Unternehmereigenschaft, nachhaltige Tätigkeit, Immobilienerwerb im Zwangsvollstreckungsverfahren und anschließender immobilienverkauf

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 20.01.2021, C-655/19, LN

Praxisproblem

Bei dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um Begriff des Steuerpflichtigen (Unternehmer). Der Kläger des Ausgangsrechtsstreits gewährte einer anderen Person ein privates Darlehen. Die Rückzahlung wurde mittels Grundpfandrechten an Immobilien gesichert. Das Darlehen wurde nicht zurückgezahlt. Im Rahmen der Versteigerung erhielt der Kläger den Zuschlag für drei Immobilien.

Sachverhalt

Im Jahr 2010 veräußerte der Kläger eine dieser Immobilien sowie eine andere, die er im Jahr 2005 käuflich erworben hatte. In den Jahren 2011 und 2012 veräußerte er die beiden anderen Immobilien.

Die Steuerbehörde ging von einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Klägers aus und setzte MwSt fest. Sie stellte fest, dass die ab 2010 bewirkten Umsätze zur Erzielung von Einnahmen geführt hätten, deren Höhe die Einstufung der Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit, die nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen ausgeübt werde, fordere. Die beiden vom Steuerpflichtigen 2010 veräußerten Immobilien seien nicht für persönliche Zwecke verwendet worden, sondern zum Zweck des Weiterverkaufs zur Erzielung von Einnahmen erworben worden. Dabei sei unerheblich, auf welche Art und Weise diese erworben worden seien. Da die im RO-Steuergesetzbuch vorgesehene jährliche Obergrenze für die Mehrwertsteuerbefreiung überschritten worden sei, sei das Datum festgesetzt worden, bis zu dem die Registrierung zu Mehrwertsteuerzwecken habe erfolgen müssen (10.07.2010), sowie der Zeitpunkt, ab dem der Kläger mehrwertsteuerpflichtig geworden sei (01.08.2010). Hinsichtl. der in den Jahren 2011 und 2012 veräußerten Immobilien wurde der erste dieser Umsätze von der Steuerbehörde als ein befreiter Umsatz eingestuft, da die Lieferung nach dem 31.12. des auf den Erstbezug folgenden Jahres erfolgt sei. Der zweite dieser Umsätze wurde als mehrwertsteuerpflichtig angesehen.

Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob der Kläger als Steuerpflichtiger anzusehen ist und die spätere Veräußerung von Immobilien, die der Gläubiger durch die Zwangsvollstreckung aus dem Grundpfandrecht erworben hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. Das Vorlagegericht war der Ansicht, dass in dieser Frage keine Rechtsprechung des EuGH vorliegt und ersuchte um Auslegung der Art. 2 und 9 MwStSystRL, um zu klären, ob der Kläger als Steuerpflichtiger anzusehen ist und die spätere Veräußerung von Immobilien, die der Gläubiger durch die Zwangsvollstreckung aus dem Grundpfandrecht erworben hatte, eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, die zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ausgeübt wird, oder ob es sich lediglich um eine Maßnahme zur Beitreibung des Darlehens handelt.

Entscheidung

Der EuGH hat ausgehend von der Prämisse, dass zu bestimmen sei, ob das Rechtsgeschäft, mit dem ein Gläubiger, der grundpfandrechtlich besicherte Darlehen für Immobilien gewährt und in einem Zwangsvollstreckungsverfahren den Zuschlag für diese Immobilien erhalten hat, diese nach einer gewissen Zeit verkauft, eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL darstellt, oder ob es bloß zur (nicht zur Unternehmereigenschaft führenden) Ausübung des Eigentumsrechts durch seinen Inhaber gehört, im Ausgangsverfahren die Unternehmereigenschaft verneint. Die Verkäufe der Immobilien gehörten danach in Wirklichkeit zur bloßen Ausübung des Eigentumsrechts und der ordnungsgemäßen Verwaltung des Privatvermögens und waren nicht Ausübung einer wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeit. Die Rechtsgeschäfte des Klägers im Ausgangsverfahren gehörten zur Verwaltung von Privatvermögen, wenn der Kläger erstens die Beitreibung seiner Forderungen und die Wiederherstellung seines Vermögens zum Ziel hatte und zweitens keine aktiven Schritte zur Vermarktung von Grund und Boden unternommen hat. Daraus folgt, dass der Kläger in Bezug auf die Verkäufe der Immobilien nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger (Unternehmer) i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL anzusehen ist. Die Immobilienverkäufe waren somit nicht steuerbar.

Praxishinweis

Die deutsche Rechtslage ist von dem Urteil grds. betroffen. Abschn. 2.1 UStAE enthält die Verwaltungsauffassung zur Unternehmereigenschaft und Abschn. 1.2 UStAE zur Verwertung von Sachen. Nach bisheriger deutscher Rechtslage wäre entgegen dem Urteil wohl grds. von einer unternehmerischen Tätigkeit auszugehen, wobei die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst a UStG (optional) zur Anwendung kommen könnte. Dies ist aufgrund des Urteils nicht mehr generell denkbar.

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