Umsatzsteuer und Abgabenordnung: BFH zur Haftung der Organgesellschaft im Umsatzsteuer-Organkreis

Anmerkung zum BFH, Urteil vom 05.04.2022 – VII R 18/21

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte kürzlich in einem neuen Urteil (BFH, Urteil. v. 05.04.2022 – VII R 18/21) wieder die Möglichkeit, sich zu der vieldiskutierten Thematik der umsatzsteuerlichen Organschaft zu äußern. Allerdings ging es dieses Mal nicht um die bisher im Fokus stehende Frage nach der Rechtsform der jeweiligen Organgesellschaft oder nach der unionsrechtlichen Kompatibilität der nationalen Regelungen zur Steuerschuldnerschaft innerhalb Organschaft, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzung die Organgesellschaft nach Beendigung der Organschaft für innerhalb der Organschaft entstandene Steuern haftet.

Die organschaftliche Haftung ist steuerform übergreifend in § 73 der Abgabenordnung (AO) geregelt und umfasst daher Ertragssteuern (Körperschaft- und Gewerbesteuern) sowie Umsatzsteuern, ist aber dabei auf die Haftung auf der Steuern begrenzt, für die überhaupt nur eine Organschaft besteht. Im Ergebnis haftet in einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft eine Organgesellschaft i. S. d § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG für alle Umsatzsteuern, die dem Organkreis zuzurechnen sind. Grundsätzlich erstreckt sich die Haftung nur auf Umsatzsteuern, die während des Bestehens der Organschaft entstanden sind. Dieses sorgt in der Rechtspraxis allerdings immer wieder für Abgrenzungsprobleme bei Beendigung einer Organschaft.

Sachverhalt

Streitig war daher im entschiedenen Sachverhalt als zentrale Frage, ob eine ehemalige Organgesellschaft nach § 73 AO auch für die während des Bestehens der Organschaft steuerrechtlich noch nicht entstandene Umsatzsteuer in Haftung genommen werden kann.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde vom 27.03.2014 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH bestellt. Im Mai 2014 folgte seine Bestellung zum Insolvenzverwalter der X-GmbH, über deren Vermögen mittlerweile ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die X-GmbH war zuvor umsatzsteuerrechtlich als Organgesellschaft in das Unternehmen der A-GmbH nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eingegliedert gewesen. Über das Vermögen der A-GmbH wurde ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.

Bei der A-GmbH bestanden im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen Umsatzsteuerrückstände aus Voranmeldungen für März 2014. Das zuständige Finanzamt meldete daher im Insolvenzverfahren der X-GmbH eine Haftungsforderung gem. § 73 AO wegen rückständiger Umsatzsteuer der A-GmbH zur Insolvenztabelle an. Da der Kläger die Forderung in vollem Umfang bestritt, erließ das FA den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO.

Der Kläger erhob nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage vor dem zuständigen Finanzgericht (FG). Das FG gab der Klage statt und begründete es damit, dass eine Haftung nach § 73 AO für die Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2014 nicht bestehe, weil diese bei Beendigung der Organschaft am 27.03.2014 mit Beginn der vorläufigen Insolvenzverwaltung rechtlich noch nicht entstanden gewesen sei. Die Steuer für die Leistungen im Voranmeldungszeitraum März 2014 sei erst mit Ablauf des 31.03.2014 entstanden. Auf eine wirtschaftliche oder insolvenzrechtliche Verursachung der Steuer komme es nicht an.

Das befasste Finanzamt legte gegen dieses Urteil Revision beim BFH ein.

Argumentation des BFH

In der Zusammenfassung hat der BFH die Revision des Finanzamtes als begründet angesehen, das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Aus Sicht des BFH hat das FG zu Unrecht entschieden, dass die GmbH als ehemalige Organgesellschaft gemäß § 73 Satz 1 AO nur für Steuern des Organträgers haftet, die während des Bestehens der Organschaft entstanden sind.

Der BFH erläutert zur Begründung dabei zunächst die Geltendmachung von Ansprüchen im Insovenzsteuerschuldverhältnis nach § 251 Abs. 3 AO und die Haftung der Organgesellschaft nach § 73 S. 1 AO, die sich nach den Vorschiften des UStG richtet, vornehmlich also nach den für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft entscheidenden § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.

Weiter liegen Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist, nach Wortlaut und Systematik von § 73 AO i. V. mit § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 Sätze 1 und 3, § 18 UStG grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Der BFH beschränkt die Haftung somit auf die Steuern, welche bei Nichtvorliegen der Organschaft bei der Organgesellschaft entstanden wären. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft nach § 73 AO. „Originäre“ Steuern der Organträgerin werden ausgenommen.

Der BFH folgt damit nicht der im Schrifttum vertretenen Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.

Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, so der BFH, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist. Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung kommt es weder auf die zugrunde liegende Steuerschuld noch auf den Erlass des Haftungsbescheids an, sondern darauf, ob die für die Haftung maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde. Und hier sei Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 73 S. 1 AO das Bestehen der Organschaft.

Die Zurückverweisung an das Finanzgericht erfolgt deshalb, weil aus Sicht des BFH die Feststellungen der Vorinstanz nicht ausreichen, um beurteilen zu können, in welcher Höhe die ehemalige Organgesellschaft im Streitfall gemäß § 73 Satz 1 AO für Umsatzsteuern des ehemaligen Organträgers haftet, also in welchem Umfang die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2014 Steuern des Organkreises und nicht originäre Steuern der ehemaligen Organträgerin enthält.

Fazit

Grundsätzlich hat sich die deutsche Finanzverwaltung in Form ihres streitbeteiligten Finanzamtes mit ihrer Sichtweise, wonach es für die Haftung nach § 73 S. 1 AO darauf ankommt, dass die haftungsrelevanten Steuern während der zeitlichen Dauer der Organschaft verursacht worden sein müssen und es damit auf den Zeitpunkt der Festsetzung und der Fälligkeit der fraglichen Steuer nicht ankäme (Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 73 3.2), durchgesetzt. Aus Sicht der Finanzverwaltung hätte sich anderenfalls eine Haftungslücke ergeben, wenn die Haftung nach § 73 AO für Steueransprüche, die erst nach Beendigung der Organschaft entstünden, allerdings von dieser mitverursacht seien, ausgeschlossen wäre.

Damit wird die Finanzverwaltung, nunmehr gestärkt durch den BFH, für Fälle der Vergangenheit und für die Zukunft, bei denen es auf den Verursachungszeitpunkt der haftungsrelevanten Steuern ankommt, weiter auf das Verursachungsprinzip abstellen. Diese Sichtweise ist nicht nur fiskalpolitisch zur Vermeidung von Haftungslücken in umsatzsteuerrechtlichen Organschaftsfällen nachvollziehbar, sondern dürfte auch in der Sache begründet sein, wenn auf die tatsächliche Verursachung einer Steuer im Organschaftsverhältnis und hier nicht auf den Entstehungs- oder Fälligkeitszeitpunkt der jeweiligen (Umsatz-)Steuer abgestellt wird.

Zugleich nimmt der BFH aber eine aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht seltsame Wendung auf. Er beschränkt die Haftung auf die Steuern, welche bei Nichtvorliegen der Organschaft bei den Organgesellschaften entstanden wären und nimmt die bei Nichtvorliegen einer Organschaft bei der Organträgerin entstandenen Steuern aus. Dies widerspricht der umsatzsteuerrechtlichen Denke, dass bei Vorliegen der Organschaft die Organträgerin die Steuerpflichtige (Unternehmerin) wird und die Organgesellschaft unselbständiger Teil ihres Organkreises. Zudem verwirft der BFH die bisherige in der Literatur vertretene Auffassung, dass sich eine Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO auf alle Steuern innerhalb eines Organkreises erstreckt, unabhängig von welchem Mitglied der Organschaft die Steuern verursacht worden sind. Es bleibt spannend, ob und wie sich diese Rechtsprechung fortentwickelt. Angesichts der Vermutung, dass die umsatzsteuerrechtliche Organschaft in Deutschland bald vom EuGH für unionsrechtswidrig erklärt wird, kommt eine weitere Wendung in die Fortentwicklung.

Die jetzt dargestellte Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung zu Haftungsfällen bei umsatzsteuerrechtlichen Organschaften sollte daher bei vergleichbaren Fällen unbedingt vorab durch den Steuerpflichtigen und seinen steuerlichen Berater beachtet werden. Eine Abwehrberatung zur Haftungsvermeidung unter Anknüpfung auf Entstehungszeitpunkte von Umsatzsteuern dürfte dagegen zukünftig noch schwerer bis unmöglich werden.

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