Rechnungsberichtigung durch Rückwirkung

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 18.09.2020

Praxisproblem

Der EuGH hatte entschieden (Urt. v. 15.09.2016, C-516/14, Barlis 06 sowie v. 15.09.2016, C-518/14, Senatex):

  • Der Vorsteuerabzug kann nicht allein deshalb verweigert werden, weil die Rechnung, die der Unternehmer besitzt, nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllt, obwohl die Finanzbehörde über alle notwendigen Informationen verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugs vorliegen;
  • der Berichtigung einer Rechnung kann in Bezug auf eine zwingende Rechnungsangabe Rückwirkung zukommen, so dass der Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.

Der BFH hatte sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (insbes. BFH v. 20.10.2016, V R 26/15), so dass eine Rechnungsberichtigung nach § 31 Abs. 5 UStDV beim Rechnungsempfänger hinsichtl. seines Rechts auf Ausübung des Vorsteuerabzugs auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirken kann. Dies setzt nach der BFH-Rechtsprechung allerdings voraus, dass das zu beurteilende Dokument folgende Mindestangaben enthält:

  • Zum Rechnungsaussteller,
  • zum Leistungsempfänger,
  • zur Leistungsbeschreibung,
  • zum Entgelt und
  • zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer.

Diese Angaben dürfen nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen.

Sachverhalt

Ergänzend hatte der BFH entschieden:

  • Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt neben dem Vorliegen der materiellen Voraussetzungen auch weiterhin den Besitz einer Rechnung voraus.
  • Insbes. kann die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht durch bloßen Zeugenbeweis nachgewiesen werden oder eine Rechnung als formelle Anforderung für den Vorsteuerabzug komplett entfallen.
  • Vielmehr ist der Fall der fehlenden Rechnung von dem Fall der Berichtigung einer zuvor fehlerhaft erteilten Rechnung abzugrenzen (BFH v. 15.10.2019, V R 14/18).
  • Die Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung beim Vorsteuerabzug gilt unabhängig davon, ob sie zum Vorteil oder Nachteil des Leistungsempfängers wirkt.
  • Auch der Stornierung und Neuausstellung einer sie ersetzenden Rechnung kann eine Rückwirkung zukommen.
  • Eine Rechnung ist danach auch dann „unzutreffend“ i. S. d. § 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b UStDV, wenn sie im Einvernehmen aller Beteiligten vollständig rückabgewickelt und die gezahlte USt zurückgezahlt wurde (BFH v. 22.11.2020, XI R 10/17).
  • Ein Abrechnungsdokument ist keine Rechnung und kann deshalb auch nicht mit der Folge einer Ausübungsvoraussetzung für den Vorsteuerabzug rückwirkend berichtigt werden, wenn es wegen ganz allgemein gehaltener Angaben nicht möglich ist, die abgerechnete Leistung eindeutig und leicht nachprüfbar festzustellen.

Entscheidung

Die Verwaltung hat sich mit BMF-Schreiben v. 18.09.2020 nunmehr offiziell dieser Rechtsprechung angeschlossen.

Der Besitz einer Rechnung, die eine Steuerbelastung offen ausweist, ist aber nicht lediglich eine formelle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, sondern zugleich materielle Voraussetzung, weil die Angabe der Steuerbelastung essenziell für den Gleichlauf der Steuerbelastung des Leistenden mit dem Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers ist.

Das Erfordernis des Besitzes einer Rechnung besteht nach wie vor fort; ein Vorsteuerabzug kann grds. nicht gänzlich ohne Rechnung geltend gemacht werden.

Praxishinweis

Besitz einer Rechnung

Maßgeblich ist nicht die Existenz einer Rechnung, sondern der darüber hinausgehende Besitz einer Rechnung.

Bei einer Gesamtbetrachtung der EuGH-Urteile „Barlis“ und „Vadan“ hätte man zu dem Ergebnis kommen können, dass ein Vorsteuerabzug ohne klassische Rechnung denkbar ist (Kombination aus mehreren Dokumenten, wie Lieferschein, Vertrag etc.). Die Verwaltung schließt diesen Fall jedoch grds. aus bzw. der Nachweis des Vorsteuerabzugs durch ergänzende Dokumente ist nur im Fall fehlerhaft ausgestellter Rechnungen, die nicht berichtigt werden, denkbar.

Fehlerhafte Rechnung ohne Berichtigung

Wichtig ist, dass in Ausnahmefällen der Vorsteuerabzug auch geltend gemacht werden kann, wenn der Unternehmer eine Rechnung besitzt, die nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllt und die auch nicht berichtigt wurde. Der Vorsteuerabzug ist dann von der Verwaltung unter Anwendung eines strengen Maßstabes auch zu gewähren, wenn die Finanzverwaltung über sämtliche Angaben verfügt, um die materiellen Voraussetzungen zu überprüfen.

Der Unternehmer kann durch objektive Nachweise belegen, dass ihm andere Unternehmer auf einer vorausgehenden Umsatzstufe tatsächlich Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert bzw. erbracht haben, die seinen der MwSt unterliegenden Umsätzen dienten und für die er die USt tatsächlich entrichtet hat. Der Nachweis der Steuerbelastung des Unternehmers auf der vorausgegangenen Umsatzstufe (tatsächliche Entrichtung der Steuer) kann nur über eine Rechnung oder deren Kopie mit offen ausgewiesener USt geführt werden. Ohne diesen Ausweis verbleiben Zweifel, ob und in welcher Höhe die Steuer in dem Zahlbetrag enthalten ist und damit, ob die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen.

Rechnungsberichtigung oder Stornierung und Neuerteilung

Gelingt dem Unternehmer kein objektiver Nachweis wie zuvor beschrieben, kann er auch eine nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigte Rechnung vorlegen. Eine Berichtigung kann auch dadurch erfolgen, dass der Rechnungsaussteller die ursprüngliche Rechnung storniert und eine Neuausstellung der Rechnung vornimmt.

Der Fall einer fehlenden Rechnung (dann kein Vorsteuerabzug möglich) ist von dem Fall einer fehlerhaft erteilten Rechnung abzugrenzen.

Auf eine Rechnungsberichtigung kann für Zwecke des Vorsteuerabzugs jedenfalls alleine aus Vereinfachungsgesichtspunkten nicht verzichtet werden.

Die Rechnung kann bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG berichtigt und vorgelegt werden.

Eine Rechnungsberichtigung erfordert eine spezifische und eindeutige Bezugnahme auf die ursprüngliche Rechnung. Diese kann durch den Hinweis auf eine Berichtigung, Änderung oder Ergänzung der bisherigen Rechnung erfolgen. Dies dürfte bei Stornierung einer Rechnung und Neuerteilung ebenso sein (d. h. die Neurechnung müsste einen Hinweis auf die stornierte Rechnung enthalten). Dies geschieht regelmäßig durch die Angabe der fortlaufenden Nummer der ursprünglichen Rechnung (s. a. Abschn. 14.11 Abs. 1 Satz 4 UStAE). Zumindest muss sich aus dem Berichtigungsdokument ein konkreter und eindeutiger Bezug zu der berichtigten Rechnung ergeben (s. Art. 219 MwStSystRL). Dieser kann auch aus einem Begleitdokument zur berichtigenden Rechnung folgen, so dass dieses Begleitdokument mit der anliegenden neuen Rechnung als Berichtigungsdokument angesehen werden kann (vgl. BFH v. 22.01.2020, XI R 10/17).

Ein Dokument ist dann eine rückwirkend berichtigungsfähige Rechnung, wenn es Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen USt enthält. D. h. ist eine dieser Angaben so fehlerhaft, dass sie einer fehlenden Angabe gleichsteht, liegt kein berichtigungsfähiges Dokument vor und der Vorsteuerabzug wäre erst für den VZ des Vorliegens einer ordnungsgemäßen Rechnung möglich.

Die Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung beim Vorsteuerabzug gilt unabhängig davon, ob die Berichtigung zum Vorteil oder zum Nachteil des Leistungsempfängers wirkt. D. h. z. B. wenn neu erteilte Rechnungen (anders als die vorherigen Rechnungen) keine gesondert ausgewiesene USt enthalten, fehlt es aufgrund der Rückwirkung somit an der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlichen Voraussetzung einer gesondert ausgewiesenen USt. Ein Vorsteuerabzug wäre dann nicht rückwirkend möglich.

Die Berichtigung einer nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldeten USt entfaltet keine Rückwirkung.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Leistungsbeschreibung in der Rechnung

Die Leistungsbeschreibung muss, um rückwirkend berichtigungsfähig zu sein, jedenfalls so konkret sein, dass die erbrachte Leistung und ein Bezug zum Unternehmen des Leistungsempfängers erkennbar sind. Eine unrichtige Leistungsbezeichnung, für die der leistende Unternehmer die gesondert ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG schuldet, ist nicht mit Rückwirkung berichtigungsfähig.

Dagegen kann eine nur ungenaue Angabe der Leistungsbezeichnung die Voraussetzungen für eine rückwirkend berichtigungsfähige Mindestangabe erfüllen. 

Eine bloße Angabe wie z. B. „Beratung“ in der Rechnung eines Rechtsanwalts oder „Bauarbeiten“ in der Rechnung eines Bauunternehmens, die nicht weiter individualisiert ist, erfüllt zwar nicht die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG, eine entsprechende Rechnung ist unter den übrigen Voraussetzungen aber mit Rückwirkung berichtigungsfähig. Dagegen reicht eine allgemein gehaltene Angabe wie z. B. „Produktverkäufe“, die es nicht ermöglicht, die abgerechnete Leistung eindeutig und leicht nachprüfbar festzustellen, nicht aus.

Bisher kein Steuerausweis

Ein bisher in einem Dokument fälschlicherweise nicht ausgewiesener Steuerbetrag (z. B. weil die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen oder einer Steuerbefreiung nicht vorliegen) kann nicht mit Rückwirkung berichtigt werden.

Der erstmalige Steuerausweis in einer berichtigten Rechnung ist insoweit mit dem erstmaligen Erstellen einer Rechnung gleichzusetzen und entfaltet daher keine Rückwirkung.

Die gleichen Grundsätze gelten, wenn sich nachträglich herausstellt, dass zwischen bestimmten Personen keine Organschaft i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vorlag und über die vermeintlichen Innenumsätze Belege ausgetauscht worden sind. Diese Belege sind Rechnungen i. S. d. § 14 Abs. 1 UStG, wenn sie einen Steuerausweis enthalten, weil mit ihnen tatsächlich über Leistungen abgerechnet worden ist. Sind diese Rechnungen nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellt, berechtigen sie zum Vorsteuerabzug. Belege ohne gesonderten Steuerausweis hingegen sind keine Rechnungen und daher einer Berichtigung mit Rückwirkung nicht zugänglich.

Bisher zu niedriger Steuerausweis

Ein unzutreffend in einer Rechnung zu niedrig ausgewiesener Steuerbetrag kann nicht mit Rückwirkung berichtigt werden. Der erstmalige zutreffende Steuerausweis in einer berichtigten Rechnung ist vielmehr insoweit mit dem erstmaligen Erstellen einer Rechnung gleichzusetzen. Das Recht zum Vorsteuerabzug in Höhe des Mehrbetrags kann somit erst in dem Besteuerungszeitraum ausgeübt werden, in dem der Leistungsempfänger im Besitz der Rechnung ist, die den Steuerbetrag in zutreffender Höhe ausweist. Der Vorsteuerabzug des ursprünglich zu niedrigen Steuerbetrags bleibt bestehen. 

Rechnungsberichtigung ist kein rückwirkendes Ereignis

Bei der Korrektur eines Steuerbescheids zur nachträglichen Berücksichtigung einer rückwirkend berichtigten Rechnung nach § 31 Abs. 5 UStDV ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht anwendbar. Denn die Berichtigung einer Rechnung mit Rückwirkung ist kein Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit entfaltet (rückwirkendes Ereignis). Die Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nur zulässig, wenn das rückwirkende Ereignis nachträglich, d. h. nach Entstehen des Steueranspruchs eingetreten ist. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht jedoch gleichzeitig mit dem Steueranspruch nach Art. 167 MwStSystRL. Nach § 233a Abs. 2a AO beginnt der Zinslauf, soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO beruht, abweichend von § 233a Abs. 2 Satz 1 und 2 AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten oder der Verlust entstanden ist. Da die rückwirkende Rechnungsberichtigung aber kein rückwirkendes Ereignis ist, ist somit die Verzinsung der USt nach § 233a Abs. 2a AO nicht eröffnet.

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