmer zustande kommt. Die Vertragsparteien können auch einen unbedingten Kaufvertrag über den Warenbestand des Lagers abschließen, z. B. mit gleichzeitiger Eigentumsvorbehaltsabrede und Stundung des Kaufpreises bezogen auf den Zeitpunkt der Entnahmen. Welche Gestaltungsalternative vorliegt, ist durch Auslegung des zu Grunde liegenden Lagervertrags zu ermitteln. Die Finanzverwaltung ist bisher der Auffassung, dass in Fällen, in denen ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer Waren aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in ein in Deutschland unterhaltenes sog. Konsignationslager liefert, aus dem der inländische Abnehmer bei Bedarf Waren entnimmt, grundsätzlich erst im Zeitpunkt der Entnahme eine in Deutschland steuerbare Lieferung vorliegt, der ein innergemeinschaftliches Verbringen des liefernden Unternehmers zu seiner Verfügung vorgeschaltet ist.

In der BFH-Revisionssache V R 31/15 war streitig, ob die vorgenannte Verwaltungsauffassung auch dann zutreffend ist, wenn bereits bei Beginn der Beförderung/Versendung der Ware im übrigen Gemeinschaftsgebiet verbindliche Bestellungen vorliegen und der Kunde als späterer Abnehmer der Ware feststeht.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine spanische AG, lieferte in den Streitjahren Waren an einen inländischen Abnehmer. Die Lieferungen wurden über ein im Inland belegenes sog. Call-Off-Lager abgewickelt. Die Warenlieferungen erfolgten auf der Grundlage zentraler Lieferverträge. Die konkreten Liefermengen und Lieferdaten ergaben sich erst aus Lieferabrufplänen, die der Kunde der spanischen AG häufig täglich übersandte. Nach den zentralen Lieferverträgen war nur der Lieferabruf juristisch bindend und führte zu einem Kaufvertrag. Warenmenge und Liefertermin wurden erst durch den Lieferabruf festgelegt. Das Eigentum an den Waren sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs sollten erst zu dem Zeitpunkt und an dem Lieferort übergehen, der im jeweiligen Liefervertrag bestimmt war. Die Lieferabrufe enthielten stets Freigaben für die nächsten zwölf Wochen und bestimmten für diesen Zeitraum Liefertermine in Abständen von regelmäßig ein bis zwei Wochen. Die in das inländische Lager versandten Waren entsprachen mengenmäßig dem Bedarf des Kunden in den nächsten Tagen und Wochen.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, dass Lieferungen des in Spanien ansässigen Unternehmers an den deutschen Abnehmer auch dann als Versendungslieferungen im Sinne von § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG zu beurteilen sind, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird. Voraussetzung ist aber, dass der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststeht.

Der BFH verweist dazu auf seine frühere Rechtsprechung im Urteil vom 30.07.2008, XI R 67/07, BStBl. II 2009, 552. Im Ergebnis hat der BFH das vorangehende Urteil des Hessischen FG vom 25.08.2015, 1 K 2519/10, EFG 2015, 2229 bestätigt. Das FG Hessen hatte entschieden, dass bei Warenlieferungen aus dem EU-Ausland in ein im Inland belegenes Konsignationslager eine innergemeinschaftliche Lieferung an den Abnehmer (und kein innergemeinschaftliches Verbringen mit anschließender steuerpflichtiger Lieferung an den Abnehmer) vorliegen kann, wenn bereits vor Beginn der Beförderung eine verbindliche Bestellung durch den Kunden vorliegt. In diesem Fall erfolge die Beförderung der Ware nicht mehr zur Verfügung des Lieferanten im Inland.

Nach Auffassung des BFH kommt es bei der Versendung an einen feststehenden Abnehmer nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG entscheidend darauf an, dass durch die Versendung der Liefergegenstand an den Abnehmer gelangt, ohne dass der Versendungsvorgang abgebrochen wird. Eine nur kurzzeitige Lagerung nach dem Beginn der Versendung – wie im entschiedenen Fall – führe aber zu keinem „Abbruch“. Für den BFH war hierbei von Bedeutung, dass das Lager auf Initiative des Abnehmers eingerichtet war, der Abnehmer vertraglich ein uneingeschränktes Zugriffsrecht hatte und die Ware nur kurzzeitig (für die nächsten Tage und Wochen) eingelagert war, um den Warenbedarf für die Produktion zu decken.

Auch der EuGH fordere für eine Beförderungs- und Versendungslieferung, die zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung und einem korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb führe, einen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Lieferung des Liefergegenstands und seiner Beförderung sowie einen kontinuierlichen Ablauf des Vorgangs (EuGH, Urt. v. 18.11.2010, C 84/09, X). Eine von vornherein nur kurzzeitige, vorübergehende Einlagerung sei dabei unschädlich. Insofern sieht der BFH seine Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH.

Die von der Verwaltung in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE angenommene nicht nur vorübergehende Verwendung des Lieferers im Inland und damit ein innergemeinschaftliches Verbringen nach § 1a Abs. 2 UStG mit anschließender steuerpflichtiger Weiterlieferung im Inland hat der BFH ausdrücklich abgelehnt.

Praxishinweis

Der BFH hatte bereits mit Urteil v. 30.07.2008, XI R 67/07 entschieden, dass eine Lieferung auch dann bei Beginn der Versendung in einem anderen Mitgliedstaat als dort ausgeführt gilt, wenn die Person des inländischen Abnehmers dem mit der Versendung Beauftragten im Zeitpunkt der Übergabe der Ware nicht bekannt ist, aber mit hinreichender Sicherheit leicht und einwandfrei aus den unstreitigen Umständen (insbesondere aus Unterlagen) abgeleitet werden kann (Änderung der Rechtsprechung). Dem stehe nicht entgegen, dass die Ware von dem mit der Versendung Beauftragten zunächst in ein inländisches Lager gebracht und erst nach Eingang der Zahlung durch eine Freigabeerklärung des Lieferanten an den Erwerber herausgegeben wird.

Die jetzige Rechtsauffassung des BFH ist somit nachvollziehbar. Sie steht jedoch im Widerspruch zur Verwaltungsregelung in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE. Danach ist beim Verbringen von Waren in ein Konsignationslager grundsätzlich von einer nicht nur vorübergehenden Verwendung und damit von einem innergemeinschaftlichen Verbringen mit einer anschließend im Inland umsatzsteuerbaren Lieferung auszugehen, wenn der liefernde Unternehmer den Liefergegenstand mit der konkreten Absicht in den Bestimmungsmitgliedstaat verbringt, ihn dort (unverändert) weiterzuliefern. Zu der Rechtsfrage ist jedoch – in einem gleichgelagerten Sachverhalt – noch das Revisionsverfahren V R 1/16 rechtshängig, über das der BFH bisher nicht entschieden hat. Sollte der BFH auch in dieser Entscheidung an seiner Rechtsauffassung festhalten, wovon wohl auszugehen ist, dürfte die Finanzverwaltung ihre Auffassung im UStAE für die Fälle des „feststehenden Abnehmers“ revidieren müssen.

§ 3 Abs. 6 und 7 UStG regeln in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht den Leistungsort und damit zugleich auch den Zeitpunkt der Lieferungen. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften setzt deshalb bereits das „Umsatzgeschäft“ voraus, das zu einer Lieferung gegen Entgelt i.S.d.§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG führt. Ob die Versendung/Beförderung zu einer Lieferung führt bzw. ob ein „Gegenstand der Lieferung“ (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG) versendet/befördert wird, hängt deshalb davon ab, ob Grundlage der Versendung/Beförderung ein Umsatz i.S.d. UStG ist. Es genügt nicht, dass eine Versendung/Beförderung – erst bei Hinzutreten weiterer Umstände wie z.B. der Billigung des zugesandten Gegenstandes durch den Kunden – zu einem Umsatz i.S.d. UStG führen könnte (vgl. BFH, Urt. v. 06.12.2007, V R 24/05). Im Ausgangsfall bestimmte sich der Ort der streitigen Lieferungen, soweit bereits bei Beginn der Beförderung in Spanien verbindliche Bestellungen des Kunden vorgelegen haben, nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG und nicht nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG. Bereits im Anschluss an das BFH-Urteil v. 30.07.2008, XI R 67/07 war in der Literatur zum großen Teil die Auffassung vertreten worden, dass in Fällen, in denen der Kunde als Abnehmer des Gegenstands der Lieferung feststeht, Ort und Zeitpunkt der Lieferung sich auch bei kurzfristiger Einlagerung in ein Lager des Lieferanten nach § 3 Abs. 6 UStG richten. Dies hat nun der BFH bestätigt.

Bestehende Lager- oder Konsignationslagerstrukturen sollten auf Handlungsbedarf überprüft werden. Das Team der AWB steht Ihnen dabei gerne zur Seite. Zudem sollte das weitere anhängige Revisionsverfahren im Auge behalten werden. Es ist zu erwarten, dass spätestens nach Ergehen des zweiten BFH-Urteils die Verwaltungsauffassung angepasst werden muss.

Da häufig Lagerverträge, Lieferbeziehungen und interne Produktionsprozesse ineinandergreifen, sollten alle betroffenen Prozesse auf Anpassungsbedarf geprüft werden, damit die Umsatzsteuer nicht zum wirtschaftlichen Schaden wird.

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