Vorsteuerabzug, Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs, Ausgaben einer Zweigniederlassung für Zwecke ihrer Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 24.01.2019, C-165/17, Morgan Stanley & Co International plc

Praxisproblem

Bei dem französischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung der Art. 17 Abs. 2, 3 und 5 sowie Art. 19 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie bzw. Art. 168, 169 und 173 bis 175 MwStSystRL zum Umfang des Vorsteuerabzugs betreffend die Ausgaben einer in einem Mitgliedstaat A ansässigen Zweigniederlassung, die ausschließlich für die Umsatztätigkeit ihrer in einem Mitgliedstaat B ansässigen Hauptniederlassung bestimmt sind. Streitig war, welche Regeln in dem besonderen Fall anzuwenden sind, dass die Ausgaben der Zweigniederlassung zur Verwirklichung sowohl ihrer Umsätze im Mitgliedstaat ihrer Registrierung als auch der Umsätze der Hauptniederlassung beitragen, insbesondere im Hinblick auf den Begriff „allgemeine Kosten“ und den Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine in Frankreich ansässige Zweigniederlassung einer britischen Bank, tätigte einerseits für ihre örtlichen Kunden Bank- und Finanzgeschäfte und optierte für diese Umsätze zur Steuerpflicht. Andererseits erbrachte sie gegenüber der Hauptniederlassung Leistungen gegen Entgelt. Die Klägerin machte für die auf die Ausgaben in Zusammenhang mit diesen beiden Kategorien von Leistungen anfallende MwSt den vollen Vorsteuerabzug geltend. Die französische Finanzverwaltung war der Auffassung, dass für die MwSt, die auf die Kosten für die an die Hauptniederlassung getätigten internen Umsätze entfiel, kein Recht auf Vorsteuerabzug bestehe, da diese Umsätze außerhalb des Anwendungsbereichs der MwSt lägen. Als erleichternde Maßnahme gestattete sie jedoch den Abzug eines Bruchteils der fraglichen Steuer durch Anwendung des für die britische Hauptniederlassung geltenden Pro-Rata-Satzes des Vorsteuerabzugs, vorbehaltlich der in Frankreich geltenden Ausschlüsse vom Vorsteuerabzug. In Bezug auf die gemischten Ausgaben in Zusammenhang mit den Umsätzen, die sowohl an die Hauptniederlassung als auch an die Kunden der Zweigniederlassung getätigt worden waren, ging die französische Verwaltung davon aus, dass diese nur teilweise abzugsfähig seien, und wandte den für die Hauptniederlassung geltenden Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs an, berichtigt um den Jahresumsatz der Zweigniederlassung, für den ein Recht auf Vorsteuerabzug bestand, vorbehaltlich der in Frankreich geltenden Ausschlüsse vom Vorsteuerabzug.

Der EuGH musste entscheiden, ob in dem Fall, dass Ausgaben einer in einem Mitgliedstaat A ansässigen Zweigniederlassung ausschließlich für die Umsatztätigkeit ihrer in einem Mitgliedstaat B ansässigen Hauptniederlassung bestimmt sind (wobei es sich hierbei um eine gemischte Umsatztätigkeit mit sowohl steuerpflichtigen als auch steuerfreien, den Vorsteuerabzug ausschließenden Umsätzen handelt), Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie bedeutet, dass der Mitgliedstaat der Zweigniederlassung auf diese Ausgaben den für die Zweigniederlassung geltenden Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs anwendet, der auf Grundlage der im Staat ihrer Registrierung getätigten Umsätze und der in diesem Staat anwendbaren Regeln bestimmt wird, oder ob den für die Hauptniederlassung geltenden Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs oder einen spezifischen Pro-Rata-Satz – in Anlehnung an die vom EuGH mit Urteil v. 13.7.2000, C-136/99 (Société Monte Dei Paschi di Siena) in Bezug auf einen Vorsteuervergütungsanspruch gefundene Lösung -, der die in den jeweiligen Mitgliedstaaten der Registrierung der Zweig- und der Hauptniederlassung anwendbaren Regeln kombiniert. Auch musste der EuGH entscheiden, welche Regeln in dem besonderen Fall gelten, dass die Ausgaben der Zweigniederlassung zur Verwirklichung sowohl ihrer Umsätze im Staat ihrer Registrierung als auch der Umsätze der Hauptniederlassung beitragen, insbesondere im Hinblick auf den Begriff „allgemeine Kosten“ und den Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs.

Entscheidung

Der EuGH hat, ausgehend davon, dass die Hauptniederlassung und ihre Zweigniederlassung im Ausgangsfall ein einheitliches Unternehmen bilden, Umsätze der Zweigniederlassung an ihre Hauptniederlassung als Innenumsätze nicht steuerbar sind und unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung zu den Grundsätzen und zum Umfang des Vorsteuerabzugs bei gemischten Ausgangsumsätzen entschieden, dass auf Ausgaben einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung, die – ausschließlich – sowohl für steuerpflichtige als auch für steuerfreie Umsätze bestimmt sind, die jeweils von der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung dieser Zweigniederlassung bewirkt werden, ein Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs anzuwenden ist. Dieser Satz ergibt sich aus einem Bruch, wobei im Nenner der Betrag der Gesamtumsätze (steuerfreie und steuerpflichtige, denen entsprechende Eingangsumsätze nicht unmittelbar zugeordnet werden können) ohne MwSt stehen. Im Zähler stehen nur die entsprechend steuerpflichtigen Umsätze ohne MwSt, aber auch die, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Mitgliedstaat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären. Dieser Pro-Rata-Satz gilt auch dann, wenn das Recht auf Vorsteuerabzug deshalb besteht, weil die Zweigniederlassung für die Steuerpflicht der im Mitgliedstaat ihrer Registrierung bewirkten Umsätze optiert hat. Dieser Pro-Rata-Satz bezieht sich also nur auf die Umsätze der Hauptniederlassung (steuerpflichtige und steuerfreie), denen Eingangsleistungen, die die Zweigniederlassung in Anspruch nimmt, nicht unmittelbar zugeordnet werden können bzw. der Vorsteuerabzug aufgrund direkter Zuordnung nicht unmittelbar zulässig oder aber ausgeschlossen ist, also nicht der Hauptniederlassung selbst zugrunde zu legen ist.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass für die Bestimmung des Pro-Rata-Satzes des Vorsteuerabzugs, der auf die von einer in einem Mitgliedstaat registrierten Zweigniederlassung getragenen allgemeinen Kosten anwendbar ist, die zur Bewirkung sowohl der Umsätze der Zweigniederlassung in diesem Staat als auch der Umsätze der in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Hauptniederlassung beitragen, im Nenner des den Pro-Rata-Satz bildenden Bruchs sowohl von der Zweigniederlassung als auch von der Hauptniederlassung bewirkte Umsätze zu berücksichtigen sind, wobei im Zähler des Bruchs neben den von der Zweigniederlassung getätigten steuerpflichtigen Umsätzen nur diejenigen von der Hauptniederlassung bewirkten steuerpflichtigen Umsätze zu stehen haben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann bestünde, wenn sie im Staat der Registrierung der Zweigniederlassung bewirkt worden wären.

Praxishinweis

Die hier anstehenden Fragen waren durch die bisherige EuGH-Rechtsprechung im Wesentlichen im Grunde bereits geklärt. Der EuGH hatte mit Urteil v. 12.9.2013, C-388/11 (Le Crédit Lyonnais) in einem Fall von Darlehensumsätzen einer Hauptniederlassung an ihre Zweigniederlassungen im Ausland im Rahmen der Berechnung des Pro-Rata-Satzes nach Art. 19 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie entschieden, die Umsätze aus Zweigniederlassungen in anderen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten dürfen nicht in die Pro-Rata-Berechnung einbezogen werden. Da die Berechnung des Pro-Rata-Satzes des Vorsteuerabzugs Teil der Regelung über den Vorsteuerabzug ist, fallen die Modalitäten der Berechnung in den Geltungsbereich des nationalen Mehrwertsteuerrechts, dem eine Tätigkeit oder ein Umsatz steuerlich zuzuordnen ist. D.h. der Mitgliedstaat in dem die Ausgangsumsätze steuerbar sind, bestimmt insoweit auch den Vorsteuerabzug für die damit zusammenhängenden Eingangsleistungen. Im Übrigen richtet sich die Gewährung des Vorsteuerabzugs oder ersatzweise die Erstattung von Vorsteuern im Vergütungsverfahren nach dem Mitgliedstaat der Ansässigkeit des anspruchsberechtigten Unternehmens. Mit Bezug auf das EuGH-Urteil v. 16.7.2009, C-244/08, Kommission/Italien, wonach eine in einem Mitgliedstaat befindliche feste Niederlassung und die in einem anderen Mitgliedstaat gelegene Hauptniederlassung als ein Unternehmer anzusehen sind, schloss der EuGH in seinem Urteil v. 12.9.2013, C-388/11, dass ein Unternehmer außer der in seinem Sitzstaat geltenden Regelung so vielen unterschiedlichen nationalen Regelungen über den Vorsteuerabzug unterliegt, wie es Mitgliedstaaten gibt, in denen er feste Niederlassungen hat. Somit kann ein Unternehmen, dessen Hauptniederlassung in einem EU-Mitgliedstaat ansässig ist, für die Bestimmung des Pro-Rata-Satzes des Vorsteuerabzugs nicht die Umsätze berücksichtigen, die seine in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Zweigniederlassungen erzielt haben. Dies gilt gleichermaßen gemäß Art. 17 Abs. 2 und 5 sowie Art. 19 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie für EU-Niederlassungen als auch nach Art. 17 Abs. 3 Buchst. a und c der 6. EG-Richtlinie für in Drittstaaten ansässige Zweigniederlassungen. Auch hier gilt, dass für Zwecke des Vorsteuerabzugs die Umsätze den Zweigniederlassungen zuzurechnen sind und nicht der Hauptniederlassung. Gleiches gilt für die Anwendung von Art. 17 Abs. 5 Unterabsatz 3 der 6. EG-Richtlinie, bei der Bestimmung des Pro-Rata-Satzes nach Tätigkeitsbereichen des Unternehmens. „Tätigkeitsbereiche“ im Sinne dieser Vorschrift ist nicht territorial zu verstehen, sondern bezieht sich auf verschiedene wirtschaftliche Tätigkeiten.

Vorliegend hat der EuGH seine Rechtsprechung in der Sache C-388/11 aber konkretisiert. Der EuGH stellt klar, dass er in der Rs. C-388/11 die Berücksichtigung der Umsätze der in anderen Mitgliedstaaten befindlichen Zweigniederlassungen bei der Berechnung des für die Hauptniederlassung geltenden Pro-Rata-Satzes des Vorsteuerabzugs ausgeschlossen hat, weil zumindest ein Teil dieser Umsätze keinen Zusammenhang mit den von der Hauptniederlassung in Anspruch genommenen Eingangsumsätzen aufwies. Demnach wollte der EuGH, so wird vorliegend klargestellt, bei der Bestimmung des Umfangs des Rechts auf Vorsteuerabzug einer in einem Mitgliedstaat befindlichen festen Niederlassung die Berücksichtigung der von einer in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen festen Niederlassung einer Hauptniederlassung bewirkten Umsätze, die mit den von der erstgenannten festen Niederlassung getätigten Ausgaben direkt und unmittelbar zusammenhängen, nicht ausschließen.

Das vorliegende EuGH-Urteil hat für das deutsche Recht eher wenig Bedeutung, da die französischen Regelungen zum Pro-Rata-Satz des Vorsteuerabzugs mit den deutschen Bestimmungen kaum vergleichbar sind . Nach deutschem Recht ist eine Ermittlung der abziehbaren Vorsteuer nach dem Umsatzschlüssel nur zulässig, wenn keine andere Methode der wirtschaftlichen Zuordnung möglich ist (§ 15 Abs. 4 Satz 3 UStG). Nur in diesen Fällen kann der nicht abziehbare Teil der einer Umsatzgruppe nicht ausschließlich zurechenbaren Vorsteuerbeträge einheitlich nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den anderen Umsätzen ermittelt werden. Bei der Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG sind (abgesehen von den Umsätzen, die im Ausland ausgeführt werden und steuerfrei wären, wenn es sich um inländische Umsätze handeln würde, § 15 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 2 UStG) nur die im Inland steuerbaren Umsätze relevant. Dazu gehören – wegen des grenzüberschreitenden Unternehmensbegriffs - jedoch auch im Ausland steuerbare Umsätze von ausländischen Zweigniederlassungen, die bei Steuerbarkeit im Inland steuerfrei wären, sowie im Inland steuerbare Umsätze, die von ausländischen Zweigniederlassungen des Unternehmens erzielt werden. Insofern können bei der Vorsteueraufteilung nach deutschem Recht ggf. auch (im Ausland oder im Inland steuerbare) Umsätze ausländischer Zweigniederlassungen eine Rolle spielen. Dies gilt bei Organgesellschaften mit einem Organträger im Inland auch für dessen im Ausland gelegene Betriebsstätten. Das vorliegende Urteil kann in den Fällen für das deutsche Recht Bedeutung haben, in denen ausnahmsweise eine Vorsteueraufteilung nach dem Umsatzschlüssel zulässig ist. Dann wäre aber der Pro-Rata-Satz, wie der EuGH ihn festgelegt hat, heranzuziehen.