EuGH-Urteil vom 18.1.2024, C-791/22 (Hauptzollamt Braunschweig)

Zollkodex kann nicht zur Bestimmung des Ortes der Einfuhrumsatzsteuer herangezogen werden

Sachverhalt
PL, eine in Polen wohnhafte Person, erwarb im Jahr 2012 auf einem Markt in Polen insgesamt 43 760 Zigaretten, auf deren Verpackungen ukrainische und belarussische, aber keine Steuerbanderolen aus Mitgliedstaaten der EU, angebracht waren. Er verbrachte die Zigaretten in die Nähe von Braunschweig, ohne diese den zuständigen Zollstellen zu gestellen. Dort übergab er sie einige Tage später einem deutschen Käufer. Dabei wurde er festgenommen; die Zigaretten wurden sichergestellt und später vernichtet.


Gegen PL wurden folgende Abgaben festgesetzt:


Zollschuld
Da die Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht wurden, ist gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex a,F, (heute Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK) die Zollschuld entstanden sei, deren Schuldner PL gemäß Art. 202 Abs. 3 dritter Gedankenstrich Zollkodex a.F. (heute Art. 79 Abs. 3 UZK) wurde. Diese Feststellungen des zuständigen HZA Braunschweig waren unstreitig. 


Umsatzsteuerschuld
Daneben war das HZA Braunschweig der Ansicht, dass gemäß § 21 Abs. 2 UStG, der die zollrechtlichen Vorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt.) für entsprechend anwendbar erklärt, in Deutschland die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden sei und erließ einen Steuerbescheid über € 2.006,38 EUSt.
 

Inhalt des Urteils
Das FG Hamburg hat über die Klage des PL gegen die festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer zu entscheiden. Maßgeblich ging es um die Frage, ob die streitige Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland entstanden ist, welche Vorschriften im vorliegenden Fall mithin für die Bestimmung des Entstehungsorts der Einfuhrumsatzsteuer maßgeblich sind. Das FG Hamburg legte dem EuGH daher die Frage vor, ob § 21 Abs. 2 UStG den europarechtlichen Vorgaben, entspreche. Dafür kommen neben den vom FG Hamburg in seinen Vorlagefragen genannten Artikel 30 und 60 der Mehrwertsteuersystemrichtline (MwStSystRL) insbesondere Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der MwStSystRL in Betracht. Nach dieser Vorschrift entsteht die Einfuhrumsatzsteuer in dem Zeitpunkt, in dem auch die Zollschuld entsteht. Fraglich ist jedoch, an welchem Ort sie entsteht. Da die Zigaretten in Polen in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen sind, müsste nach der Grundregel des Artikel 60 der MwStSystRL die Einfuhrumsatzsteuer auch dort entstanden sein, sofern nicht eine abweichende zollrechtliche Regelung besteht, die auch auf das Umsatzsteuerrecht anwendbar ist.


Dies verneint der EuGH in der vorliegenden Entscheidung und verweist insbesondere auf den Grundsatz der steuerlichen Territorialität. Im Gegensatz zu den Zöllen, die der Union unabhängig davon zustehen, welcher Mitgliedstaat sie erhebt, stehen die Einnahmen aus der Einfuhrumsatzsteuer nach diesem Grundsatz dem Mitgliedstaat zu, in dem der Endverbrauch erfolgt. Dem widerspräche es, wenn man Art. 215 Abs. 4 des (damals noch gültigen) Zollkodex sinngemäß anwende, wonach die Zollschuld, sofern sie weniger als 5 000 Euro beträgt, als in dem Mitgliedstaat entstanden gilt, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde. Dies ist auch unter Geltung des UZK relevant, der mit Art. 87 Abs. 4 eine identische Regelung – allerdings mit einer Wertgrenze von € 10.000 – enthält. Andere Normen, die den Leistungsort (und damit auch den Entstehungsort der Einfuhrumsatzsteuer) nach Deutschland verlegen könnten, waren nicht ersichtlich. Wie auch in seiner früheren Rechtsprechung (EuGH vom 10. Juli 2019, C 26/18 – Federal Express; EuGH vom 8. September 2022, C 368/21 – HZA Hamburg) weist der EuGH darauf hin, dass die Gegenstände zum Verbrauch in dem jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt sein müssen. Der EuGH hat dem vorlegenden FG Hamburg aufgegeben, dies „insbesondere unter Berücksichtigung der Menge der vorschriftswidrig in die Union eingeführten Waren und der Art und Weise, in der sie erworben und anschließend weitergegeben wurden“ zu prüfen.
 

Praxishinweise
Auch wenn der EuGH nunmehr festgestellt hat, dass der Wortlaut des § 21 Abs. 2 UStG zu weitgehend ist und damit in diesem Fall keine Belastung mit Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland erfolgen darf (sofern sie denn zum Verbrauch in Polen bestimmt war), so hat der PL dennoch nicht zwingend gewonnen. Gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. 2010, L 268, S. 1) wären die deutschen Zollbehörden, die diesen Fall ermittelt haben, ohne Aufforderung durch die polnischen Behörden verpflichtet, an diese die Informationen über die Sicherstellung dieser Zigaretten zu übermitteln, um insbesondere die Gefahr eines Steuerverlusts dort zu vermeiden. Sofern der Vorgang in Polen noch nicht verjährt ist, würde dort eine Einfuhrumsatzsteuer zum dortigen (auch im Jahr 2012 bereits gültigen) Regelsteuersatz von 23 % und damit in Höhe von € 2.428,78 entstehen. 


Für die praktische Anwendung bleibt die – eher tatsächliche als rechtliche – Frage, in welchem Mitgliedstaat die Ware zum Verbrauch bestimmt war, im Ergebnis nicht geklärt. Für die Nutzung eines PKW hatte der EuGH den Wohnort angenommen (EuGH vom 8. September 2022, C 368/21 – HZA Hamburg; EuGH vom 3. März 2021, C-7/20 – HZA Münster), für nur durchreisende Waren den bereits feststehenden Bestimmungsort (EuGH vom 10. Juli 2019, C 26/18 – Federal Express). Mit welchem geplanten Verbrauchsort die mit ukrainischen und belarussischen Steuerbanderolen versehenen Zigaretten nach Polen gelangten wird sich praktisch vermutlich kaum klären lassen. 
 

Links

EuGH-Urteil vom 18.1.2024, C-791/22 (Hauptzollamt Braunschweig)

EuGH-Urteil vom 10. 7.2019, C 26/18 (Federal Express)

EuGH-Urteil vom 8. 9.2022, C 368/21 (HZA Hamburg)

EuGH-Urteil vom 3.3.2021, C-7/20 (HZA Münster)

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