Neues zum Vorsteuerabzug bei Holding-Gesellschaften

Anmerkung zu EuGH vom 8.9.2022, C-98/21

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs (BFH v. 23.9.2020, XI R 22/18) ging es um den Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding bezüglich bestimmter Leistungsbezüge, die die Holding für Sacheinlagen in ihre Tochtergesellschaften als Gesellschafterbeitrag verwendete.

Sachverhalt

Dem Verfahren lag der Fall einer GmbH (Klägerin) zugrunde, die im Streitjahr 2013 als Kommanditistin an zwei Projektentwicklern für Wohnraum (Bauträgern) jeweils in der Rechtsform der GmbH & Co. KG beteiligt war. Die Einlagen der Klägerin bei den KGs (X-KG und Y-KG) entsprachen ca. 95 % bzw. ca. 90 % der Kapitalanteile dieser KGs. Bei den KGs kam aufgrund ihrer nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreien Umsätze aus Grundstücksverkäufen ein Vorsteuerausschluss nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG zum Tragen. In Ergänzungsvereinbarungen zum Gesellschaftsvertrag hatte sich die GmbH jeweils dazu verpflichtet, an die KGs unentgeltliche Dienstleistungen in Form von Baudienstleistungen für die Bauprojekte der KGs (ohne Lieferung der Materialien) im Wert von ca. 10 Mio. Euro bzw. von ca. 30 Mio. Euro zu leisten. Hierfür hatte die GmbH ihrerseits Baudienstleistungen von dritten Unternehmern eingekauft. Für diese Gestaltung führte die Klägerin verschiedene außersteuerliche Gründe an. Der zentrale Einkauf von Baudienstleistungen verschaffe der Klägerin eine größere Marktmacht. Und im Fall der Insolvenz einer der KGs hätte die Klägerin mit ihrer Verpflichtung zur Erbringung von Baudienstleistungen eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Insolvenzverwalter der KG, als wenn sie der KG eine Geldzahlung schulden würde. In weiteren Verträgen hatte sich die Klägerin gegenüber den KGs zur Erbringung von Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen verpflichtet, für die die KGs im Streitjahr 2013 jeweils ein Entgelt in Höhe von monatlich 25.000 Euro zahlten.

Die Klägerin hatte aus sämtlichen von ihr bezogenen Eingangsleistungen den Vorsteuerabzug vorgenommen, also u.a. auch aus den von ihr eingekauften Baudienstleistungen. Ihre unentgeltlichen Baudienstleistungen an die KGs betrachtete die Klägerin als unselbständigen Teil ihrer unternehmerischen Betätigung in Form einer aktiven Beteiligungsverwaltung als sog. Funktionsholding. Da die Wertabgabentatbestände nach § 3 Abs. 1b UStG bzw. nach § 3a Abs. 9a UStG insoweit nicht erfüllt seien, bestehe insoweit auch kein Vorsteuerausschluss (s. Abschn. 15.2b Abs. 2 Satz 5 UStAE).

Dagegen hatte das zuständige Finanzamt (FA) den Vorsteuerabzug aus den von der Klägerin bezogenen Baudienstleistungen versagt, die die Klägerin zur Erbringung ihrer unentgeltlichen Leistungen an die KGs verwendet hatte. Denn die Klägerin halte die Beteiligungen an den KGs zwar im unternehmerischen Bereich (Abschn. 2.3 Abs. 3 Satz 5 Nr. 3 UStAE), sie sei mit der Erbringung ihrer unentgeltlichen Dienstleistungen an die KGs aber nicht wirtschaftlich tätig gewesen. Das EuGH-Urteil v. 16.7.2015, C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, BStBl II 2017, 604, und die BFH-Urteile v. 19.1.2016, XI R 38/12, BStBl II 2017, 567, und v. 1.7.2016, XI R 17/11, BStBl II 2017, 581, seien hier nicht einschlägig, da die Holdings in jenen Streitfällen keine unentgeltlichen Leistungen an ihre Tochtergesellschaften erbracht hatten.

Das Niedersächsische FG hatte der Klägerin in seinem Urteil v. 19.4.2018, 5 K 285/16, EFG 2019, 653, den Vorsteuerabzug aus den von ihr bezogenen Baudienstleistungen gewährt, die sie für ihre unentgeltlichen Leistungen an die KGs verwendet hatte. Bei der Klägerin liege ein Fall genau wie bei den Urteilsfällen des EuGH-Urteils C-108/14 und C-109/14 vor, weil die Klägerin für die KGs Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen erbringe und damit als sog. Funktionsholding tätig sei. Der einzige Unterschied bestehe darin, dass in den Urteilsfällen des EuGH-Urteils die Holdings Sachleistungen in Form der Einwerbung von Geldmitteln zugunsten der Tochtergesellschaften erbracht hätten, während die Klägerin ihre Sachleistungen bzw. Gesellschafterbeiträge unmittelbar in die Tochtergesellschaften eingelegt habe.

Das FA meinte, dass die Klägerin die Beteiligungen an den KGs zwar im unternehmerischen Bereich halte, weil sie an die KGs entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen erbringe. Die Eingangsleistungen, die die Klägerin für ihre unentgeltlichen Baudienstleistungen an die KGs verwendet habe, stünden jedoch in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu Ausgangsumsätzen, die mangels wirtschaftlicher Tätigkeit nicht dem Anwendungsbereich der Umsatzsteuer unterliegen. Somit berechtigten diese Eingangsleistungen nicht zum Vorsteuerabzug (Abschn. 15.2b Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 UStAE). Die von der Klägerin bezogenen Baudienstleistungen seien nicht etwa Kostenelemente ihrer steuerpflichtigen Umsätze aus den entgeltlichen Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen, sondern sie seien vielmehr Kostenelemente ihrer unentgeltlichen Leistungen an die KGs. Der Fall der Klägerin sei auch nicht mit den Fällen vergleichbar, die den o.g. EuGH- bzw. BFH-Urteilen zugrunde lagen. In jenen Fällen wurde um Vorsteuern aus Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen an den Tochtergesellschaften gestritten. Dagegen habe sich durch die Baudienstleistungen im vorliegenden Fall die Beteiligung der Klägerin an den KGs jeweils nicht erhöht.

Auch vertrat das FA die Auffassung, dass im Streitfall ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO vorliege, weil die gewählte Gestaltung (in Form eines sog. Vorschaltmodells) allein dazu diene, auf der Ebene der Klägerin einen systemwidrigen Vorsteuerabzug zu ermöglichen, der bei einer angemessenen wirtschaftlichen Gestaltung nicht gegeben wäre. Angemessen sei es, wenn die KGs die Baudienstleistungen für ihre Gebäude selbst einkaufen würden. Die von der Klägerin vorgebrachten außersteuerlichen Gründe erforderten es auch nicht, dass die Klägerin ihre Baudienstleistungen an die KGs unentgeltlich erbringt. Würde die Klägerin auch ihre wertmäßig gering(er)en Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an die KGs als Gesellschafterbeiträge unentgeltlich erbringen, würde ein Vorsteuerabzug bereits deshalb ausscheiden, weil dann auch das Halten der Beteiligungen an den KGs dem nichtunternehmerischen Bereich der Klägerin zuzurechnen wäre.

Der BFH meinte, nach den bisher entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen stehe der Klägerin an sich der volle Vorsteuerabzug aus den von ihr bezogenen Eingangsleistungen zu. Es sei jedoch zweifelhaft, ob die Klägerin die Vorsteuer deshalb nicht abziehen könne, weil sie die Eingangsleistungen bezogen hatte, um sie in die Tochtergesellschaften einzulegen und diese Leistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen der Tochtergesellschaften stehen. Es sei fraglich, ob die Klägerin die Eingangsleistungen, die sie als Gesellschafterbeitrag an die X-KG und die Y-KG weitergibt, für ihr Unternehmen bezogen hat und die Aufwendungen dafür zu ihren „Allgemeinkosten“ (den Kostenelementen ihrer besteuerten Ausgangsumsätze „Buchhaltung und Geschäftsführung für die Tochtergesellschaften“) gehören. Diese Fragestellung folge aus dem (einen Vorsteuerabzug versagenden) EuGH-Urteil v. 8.11.2018, C-502/17, C&D Foods Acquisition. Implizit habe, so der BFH, der EuGH mit diesem Urteil damit auch verneint, dass (bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs) die Kosten für die fraglichen Eingangsleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen der dortigen Klägerin gehörten und – als solche – Kostenelemente der gelieferten Gegenstände bzw. erbrachten Dienstleistungen waren. Es war für den BFH deshalb fraglich, ob die Klägerin die Eingangsleistungen, die sie als Gesellschafterbeitrag an die X-KG und die Y-KG weitergibt, für ihr Unternehmen bezogen hat und die Aufwendungen dafür zu ihren „Allgemeinkosten“ (den Kostenelementen ihrer besteuerten Ausgangsumsätze „Buchhaltung und Geschäftsführung für die Tochtergesellschaften“) gehören.

Im Streitfall war für den BFH nicht ausgeschlossen, dass auch nach der Rechtsprechung des EuGH der Vorsteuerabzug zu versagen ist. Die Leistungen könnten nicht für das Unternehmen der Klägerin und ihre besteuerten Umsätze bezogen sein, da sie in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den (weitgehend) umsatzsteuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen. Die Klägerin könnte die Leistungen letztlich nicht für ihr eigenes Unternehmen bezogen haben, sondern für die Unternehmen ihrer Töchter. Sie stünden dann im Zusammenhang mit den steuerfreien Umsätzen der Tochtergesellschaften.

Sollte der EuGH der Auffassung sein, dass die streitigen Eingangsleistungen zur Erbringung der Gesellschafterbeiträge trotzdem zum Vorsteuerabzug berechtigen, so war für den BFH zweifelhaft, ob die Zwischenschaltung einer Muttergesellschaft in den Leistungsbezug der Tochtergesellschaft zur Erlangung eines an sich nicht zustehenden Vorsteuerabzugs typischerweise rechtsmissbräuchlich ist (§ 42 AO).

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 168 Buchst. a MwStSystRL i.V.m. Art. 167 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass einer Holdinggesellschaft, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, nicht zusteht, wenn

  • erstens die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holdinggesellschaft, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen,
  • zweitens diese Eingangsleistungen in den Preis der an die Tochtergesellschaften erbrachten steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und
  • drittens diese Leistungen nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft gehören.

Die 2. Vorlagefrage zu einer etwaigen missbräuchlichen Praxis musste der EuGH damit nicht mehr beantworten.

Fazit

Nach dem vom EuGH dargestellten Sachverhalt hatte die Klägerin bestimmte Dienstleistungen bezogen, um ihren Verpflichtungen in Bezug auf Gesellschafterbeiträge gegenüber ihren Tochtergesellschaften nachzukommen. Somit handelte es sich nach dem EuGH-Urteil nicht um Ausgaben, die die Klägerin für den Erwerb von Beteiligungen tätigen musste, sondern um Ausgaben, die gerade den Gegenstand des Gesellschafterbeitrags der Klägerin an ihre Tochtergesellschaften darstellten. Ein solcher Beitrag einer Holdinggesellschaft zugunsten ihrer Tochtergesellschaften, sei es in Form von Bar- oder Sacheinlagen, gehört zum Halten von Gesellschaftsanteilen, das nach ständiger EuGH-Rechtsprechung keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt und daher kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet. Der ausschließliche Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes hier war ein Gesellschafterbeitrag seitens der Klägerin.

Der EuGH prüft anhand der vorstehenden allgemeinen Kriterien zum Vorsteuerabzug die Vorsteuerabzugsberechtigung im konkreten Sachverhalt und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Kriterien nicht erfüllt sind.
Die Tatsache, dass die Dienstleistungen zur Nutzung durch die Tochtergesellschaften der Klägerin bestimmt waren, begründet einen direkten Zusammenhang mit den Umsätzen der Tochtergesellschaften und bestätigt nach dem EuGH-Urteil das Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin. Dass diese Dienstleistungen in direktem Zusammenhang mit den Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, wird durch die Tatsache, dass sie von der Klägerin an ihre Tochtergesellschaften weitergeleitet wurden, nicht in Frage gestellt, da es auf die tatsächliche Verwendung dieser Dienstleistungen ankommt.

Der EuGH hat seine bisherige Holding-Rechtsprechung bzw. zu den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs somit insgesamt bestätigt. Die Regelung über den Vorsteuerabzug zielt nur darauf ab, den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten MwSt zu entlasten. Dementsprechend hat der EuGH entschieden, dass Ausgaben, die nicht mit den besteuerten Umsätzen des Steuerpflichtigen, sondern mit Umsätzen eines Dritten zusammenhängen, für diesen Steuerpflichtigen kein Recht auf Vorsteuerabzug begründen können (vgl. EuGH v. 1.10..2020, C-405/19, Vos Aannemingen). Der Umstand, dass diese Beurteilung im Kontext einer Rechtssache erfolgt ist, die keine Holdinggesellschaft betraf, ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Ausgangsverfahren unerheblich, da sie einer allgemein für das Recht auf Vorsteuerabzug geltenden Regel entspricht.

Schließlich hat der EuGH zum für den Vorsteuerabzug erforderlichen Zusammenhang mit besteuerten Ausgangsumsätzen noch ausgeführt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs im Ausgangsfall nicht dadurch in Frage gestellt ist, dass die Tochtergesellschaften nur dank der Gesellschafterbeiträge der Klägerin ihre eigenen Tätigkeiten aufrechterhalten und infolgedessen Bedarf für ihre Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen haben könnten. Dies belege nämlich keinen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Dienstleistungen, die Gegenstand dieser Beiträge sind, und der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin. Das Ziel des Bezugs der Eingangsleistungen bestand darin, einen Gesellschafterbeitrag zu ermöglichen, der nicht als ein Umsatz angesehen werden kann, der seinen ausschließlichen und unmittelbaren Entstehungsgrund in der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin hat, d. h. in der Erbringung mehrwertsteuerpflichtiger Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an ihre Tochtergesellschaften.

Insgesamt bestätigt das EuGH-Urteil die geltende deutsche Rechtslage, welche bei sog. Vorschaltgesellschaften zu vergleichbaren Ergebnissen gelangte. Zugleich sind der Sachverhalt und der sich darauf beziehende Tenor des EuGH einzigartig. Entscheidungen des EuGH sind immer im konkreten Kontext mit der Fragestellung des Vorlagegerichts und den konkret zu entscheidenden Sachverhalt zu betrachten. Der EuGH antwortet nur auf die Frage zur Auslegung des Unionsrechts im konkret angefragten – streitgegenständlichen – Sachverhalt. Vorliegend wird daher die Gesamtsituation der die Gesellschafterbeiträge erbringenden – grundsätzlich den Vorsteuerabzug nicht ausschließende Tätigkeiten erbringenden Gesellschaft W – und der – grundsätzlich den Vorsteuerabzug ausschließende Tätigkeiten erbringenden Tochtergesellschaft – in die Bewertung des Tenors einzubeziehen sein. Es handelt sich mithin um eine wichtige Fortentwicklung der sog. Holding-Rechtsprechung des EuGH und zugleich um eine Einzelfallentscheidung. Unternehmerzusammenschlüsse, etc. werden weiterhin auf die bisherigen Regelungen zum Vorsteuerabzug im UStAE vertrauen dürfen. Vorsteuerabzug in Holdingkonstellationen ist regelmäßig eine Herausforderung. Das USt-Team der AWB hilft Ihnen gern mit Rat und Tat weiter. Sprechen Sie uns an.

Ihre Ansprechpartner