Umsatzsteuer: Neues Merkblatt zur Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft

BMF-Schreiben vom 27.03.2023

Die korrekte Umsatzbesteuerung in der Baubranche ist ein komplexes Thema und führt immer wieder zur Verunsicherung und umfangreichen Fragestellungen bei den Steuerpflichtigen. Zudem können hier erhebliche steuerliche Risiken in einer Betriebsprüfung erwachsen, wenn die zu Grunde liegenden umsatzsteuerrechtlichen Normen nicht korrekt angewendet wurden. Die Abgrenzungsfragen bei Leistungen der Baubranche sind daher sorgfältig umsatzsteuerlich zu würdigen und betreffen z.B. Abgrenzungsfragen bei Werklieferungen und Werkleistungen, insbesondere hinsichtlich des umsatzsteuerlichen Ausführungszeitpunktes, Definitionsprobleme bei grundstücksbezogenen sonstigen Leistungen nach § 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG oder die rechtssichere Anwendung des Reverse Charge Verfahrens bei Bauleistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Abs. 5 S. 2 UStG.

Antworten auf Fragen zur umsatzsteuerrechtlichen Besteuerung von Bauleistungen, für die nicht der Leistungsempfänger Schuldner der Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 UStG wird, hatte die deutsche Finanzverwaltung bisher in einem Merkblatt zur Umsatzsteuerbesteuerung in der Bauwirtschaft aus dem Jahr 2009 zusammengefasst (Schreiben betr. Umsatzsteuer: Merkblatt zur Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft (USt M 2), BMF-Schreiben vom 12.10.2009, IV B 8-S 7270/07/10001, BStBl. I 2009 S. 1292). Da seit der Veröffentlichung des Merkblatts mittlerweile bereits mehr als 13 Jahre verstrichen sind, wurden die diesbezüglichen Verwaltungsgrundsätze jetzt aktualisiert.

Merkblatt zur Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft vom Januar 2023  
Eingangs ist zu erwähnen, dass mit dem neu gefassten Merkblatt zur Umsatzsteuerung in der Bauwirtschaft (Merkblatt zur Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft (USt M 2), BMF-Schreiben vom 27.01.2023, Gz. III C 2 – S 7270/20/10002:001, Dok. 2022/1206977), dessen Grundsätze seit Januar 2023 anzuwenden sind, auch die entsprechenden Verweise hierauf im Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) geändert werden.

Werklieferungen und Werkleistungen
Inhaltlich bleibt auch im neuen Merkblatt vom Januar 2023 die Begriffsbestimmung von Werklieferungen und Werkleistungen ein zentraler Bestandteil. Eine Werklieferung liegt danach vor, wenn der Unternehmer für das (Bau-)Werk einen fremden Gegenstand be- oder verarbeitet und dafür selbstbeschaffte Stoffe verwendet, die nicht nur Zutaten oder sonstige Nebensachen sind (§ 3 Abs. 4 UStG, Abschnitt 3.8 Abs. 1 Satz 1 UStAE). Ein Beispiel hierfür wäre die Erstellung eines schlüsselfertigen Wohnhauses auf dem Grundstück des Auftraggebers. Dagegen ist von einer Werkleistung auszugehen, wenn für eine Leistung kein Hauptstoff verwendet wird (z. B. Aushub einer Baugrube, Erdbewegungen) oder wenn die benötigten Hauptstoffe vom Auftraggeber gestellt werden (Abschnitt 3.8 Abs. 1 Satz 3 UStAE). Die Verwendung von Nebenstoffen des Auftragnehmers soll dabei auf die Beurteilung als Werkleistung keinen Einfluss haben. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen Werklieferung und Werkleistung ist dabei u.a. besonders wichtig für die Bestimmung des umsatzsteuerlichen Leistungsortes, für die Anwendung von Steuerbefreiungstatbeständen, für den Steuersatz und die Steuerschuldnerschaft.

Teilleistungen
In der Baubranche ist es üblich, dass für zu erbringende oder bereits erbrachte Leistungen mit Hilfe von Anzahlungen und/oder eben auch mit Teilzahlungen je nach Baufortschrift gearbeitet wird. Das Merkblatt vom Januar 2023 widmet sich daher u. a. ausgiebig der Erbringung von umsatzsteuerrechtlichen Teilleistungen. Teilleistungen sind demnach, und unter Verweis auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 2 und 3 UStG und Abschnitt 13.4 UStAE, wirtschaftlich abgrenzbare Teile, für die das Entgelt gesondert vereinbart wird und die demnach statt der einheitlichen Gesamtleistung geschuldet werden. Die Finanzverwaltung knüpft dabei im Merkblatt für den Begriff der Teilleistung an die vier Voraussetzungen der wirtschaftlichen Teilbarkeit, der gesonderten Abnahme, der gesonderten Vereinbarung sowie der gesonderten Abrechnung, die kumulativ vorliegen müssen und definiert diese im Detail.

Entstehungszeitpunkt der Umsatzsteuer
Eine zentrale Frage im Umsatzsteuerrecht stellt die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt der Umsatzsteuer dar. Dieses gilt nicht nur bei der Unterscheidung in die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Soll-Besteuerung) nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 1 UStG oder vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b. UStG, sondern auch für in der Bauwirtschaft erbrachte Werklieferungen und Werkleistungen und dabei wiederum hinsichtlich ausgeführter Gesamt- oder Teilleistungen oder für die Frage von geleisteten Anzahlungen. Hierzu nimmt das Merkblatt im Detail Stellung.

Bei im Rahmen der Soll-Besteuerung erbrachten Werklieferungen sind diese ausgeführt, sobald dem Auftraggeber die Verfügungsmacht am erstellten Werk verschafft worden ist. Verschaffung der Verfügungsmacht bedeutet, den Auftraggeber zu befähigen, im eigenen Namen über das auftragsgemäß fertig gestellte Werk zu verfügen. In der Regel setzt die Verschaffung der Verfügungsmacht die Übergabe und Abnahme des fertig gestellten Werks voraus (vgl. Abschnitt 13.1 Abs. 2 und Abschnitt 13.2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UStAE). Sonstige Leistungen, insbesondere Werkleistungen, sind grundsätzlich mit der Fertigstellung, d.h. mit der Vollendung des Werks ausgeführt. Die Vollendung des Werks wird häufig mit dem Zeitpunkt der Abnahme zusammenfallen, dieses soll aber keine Voraussetzung sein (vgl. Abschnitt 13.1 Abs. 3 und Abschnitt 13.2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UStAE).

In der Bauwirtschaft sind zudem Voraus- und Abschlagszahlungen die Regel. Die Steuer entsteht in den Fällen, in denen das Entgelt oder ein Teil des Entgelts (Voraus- und Abschlagszahlungen) vor Ausführung der Leistung/Teilleistung gezahlt wird, bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt/Teilentgelt vereinnahmt worden ist (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG und Abschnitt 13.5 UStAE). Das gilt auch in dem Fall, in dem über die Voraus- und Abschlagszahlung noch keine Rechnung erteilt worden ist.  

Ermittlung des Entgelts
In jeweils eigenen Abschnitten geht das Merkblatt weiter auf die in der Baubranche typische Frage der Ermittlung des Entgelts bei vertraglich vereinbarten Einheits- oder Pauschalpreisen nach Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) oder üblichen vertraglichen Einbehalten zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen der Leistungsempfänger (z. B. als sogenannte Sicherungseinbehalte für Baumängel) ein.

Verhältnis zu §§ 48 EStG
Ebenso setzt sich die Finanzverwaltung mit dem umsatzsteuerlichen Verhältnis zu dem ertragsteuerlichen Steuerabzug bei Bauleistungen nach § 48 ff. des Einkommensteuergesetztes (EStG) auseinander. Nach den §§ 48 ff. EStG hat der Leistungsempfänger für den Empfang von Bauleistungen unter bestimmten Voraussetzungen einen 15%igen Steuerabzug von der vereinbarten Bruttovergütung einzubehalten. Hier stellt das Merkblatt klar, dass der Steuerabzug nach den §§ 48 ff. EStG keine Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Behandlung hat. Da zum umsatzsteuerlichen Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG auch Zahlungen des Leistungsempfängers an Dritte gehören (vgl. Abschnitt 10.1 Abs. 7 Satz 1 UStAE), ist bei der Ermittlung des Entgelts auch die vom Leistungsempfänger einzubehaltende und an das für den leistenden Unternehmer zuständige Finanzamt abzuführende Bauabzugsteuer zu berücksichtigen. Das Beispiel 5 im Merkblatt verdeutlicht diesen Zusammenhang anschaulich.

Voranmeldung und Vorauszahlungszeitraum der Umsatzsteuer
Weiter geht das Merkblatt auf die umsatzsteuerlichen Voranmeldezeiträume, insbesondere nach § 18 Abs. 1 S. 1 und S. 4 UStG für Vorauszahlungen, und die damit verbundenen Erklärungspflichten ein. Hier ergeben sich jedoch keine Besonderheiten und es kann zudem auf die allgemeinen Steuerentstehungszeitpunkte der Umsatzsteuer des § 13 UStG verwiesen werden. Dieses betrifft insbesondere die Steuerentstehung bei Soll-Versteuerung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a.) S. 1 UStG), bei Teilleistungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a.) S. 2 und 3 UStG), bei Ist-Versteuerung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 b.) UStG) sowie bei Anzahlungen als einer besonderen Form der Ist-Versteuerung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 a.) S. 4 UStG).

Ausstellung von Rechnungen und Vorsteuerabzug
Die Rechnungsstellung ist bei Leistungen in der Baubranche durch das Stellen von Anzahlungs- und Abschlagszahlungen sowie dem Vereinbaren von Teilleistungen häufig komplex und fehleranfällig. Dem Rechnungsstellungsprozess sollte daher vom Steuerpflichtigen stets mit großer Sorgfalt begegnet werden. Das Merkblatt verweist u.a. auf die Rechnungslegungsvorschriften bei Bauleistungen gegenüber Privatpersonen. Da die Rechnung von der Privatperson zwei Jahre lang aufzubewahren ist (§ 14b Abs. 1 Satz 5 UStG), muss etwa die Rechnung einen Hinweis auf die zweijährige Aufbewahrungspflicht enthalten (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 9 UStG). Fehlt dieser Hinweis ist dieses nach
§ 26a Abs. 2 Nr.1 UStG bußgeldbewährt.

Zudem ist in den Endabrechnungen über erhaltene Anzahlungs- und Abschlagszahlungen genau abzurechnen. In derartigen Endabrechnungen, mit denen der Unternehmer über die ausgeführten Leistungen insgesamt abrechnet, sind nach § 14 Abs. 5 Satz 2 UStG die vor der Ausführung der Leistung vereinnahmten Entgelte sowie die hierauf entfallenden Steuerbeträge abzusetzen, wenn über diese Entgelte Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis (Anzahlungs- oder Abschlagsrechnungen) erteilt worden sind. Unterlässt der Unternehmer dies, hat er den in dieser Rechnung ausgewiesenen Steuerbetrag voll an das Finanzamt abzuführen (§ 14c Abs. 1 UStG, Abschnitt 14.8 Abs. 10 UStAE).
 
Beim Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr.1 UStG ergeben sich soweit in der Bauwirtschaft keine Besonderheiten. So kann bei Anzahlungen etwa die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG bereits für den Besteuerungszeitraum abgezogen werden, in dem die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist. Den Vorsteuerabzug bei den komplizierteren Sachverhalten verdeutlicht die Finanzverwaltung im Merkblatt zusätzlich anhand von drei Beispielen.

Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers
Mit dem Merkblatt vom 27.01.2023 bezieht sich die Finanzverwaltung zwar, wie erwähnt, vornehmlich auf Bauleistungen, für die nicht der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 UStG wird (Reverse-Charge), dennoch verweist das Merkblatt hier ebenfalls noch einmal auf die zu beachtenden Grundsätze für Reverse-Charge-Leistungen in der Bauwirtschaft. So wird herausgestellt, dass es zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens insbesondere dann kommen kann, wenn Werklieferungen oder sonstige Leistungen von im Ausland ansässigen Unternehmen empfangen werden (§ 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG, Abschn. 13b.1 UStAE). Dies gilt auch dann, wenn die jeweilige Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich bezogen wird (§ 13b Abs. 5 Satz 7 UStG).

Weiter stellt die Finanzverwaltung fest, das in den Fällen, in denen Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen - mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen, die von einem im Inland ansässigen Unternehmer im Inland erbracht werden, der Leistungsempfänger dann Steuerschuldner ist, wenn er Unternehmer ist und selbst nachhaltig Bauleistungen erbringt, unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Bauleistung verwendet (§ 13b Abs. 5 Satz 2 UStG). Davon ist auszugehen, wenn der Leistungsempfänger dem leistenden Unternehmer eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige Bescheinigung nach dem Vordruckmuster USt 1 TG gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG vorlegt (vgl. Abschnitt 13b.3 Abs. 3 UStAE). Dies gilt auch wieder, wenn die Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich bezogen wird (§ 13b Abs. 5 Satz 7 UStG).

Zudem verweist das Merkblatt darauf, dass der Unternehmer, der eine Leistung ausführt, für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet, zur Ausstellung einer Rechnung mit der Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ verpflichtet ist und die Umsatzsteuer in der Rechnung nicht gesondert ausweisen darf (vgl. § 14a Abs. 5 UStG). Wird Umsatzsteuer, für die der Leistungsempfänger Steuerschuldner ist, dennoch in einer Rechnung des Leistenden gesondert ausgewiesen, schuldet der Leistende den ausgewiesenen Steuerbetrag nach § 14c Abs. 1 UStG.

Fazit
Das aktualisierte Merkblatt zur Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft vom Januar 2023 in Form des BMF-Schreibens vom 27.03.2023 enthält, wie bereits der Vorgänger aus dem Jahr 2009, eine übersichtliche Zusammenfassung der Grundsätze der Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft. Als eine solche Übersicht dient es dem Steuerpflichtigen und seinem steuerlichen Berater als kompakter Begleiter bei Umsatzsteuerfragen in der Baubranche. Zu begrüßen sind daher wie bereits in der vorherigen Fassung auch die zahlreichen Beispiele der Finanzverwaltung. Dass die umsatzsteuerliche Materie, insbesondere im Bereich der Rechnungsstellung bei Anzahlungen- und Abschlagszahlungen in der Bauwirtschaft, häufig doch deutlich komplexer ist, verdeutlicht allein schon der Blick in die Vorgaben der Finanzverwaltung in Abschn. 14.8 UStAE zur Rechnungserteilung bei der ISt-Versteuerung von Anzahlungen. Unterlaufen hier Fehler, droht schnell eine Besteuerung nach § 14c UStG für den unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis. Hier sollte auf jeden Fall der Rat des Umsatzsteuerspezialisten eingeholt werden.

Für Fragen und Beratung zu dem komplexen Themenbereich der Umsatzbesteuerung in der Baubranche stehen Ihnen die Berater der AWB daher gern zur Verfügung. Sprechen Sie uns einfach an!

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