Einfuhrumsatzsteuer und seine Entstehung bei vorschriftswidrigem Verbringen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 03.03.2021, C-7/20 (VS) Einfuhrumsatzsteuer | Vorschriftswidriges Verbringen eines Pkw in das Zollgebiet der EU, Ort der Entstehung von EUSt

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Düsseldorf v. 11.12.2019, 4 K 473/19 Z, EU, ging es um die Auslegung der Art 30, Art 60 und Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL. Streitig war, ob eine abgabenpflichtige Einfuhr einer Ware (hier Pkw) vorliegt, wenn die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU eingeführt wird und wo die EUSt in diesem Fall entsteht.

Sachverhalt

Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Er verbrachte im Oktober 2017 seinen Pkw mit amtlichen türkischen Kennzeichen aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne den Pkw zu einer Einfuhrzollstelle zu befördern und zu gestellen. Die Einfuhr des Pkw wurde im Rahmen einer Polizeikontrolle am 26.02.2018 in Deutschland festgestellt. Im März 2018 überführte er den Pkw wieder in die Türkei und verkaufte ihn dort. Das Hauptzollamt setzte Einfuhrzoll und Einfuhrumsatzsteuer gegen den Kläger fest. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Pkw vorschriftswidrig in das Zollgebiet der EU eingeführt.

Nach Art. 87 Abs. 4 UZK galt die Zollschuld als in Deutschland entstanden, weil die Zollbehörden in Deutschland festgestellt hatten, dass die Zollschuld gem. Art. 79 UZK in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich in Bulgarien, entstanden war und der dieser Schuld entsprechende Abgabenbetrag weniger als 10.000,00 EUR betrug. Klärungsbedürftig für das FG war, ob in entsprechender Anwendung der Regelung des Art. 87 Abs. 4 UZK auch die MwSt als in Deutschland entstanden galt. Gem. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der MwSt. Als Einfuhr eines Gegenstandes gilt gem. Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Gemeinschaft. Gem. Art. 70 MwStSystRL treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr erfolgt. Wenn die eingeführten Gegenstände Zöllen unterliegen, treten nach Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen. Das FG war der Auffassung, § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK könne in dem Sinne ausgelegt werden, dass die EUSt-Schuld wie die Einfuhrzollschuld als in Deutschland entstanden gilt, wenn – wie im Streitfall – die Voraussetzungen des Art. 87 Abs. 4 UZK auch in Bezug auf die EUSt erfüllt sind.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass die EUSt für zollpflichtige Gegenstände in dem Mitgliedstaat entsteht, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde, sofern die fraglichen Waren in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sind, auch wenn sie körperlich in einem anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt sind.

Praxishinweis

Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen kann, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind. Allerdings kann eine solche Vermutung widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld in dem Mitgliedstaat führte, in dem dieses Fehlverhalten begangen wurde, ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. In diesem Fall entsteht die EUSt in diesem anderen Mitgliedstaat ein (vgl. EuGH v. 10.07.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung).

Anders als in der Sache C-26/18, wo das zollrechtliche Fehlverhalten in Deutschland lag, aber Griechenland als endgültiger Bestimmungsort und Verbrauchstaat der Ware anzusehen war, ist der EuGH im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass das Fahrzeug zwar faktisch über Bulgarien in das Gebiet der Union gelangte, so dass in Bulgarien gegen die zollrechtlichen Verpflichtungen verstoßen wurde. Weiter geht der EuGH aber davon aus (das muss das FG Düsseldorf aber noch prüfen), das das Fahrzeug von dem Kläger tatsächlich in Deutschland (seinem Wohnsitzmitgliedstaat) benutzt wurde, auch wenn es auf seiner Fahrt von der Türkei nach Deutschland zuerst in Bulgarien in das Zollgebiet der Union gelangte und nach der Durchfahrt durch das Gebiet eines Drittstaats (Serbien) anschließend erneut in Ungarn in das Zollgebiet der Union gelangte ist. Infolgedessen sei (so der EuGH) die EUSt in Deutschland entstanden, da das Fahrzeug dort in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sei.

Nach Art. 87 Abs. 4 UZK galt die Zollschuld als in Deutschland entstanden, weil die Zollbehörden in Deutschland festgestellt hatten, dass die Zollschuld gem. Art. 79 UZK in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich in Bulgarien, entstanden war und der dieser Schuld entsprechende Abgabenbetrag weniger als 10.000,00 EUR betrug. Auf diese Vorschrift ist der EuGH nicht eingegangen. Die Bedeutung dieser Vorschrift bleibt nunmehr offen, da der EuGH bereits über Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL Deutschland das Besteuerungsrecht hinsichtl. der EUSt zugesprochen hat.

Unklar bleibt nach dem Urteil aber auch, in welchem Mitgliedstaat eigentlich der Verbrauch bei Nutzung eines Pkw entsteht, der vorschriftswidrig in die EU eingeführt wird. Nach dem Urteil könnte dies der Wohnsitzmitgliedstaat des Fahrzeugnutzers sein, wenn das Fahrzeug dort überwiegend genutzt wird. Die Anfahrten aus dem Drittlandsgebiet, selbst wenn sie über einen anderen Mitgliedstaat erfolgen, könnten dabei nicht als Kriterium dafür anzusehen sein, dass das Fahrzeug dort bereits in den Wirtschaftskreislauf gelangt.

Die Entscheidung zeugt davon, wie besonders die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer nach der Rechtsprechung des EuGH zu beurteilen ist. Maßgeblich ist der Eingang in den Wirtschaftskreislauf für einen mehrwertsteuerrechtlichen Verbrauch. Für Unternehmen ist es daher immer von erheblicher Bedeutung die Entstehung der Zollschuld und die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer separat zu betrachten. Das USt-Team der AWB steht Ihnen bei diesen Fragen gern mit Rat und Tat zur Seite.

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