Steuerbefreiung, Leistungen von Wohnungseigentümergenossenschaften an ihre Mitglieder unionsrechtswidrig

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 17.12.2020, C-449/19, WEG Tevesstraße

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Baden-Württemberg ging es um die unionsrechtliche Zulässigkeit der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 13 UStG.

Sachverhalt

Im Ausgangsverfahren errichtete die Klägerin im Jahr 2012 auf dem Grundstück, das den Wohnungseigentümern gehört, die Mitglieder der Klägerin sind, ein Blockheizkraftwerk. Der mit diesem Kraftwerk erzeugte Strom wurde an ein Energieversorgungsunternehmen und die erzeugte Wärme an die Wohnungseigentümer geliefert. Die Klägerin beantragte den Abzug der Vorsteuer aus den Kosten für die Anschaffung und den Betrieb des Kraftwerks für das Jahr 2012. Das Finanzamt ließ den Vorsteuerabzug nur für den auf die Stromerzeugung entfallenden Anteil zu, der sich auf 28 % des geltend gemachten Betrags belief. Es verweigerte den Vorsteuerabzug für den auf die Wärmeerzeugung entfallenden Anteil, weil es sich bei der Lieferung von Wärme durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft an die Eigentümer, die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind, um einen nach § 4 Nr. 13 UStG steuerfreien Umsatz handele.

Das UStG behandelt Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) als Unternehmer, wenn es die von den WEG gegenüber den Wohnungseigentümern und Teileigentümern erbrachten Leistungen, soweit sie in der Überlassung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gebrauch, seiner Instandhaltung, Instandsetzung und sonstigen Verwaltung sowie der Lieferung von Wärme und ähnlichen Gegenständen bestehen, nach § 4 Nr. 13 UStG steuerfrei stellt. Nach dem Urteil des Sächsischen FG v. 14.01.2009, 2 K 1725/06, EFG 2009, 1344, steht § 4 Nr. 13 UStG im Einklang mit der 6. EG-Richtlinie, da nach der Protokollerklärung der Ratstagung v. 17.05.1977 zur 6. EG-Richtlinie Rat und Kommission erklärt hätten, „dass die Mitgliedstaaten die Bereitstellung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gebrauch, zur Instandhaltung, Instandsetzung und sonstigen Verwaltung sowie die Lieferung von Wärme und ähnlichen Gegenständen durch Wohnungseigentümergemeinschaften an die Wohnungseigentümer von der Mehrwertsteuer befreien können.“

Das FG Baden-Württemberg äußerte Zweifel an der unionsrechtlichen Wirksamkeit der vorgenannten Protokollerklärung. Es fragte den EuGH, ob Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Lieferung von Wärme durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft an die Eigentümer, die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind, steuerfrei ist. Das FG nahm an, dass es sich bei der Wärmelieferung im Ausgangsverfahren um einen steuerbaren (und mangels Steuerbefreiung) steuerpflichtigen Umsatz nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL handelte.

Entscheidung

Der EuGH hat zunächst, ohne explizit gefragt geworden zu sein, bestätigt, dass eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die Wärme an ihre Mitglieder liefert, dies als Unternehmer und im Rahmen eines Leistungsaustausches bewirken kann. Sodann hat er seine ständige Rechtsprechung bestätigt, wonach Protokollerklärungen, die bei vorbereitenden Arbeiten, die zum Erlass einer Richtlinie geführt haben, abgegeben worden sind, bei der Auslegung der Richtlinie nicht berücksichtigt werden, wenn ihr Inhalt im Wortlaut der fraglichen Bestimmung keinen Ausdruck gefunden hat und sie somit keine rechtliche Bedeutung haben (vgl. u. a. EuGH v. 22.10.2009, Swiss Re Germany Holding, C‑242/08). Dies sei vorliegend der Fall, da weder Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie, der die Steuerbefreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken regelt, noch Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL auch nur den geringsten Hinweis darauf enthielten, dass die in besagtem Protokoll festgehaltene Erklärung des Rates und der Kommission (Protokollerklärung Nr. 7 der Tagung des Rates der Europäischen Union v. 17.05.1977 zu Art. 13 der 5. EG-Richtlinie) in diesen Bestimmungen ihren Ausdruck gefunden hätte.

Somit ist Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL nach dem Urteil dahin auszulegen, dass eine Steuerbefreiung wie die in § 4 Nr. 13 UStG nicht unter diese Bestimmung fällt.

Dies kann nach den weiteren Entscheidungsgründen des EuGH nicht durch das von der Bundesregierung vorgebrachte und implizit auf den Neutralitätsgrundsatz gestützte Argument in Frage gestellt werden, wonach die Lieferung von Wärme durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft an die Eigentümer, die Mitglieder der Gemeinschaft sind, steuerfrei sein müsse, um eine Gleichbehandlung der umsatzsteuerrechtlichen Belastung zu erreichen zwischen einerseits den Mietern und Eigentümern von Einfamilienhäusern, die nicht umsatzsteuerpflichtig bzw. von der Umsatzsteuer befreit seien, nämlich wenn sie sich in ihrer Eigenschaft als Eigentümer selbst mit Wärme belieferten oder wenn sie gleichzeitig das Haus und die Anlage zur Wärmeerzeugung mieteten, und andererseits den Gebäudemiteigentümern, bei denen MwSt erhoben werde, wenn die Gemeinschaft, deren Mitglieder sie sind, ihnen Wärme liefere. Das Vorbringen der Bundesregierung beruhe auf dem Vergleich der Lieferungen von Gegenständen an zwei sich klar unterscheidende Verbrauchergruppen und der Umstand, dass diese Gruppen potenziell unterschiedlich behandelt werden, sei nur die Folge der Entscheidung, die von den diesen Gruppen angehörenden Personen darüber getroffen wurde, Eigentümer einer Wohnung in einem in Miteigentum stehenden Gebäude zu sein oder nicht.

Praxishinweis

Die im vorliegenden Verfahren geäußerten Zweifel des FG Baden-Württemberg an der unionsrechtlichen Zulässigkeit der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 13 UStG haben sich nach der EuGH-Entscheidung als berechtigt erwiesen. § 4 Nr. 13 UStG war aus § 4 Nr. 13 UStG 1973 in das UStG 1980 übernommen worden. Im Zuge dieser Übernahme wurde durch die Einfügung der Worte "und Teileigentümer" klargestellt, dass die Steuerbefreiung der Wohnungseigentümergemeinschaften nicht nur für Leistungen an Wohnungseigentümer, sondern auch für Leistungen an Teileigentümer (Eigentümer von nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen) gilt (vgl. BMF-Schr. v. 07.04.1980, BStBl I 1980, 222). Im Übrigen ist die Vorschrift seither unverändert geblieben.

§ 4 Nr. 13 UStG hat sowohl in der 6. EG-Richtlinie als auch in der diese ab 01.01.2007 ablösenden MwStSystRL keine unmittelbare Grundlagenvorschrift, auf die sich die nationale Rechtsnorm stützen könnte. Die Art. 132 ff. MwStSystRL, die den Umfang der Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug abschließend regeln, enthalten eine dem § 4 Nr. 13 UStG vergleichbare Steuerbefreiung nicht. Die nationale Vorschrift wird auf die Protokollerklärung Nr. 7 des Rates und der Kommission zu Art. 13 der 6. EG-Richtlinie (in Kraft bis 31.12.2006) gestützt (so die Begründung zu § 4 Nr. 13 UStG 1980, BT-Drucks. 8/1779, 34). Danach können "die Mitgliedstaaten die Bereitstellung des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gebrauch, zur Instandhaltung, Instandsetzung und sonstigen Verwaltung sowie die Lieferung von Wärme und ähnlichen Gegenständen durch Wohnungseigentümergemeinschaften an die Wohnungseigentümer von der Mehrwertsteuer befreien". Aus der Protokollerklärung zur MwStSystRL ergibt sich, dass - trotz der Aufhebung der 1. EG-Richtlinie, der 6. EG-Richtlinie und der jeweiligen Änderungsrechtsakte - die dazu ergangenen Begründungen in den Erwägungsgründen und die Protokollerklärungen weiterhin gelten. Insoweit hat die Protokollerklärung zur MwStSystRL folgenden Wortlaut: „Zur Richtlinie insgesamt: Wenn eine bessere Rechtsetzung gefördert werden soll, so muss die Sechste Richtlinie überarbeitet werden. Der Rat und die Kommission sind dennoch der Ansicht, dass der Rahmen dieser Überarbeitung so beschränkt werden sollte, dass wesentliche Änderungen der bestehenden Mehrwertsteuergesetzgebung unterbleiben. Die Änderungen der Struktur und des Wortlauts dienen somit nur dazu, den Text klarer und verständlicher zu gestalten und zielen nicht darauf ab, die momentan geltende rechtliche Situation zu verändern. Auch die Begründung der neugefassten MwSt-Bestimmungen wird durch diese Änderungen nicht berührt; obwohl die Erste und die Sechste Richtlinie und die späteren Änderungsrichtlinien aufgehoben werden, gelten die in den ursprünglichen Erwägungsgründen dargelegten Gründe für jene Bestimmungen weiterhin. In Anbetracht der früheren Protokollerklärungen zur Sechsten Richtlinie und den späteren Änderungsrichtlinien bestätigen der Rat und die Kommission, dass diese von der Aufhebung dieser Richtlinien nicht berührt werden.“

Ob die Protokollerklärung Nr. 7 des Rates und der Kommission zu Art. 13 der 6. EG-Richtlinie (die nach Vorstehendem auch für die MwStSystRL gilt) tatsächlich eine tragende unionsrechtliche Grundlage von § 4 Nr. 13 UStG darstellt, konnte schon bisher durchaus bezweifelt werden. Nach der EuGH-Rechtsprechung (vgl. z. B. EuGH v. 26.02.1991, C-292/89, Antonissen, DB 1991, 1075; EuGH v. v. 29.05.1997, C-329/95, VAG Sverige, RIW 1997, 610) kann eine Protokollerklärung nicht zur Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts herangezogen werden, wenn der Inhalt der Erklärung in der fraglichen Vorschrift keinen Ausdruck gefunden und die Protokollerklärung somit keine rechtliche Bedeutung hat. Daraus ist wohl zu schlussfolgern, dass einer Protokollerklärung, unabhängig von der Vorschrift, auf die sie sich bezieht, allenfalls eine Bedeutung dahingehend zukommt, dass sie Hilfe bei der Auslegung der entsprechenden unionsrechtlichen Norm bieten kann. Eine Protokollerklärung kann aber niemals unmittelbare unionsrechtliche Grundlage einer nationalen Norm sein (ansonsten hätte man ja auch gleich das entsprechende Unionsrecht schaffen können). Selbst wenn einer Protokollerklärung eine rechtliche Bedeutung zukäme, könnte sich diese Bedeutung nur aus ihrem Wortlaut ergeben und müsste auch einen Ausdruck in der Vorschrift finden, auf die sie sich bezieht. Da die Art. 132 ff MwStSystRL (ebenso wie zuvor schon die 6. EG-Richtlinie) keinerlei Regelungen für Leistungen von WEG enthalten, kann der Protokollerklärung zu Art. 13 der 6. EG-Richtlinie schon von daher keine rechtliche Bedeutung beigemessen werden (vgl. auch Huschens in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 4 Nr. 13 Rz. 4).

Dies hat der EuGH nunmehr ausdrücklich bestätigt. Damit ist der deutsche Gesetzgeber gehalten, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 13 UStG abzuschaffen.

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