Ort der Dienstleistung, Vorliegen einer festen Niederlassung des Leistungsempfängers, EU-Tochtergesellschaft eines Drittlandsunternehmens als feste Niederlassung

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 07.05.2020, C-547/18, Dong Yang Electronics sp. z o.o.

Praxisproblem

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung des Begriffs der festen Niederlassung in Art. 44 MwStSystRL (Ort der Dienstleistung) sowie der hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen in Art. 10, 11 und 22 der MwStVO bei abhängigen Gesellschaften.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine polnische Kapitalgesellschaft. Sie erbrachte Dienstleistungen in Form der Montage von Leiterplatten an eine in Südkorea ansässige Gesellschaft L. Die hierfür benötigen Materialien standen im Eigentum der Gesellschaft L und wurden der Klägerin von einer in Polen ansässigen Tochtergesellschaft T der Gesellschaft L übergeben. Nach Fertigung übergab die Klägerin die Leiterplatten auch wieder an die Gesellschaft T und die Leiterplatten wurden von der Gesellschaft L wiederum an eine andere, mit ihr verbundene Gesellschaft, veräußert.

Vertragliche Grundlage der Leistungen war ein Vertrag der Klägerin mit der Gesellschaft L, die der Klägerin versicherte, dass sie keine feste Niederlassung in Polen unterhalte, dort keine Arbeitnehmer beschäftige und dort weder Immobilien noch technische Ausstattung besitze. Die Klägerin stellte ihre Leistungen der Gesellschaft L in Rechnung und ging dabei davon aus, dass die Leistungen in Polen nicht der MwSt unterliegen würden.

Die polnische Steuerbehörde vertrat die Auffassung, dass die Dienstleistung tatsächlich nicht an die Gesellschaft L, sondern an deren feste Niederlassung in Polen erbracht worden sei. Der Ort dieser festen Niederlassung sei der Sitz der Gesellschaft T in Polen. Dank der vertraglichen Ausgestaltung des entsprechenden Geschäftsmodells und der Ausnutzung des wirtschaftlichen Potenzials der Gesellschaft T habe die Gesellschaft L die Niederlassung der Gesellschaft T wie eine eigene nutzen können und damit in Polen eine eigene feste Niederlassung begründet. Dass die Gesellschaft L nicht über eine eigene technische oder personelle Ausstattung verfügte, stehe dem Bestehen einer festen Niederlassung nicht entgegen. Die Klägerin hätte die Verwendung der von ihr erbrachten Dienstleistungen gem. Art. 22 VO (EU) Nr. 282/2011 überprüfen müssen. Hätte sie dies getan, hätte sie auch festgestellt, dass der tatsächlich Begünstigte die Gesellschaft T in Polen sei. Entsprechend sei der Ort der von der Klägerin erbrachten Leistung in Polen gelegen.

Das Vorlagegericht stellte dem EuGH die folgenden Fragen:

  1. Kann aus dem bloßen Umstand, dass eine Gesellschaft mit Sitz außerhalb der Europäischen Union eine abhängige Gesellschaft mit Sitz in Polen besitzt, das Vorliegen einer festen Niederlassung in Polen i. S. v. Art. 44 MwStSystRL und Art. 11 Abs. 1 MwStDV hergeleitet werden?
  2. Ist im Fall einer verneinenden Antwort auf die erste Frage ein Dritter dazu verpflichtet, die vertraglichen Verhältnisse zwischen der Gesellschaft mit Sitz außerhalb der Europäischen Union und der abhängigen Gesellschaft zu prüfen, um zu ermitteln, ob die erstgenannte Gesellschaft eine feste Niederlassung in Polen hat?

Entscheidung

Der EuGH hat die beiden Fragen zusammenfassend dahin ausgelegt, dass zu klären sei, ob die Schlussfolgerung, dass eine Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat eine feste Niederlassung im Gebiet eines Mitgliedstaats hat, von einem Dienstleistungserbringer aus dem bloßen Umstand hergeleitet werden kann, dass die Drittlandsgesellschaft dort eine Tochtergesellschaft besitzt, oder ob dieser Dienstleistungserbringer verpflichtet ist, für die Zwecke einer solchen Beurteilung die vertraglichen Beziehungen zwischen den beiden Gesellschaften zu prüfen.

Der EuGH verneint mit Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung zum Vorliegen einer festen Niederlassung, dass ein Dienstleistungserbringer das Vorliegen einer festen Niederlassung einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aus dem bloßen Umstand herleiten kann, dass diese Gesellschaft dort eine Tochtergesellschaft besitzt.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass sich aus Art. 22 MwSt-DVO nicht ergibt, dass der Erbringer der betreffenden Dienstleistungen verpflichtet wäre, die vertraglichen Verhältnisse zwischen einer Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat und ihrer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu prüfen, um zu ermitteln, ob die Muttergesellschaft über eine feste Niederlassung in diesem Mitgliedstaat verfügt. Insbesondere zielt Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 MwSt-DVO auf den Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen zwischen dem Erbringer und dem steuerpflichtigen Dienstleistungsempfänger ab und nicht auf die vertraglichen Verhältnisse zwischen diesem steuerpflichtigen Dienstleistungsempfänger und einer Einrichtung, die ggf. als seine feste Niederlassung ermittelt werden könnte.

Im Übrigen dürfen dem Dienstleistungserbringer nicht dadurch, dass von ihm verlangt wird, die vertraglichen Verhältnisse zwischen einer Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft zu prüfen, obwohl diese Informationen ihm grds. nicht zugänglich sind, Pflichten auferlegt werden, die den Steuerbehörden obliegen.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Recht, weil es u. a. die auch in Deutschland unmittelbar anwendbaren Vorschriften der Art. 10, 11 und 22 MwStDV betrifft.

Art. 10 Abs. 1 MwStDV bestimmt: Für die Anwendung der Art. 44 und 45 MwStSystRL gilt als Ort, an dem der Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, der Ort, an dem die Handlungen zur zentralen Verwaltung des Unternehmens vorgenommen werden. Art. 11 Abs. 1 MwStDV bestimmt: Für die Anwendung des Art. 44 der MwStSystRL gilt als „feste Niederlassung“ jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Art. 10 MwStDV, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. Art. 22 Abs. 1 MwStDV bestimmt: Der Dienstleistungserbringer prüft die Art und die Verwendung der erbrachten Dienstleistung, um die feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers zu ermitteln, an die die Dienstleistung erbracht wird. Kann der Dienstleistungserbringer weder anhand der Art der erbrachten Dienstleistung noch ihrer Verwendung die feste Niederlassung ermitteln, an die die Dienstleistung erbracht wird, so prüft er bei der Ermittlung dieser festen Niederlassung insbesondere, ob der Vertrag, der Bestellschein und die vom Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers vergebene und ihm vom Dienstleistungsempfänger mitgeteilte MwSt-IdNr. die feste Niederlassung als Dienstleistungsempfänger ausweisen und ob die feste Niederlassung die Dienstleistung bezahlt. Kann die feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers, an die die Dienstleistung erbracht wird, gemäß den Unterabs. 1 und 2 von Art. 22 Abs. 1 MwStDV nicht bestimmt werden oder werden einem Steuerpflichtigen unter Art. 44 MwStSystRL fallende Dienstleistungen innerhalb eines Vertrags erbracht, der eine oder mehrere Dienstleistungen umfasst, die auf nicht feststellbare oder nicht quantifizierbare Weise genutzt werden, so kann der Dienstleistungserbringer berechtigterweise davon ausgehen, dass diese Dienstleistungen an dem Ort erbracht werden, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.

Nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung ist eine feste Niederlassung u. a. durch eine geeignete Struktur in Bezug auf personelle und technische Ausstattung gekennzeichnet. Am Ort der festen Niederlassung muss das Rechtssubjekt also über Personal und technische Mittel verfügen. Diese personelle und technische Ausstattung muss geeignet sein, um den Empfang und die Nutzung von Dienstleistungen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse oder die Erbringung von Dienstleistungen angemessen zu ermöglichen. Für die Anerkennung eines Ortes als feste Niederlassung müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Anwesenheit von Personal und eine technische Ausstattung. Eine solche Sichtweise auf den Begriff der „festen Niederlassung“ ergibt sich auch aus dem Inhalt von Art. 11 Abs. 1 MwStDV. Auch im Urteil v. 16.10.2014, C-605/12, Welmory, hat der EuGH festgestellt, dass ein erster Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in einem Mitgliedstaat hat und der Dienstleistungen empfängt, die von einem zweiten, in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen erbracht werden, im Hinblick auf die Bestimmung des Ortes der Besteuerung dieser Dienstleistungen in diesem anderen Mitgliedstaat über eine „feste Niederlassung“ i. S. v. Art. 44 MwStSystRL verfügt, wenn diese Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen und technischen Ausstattung her ermöglicht, Dienstleistungen für ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu empfangen und zu verwenden. Gleichzeitig hat der EuGH im Urteil Welmory betont, dass „der zweckdienlichste und damit der vorrangige Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung aus steuerlicher Sicht der Ort ist, an dem der Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat“. Trotz ihres besonderen Charakters erfordere eine solche wirtschaftliche Tätigkeit zumindest eine geeignete Struktur namentlich im Hinblick auf ihre personelle und technische Ausstattung, wie z. B. eine Computerausstattung, Server und entsprechende Computerprogramme. Die Berücksichtigung einer anderen Niederlassung sei nur dann von Interesse, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat.

Der Sachverhalt in der vorliegenden Sache unterschied sich von den tatsächlichen Umständen, die der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zugrunde lagen. Die Gesellschaft L kommt als Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU nicht in den Genuss der im EU-Vertrag vorgesehenen Freiheiten und kann im Unionsgebiet nicht beliebig wirtschaftlich tätig sein. Andererseits kann ein Unternehmen, das die vertraglichen Freiheiten nicht genießt, im Grunde genommen eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats aber mittels einer abhängigen Kapitalgesellschaft ausüben. Hierbei ist offensichtlich, dass ein solches Unternehmen – in einem bestimmten Umfang – aus seiner Eigentümerstellung heraus stets die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Handeln einer solchen Gesellschaft hat. In einem gewissen Grad verfügt es somit über die personellen Mittel und Sachmittel der abhängigen Gesellschaft. Die abhängige Gesellschaft ist in der Regel mit dem Mutterunternehmen auch durch viele Verträge verbunden und dient – das ist der Sinn ihrer Gründung – der Verwirklichung der wirtschaftlichen Ziele dieses Unternehmens. Insoweit ist es zwar möglich, dass eine Tochtergesellschaft die feste Niederlassung ihrer Muttergesellschaft darstellt (vgl. EuGH v. 20.02.1997, C-260/95, DFDS), eine solche Einstufung hängt aber von den in Art. 11 MwSt-DVO genannten materiellen Voraussetzungen ab, die unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität zu prüfen sind. Jedenfalls ist der leistende Unternehmer, der an eine EU-Tochtergesellschaft eines Drittlandsunternehmens eine Dienstleistung erbringt, nicht verpflichtet, selbst zu ermitteln, ob die Muttergesellschaft mit dieser Tochtergesellschaft über eine feste Niederlassung in der EU verfügt. Ausschlaggebend sind in erster Linie die vertraglichen Verhältnisse, die der leistende Unternehmer eingegangen ist, um zu prüfen, an wen seine Leistung erbracht wird.

 

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