EuGH zur Steuerbarkeit von grenzüberschreitenden Innenumsätzen im Organkreis

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 17.09.2014, C-7/13, Skandia America Corp. USA, filial Sverige, Steuerbarkeit, grenzüberschreitende Dienstleistungen Umsätze innerhalb eines Unternehmens, Dienstleistung an eine ausländische Zweigniederlassung, die dort Teil einer Organschaft ist

Praxisproblem

Bei Dienstleistungen, die von der Hauptniederlassung eines Unternehmens in einem Drittland an seine Zweigniederlassung in einem EU-Mitgliedstaat erbracht werden und bei denen die Kosten für den Erwerb der Zweigniederlassung zugewiesen werden, ist fraglich, ob diese Leistungen steuerbare Umsätze (und nicht lediglich nicht steuerbare Innenumsätze innerhalb des gleichen Unternehmens) darstellen, wenn die Zweigniederlassung zu einer Organschaft in diesem Mitgliedstaat gehört. In dem vorliegenden Verfahren ging es um IT-Dienstleistungen, die die Klägerin S (eine US-amerikanische Zweigniederlassung in Schweden) in den Jahren 2007 und 2008 von ihrer in den USA ansässigen Hauptniederlassung (US) gegen Kostenverrechnung erhalten hatte.

Sachverhalt

S gehört einer schwedischen umsatzsteuerlichen Organschaft (O) an und ist eine in Schweden tätige Zweigniederlassung einer US Corporation (US). US ist in den USA ansässig und war in den Streitjahren zentrale Einkaufsgesellschaft des US-Konzerns für IT-Dienstleistungen. US stellte die extern erworbenen IT-Dienstleistungen verschiedenen Gesellschaften innerhalb des US-Konzerns und S zur Verfügung. S verarbeitete die extern erworbenen IT-Dienstleistungen zu dem Endprodukt IT-Produktion weiter und stellte dieses Gesellschaften im US-Konzern zur Verfügung. Bei den Gesellschaften handelte es sich um solche innerhalb als auch außerhalb der Organschaft O. Bei den Dienstleistungen – sowohl von US an S als auch von S an die übrigen Gesellschaften des US-Konzerns – wurde ein Aufschlag („mark-up“) von 5 % in Rechnung gestellt. Zwischen US und S wurden die Kosten durch die Aufstellung von internen Rechnungen zugewiesen.

Die schwedische Steuerbehörde war der Ansicht, dass es sich bei den Dienstleistungen von US an S um steuerpflichtige Umsätze handele. Da US nicht Teil der schwedischen Organschaft O sein könne, verteile sich die Tätigkeit von US auf zwei Steuersubjekte, US und die Organschaft O. Eine Leistung zwischen US und S sei somit mehrwertsteuerrechtlich als Leistung von US an die Organschaft O anzusehen. Als Steuerschuldner sah die schwedische Steuerbehörde US an, die über ihre feste Niederlassung S zu besteuern sei. Für diesen Zweck registrierte die schwedische Steuerbehörde S als Steuerschuldner und setzte die Steuer zu Lasten dieser Registrierung fest. Die Registrierung bedeute indessen nicht, dass S als ein von der Organschaft O getrenntes Steuersubjekt anzusehen sei.

S war der Auffassung, dass Umsätze, die zwischen einer Hauptniederlassung und einer Zweigniederlassung bewirkt werden, nicht umsatzsteuerbar sind. Dies gelte auch dann, wenn eine der Niederlassungen einer Organschaft angehöre. Die internen Rechnungen dienten allein den körperschaftsteuerrechtlichen Anforderungen an eine korrekte Ergebnisaufteilung zwischen der Haupt- und Zweigniederlassung. Für die Registrierung einer Zweigniederlassung parallel zu der bestehenden Registrierung in der Organschaft fehle es ebenfalls an einer Rechtsgrundlage.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die von einer Hauptniederlassung in einem Drittland zugunsten einer Zweigniederlassung in einem Mitgliedstaat erbrachten Dienstleistungen steuerbare Umsätze darstellen, wenn die ausländische Zweigniederlassung dort einer MwSt-Gruppe (Organschaft) angehört. Den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet vom 08.05.2014 ist der EuGH damit nicht gefolgt.

Zur Begründung führt der EuGH aus, dass eine Zweigniederlassung zwar grundsätzlich nicht selbst Steuerpflichtiger (Unternehmer) sei, etwas anderes gelte jedoch bei Zugehörigkeit zu einer MwSt-Gruppe i.S.d. Art. 11 MwStSystRL. Aufgrund der Zugehörigkeit zur MwSt-Gruppe bilde die Zweigniederlassung mit den anderen Mitgliedern einen einzigen Steuerpflichtigen. Die in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob eine Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens überhaupt Mitglied einer inländischen MwSt-Gruppe sein kann, bejaht der EuGH damit im Ergebnis, begründet dies jedoch nicht.

Der EuGH hat seine Rechtsprechung wiederholt, wonach die Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen es ausschließt, dass die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe weiterhin getrennt Mehrwertsteuererklärungen abgeben und innerhalb wie außerhalb ihres Konzerns weiter als Steuerpflichtige angesehen werden. Folglich seien die von einem Dritten zugunsten eines Mitglieds der MwSt-Gruppe erbrachten Dienstleistungen nicht als zugunsten dieses Mitglieds, sondern vielmehr als zugunsten seiner MwSt-Gruppe erbracht anzusehen.

Somit müssen auch die von einer Hauptniederlassung zugunsten ihrer Zweigniederlassung erbrachten Dienstleistungen als an die MwSt-Gruppe erbracht angesehen werden. Die Erbringung solcher Dienstleistungen stelle daher einen steuerbaren Umsatz dar.

Zur zweiten Vorlagefrage betreffend die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei im Ausland ansässigen Leistungserbringern kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die MwSt-Gruppe als Empfänger der Dienstleistungen gilt und somit die MwSt schuldet (Reverse-Charge).

Praxishinweis

Umsätze zwischen der Hauptniederlassung eines Unternehmens und einer Zweigniederlassung werden innerhalb ein und desselben Unternehmens getätigt. Es handelt sich um sog. Innenumsätze, die vom Anwendungsbereich der MwSt nicht erfasst werden. Dieser Grundsatz soll nach dem vorliegenden Urteil dann nicht gelten (entgegen dem deutschen Recht), wenn eine der Niederlassungen einer Organschaft angehört.

In seinem Urteil v. 23.03.2006, C- 210/04, FCE Bank hatte der EuGH zu der Frage Stellung genommen, ob eine feste Niederlassung, die kein eigenständiges Rechtssubjekt ist, und von der Hauptniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen bezieht, als Unternehmer anzusehen ist. Der EuGH hatte hierzu festgestellt, dass eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, die kein eigenes Rechtssubjekt ist und das in Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL genannte Merkmal der Selbständigkeit nicht erfüllt, nicht als Steuerpflichtiger angesehen werden kann. Das Urteil betraf zwar einen Fall, in dem sich sowohl die Hauptniederlassung als auch die Zweigniederlassung in EU-Mitgliedstaaten befanden. Die gleichen Grundsätze müssten aber auch gelten, wenn sich die Hauptniederlassung oder Zweigniederlassung in einem Drittland befinden. Es ist nämlich nicht ersichtlich, warum der Begriff des Steuerpflichtigen in Art. 9 MwStSystRL einer anderen Auslegung bedarf, wenn sich eine Niederlassung außerhalb des Gemeinschaftsgebietes befindet. Insbesondere unterliegt die „Einfuhr“ von Dienstleistungen aus Drittstaaten ebenso wenig dem Anwendungsbereich der MwStSystRL wie der „innergemeinschaftliche Erwerb“ von Dienstleistungen. Hauptniederlassung und unselbständige Zweigniederlassungen eines einheitlichen Rechtssubjekts sind stets als ein Steuerpflichtiger nach Art. 9 MwStSystRL zu beurteilen.

Die vom EuGH im Urteil FCE Bank aufgestellten Grundsätze zur mehrwertsteuerlichen Behandlung von Leistungen zwischen Haupt- und Zweigniederlassung schienen allgemein gültig. Der Umstand, dass eine Zweigniederlassung Mitglied einer Organschaft ist, führt nach dem vorliegenden Urteil jedoch dazu, dass eine Hauptniederlassung und ihre Zweigniederlassung nicht als ein Unternehmen angesehen werden können.

In ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat v. 02.07.2009 (KOM(2009) 325) vertritt die EU-Kommission – insoweit zutreffend – die Auffassung, dass Steuerpflichtige mit ihren im Ausland gelegenen Niederlassungen nicht in eine Organschaft einbezogen werden dürfen. Daraus soll dann folgen, dass die ausländische Niederlassung im Verhältnis zur gesamten Gruppe selbst als Steuerpflichtige zu behandeln ist, mithin auch im Verhältnis zu dem Gruppenmitglied, dessen Niederlassung sie ist. Folglich würden, falls ein Steuerpflichtiger einer Mehrwertsteuergruppe beitritt, alle anschließend an seine feste Niederlassung im Ausland erbrachten Dienstleistungen als Leistungen zwischen zwei getrennten Steuerpflichtigen betrachtet. Diese Auffassung wird mit dem vorliegenden Urteil bestätigt.

Die zutreffende Annahme der EU-Kommission, dass es diskriminierend wäre, wenn im Ausland ansässige Rechtsträger mit ihren im Inland belegenen Niederlassungen nicht Gruppenmitglieder werden könnten, macht es weder notwendig, noch rechtfertigt sie es, nunmehr die im Ausland belegenen Niederlassungen dadurch zu diskriminieren, dass sie als selbständige Steuerpflichtige gegenüber ihrem Rechtsträger behandelt werden. Weshalb rein innerunternehmerische Vorgänge, falls daran im In- und Ausland gelegene Niederlassungen beteiligt sind, der Besteuerung unterliegen sollen, ist nicht unmittelbar ersichtlich.

Das EuGH-Urteil widerspricht Abschnitt 2.9 Abs. 2 UStAE. Danach bleibt der Begriff des Unternehmens in § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG von der Beschränkung der Organschaft auf das Inland unberührt. Daher sind grenzüberschreitende Leistungen innerhalb des Unternehmens, insbesondere zwischen dem Unternehmer, z.B. Organträger oder Organgesellschaft, und seinen Betriebsstätten (Abschnitt 3a.1 Abs. 3) oder umgekehrt – mit Ausnahme von Warenbewegungen aufgrund eines innergemeinschaftlichen Verbringens – nicht steuerbare Innenumsätze.

Im vorliegenden Fall (sonstige Leistung einer ausländischen Muttergesellschaft, die an eine inländische Zweigniederlassung leistet, die im Inland einer Organschaft angehört), läge nach geltendem deutschem Recht ein nichtsteuerbarer Innenumsatz vor, der künftig ggf. im Inland steuerbar wäre (Steuerschuldner wäre der Organträger). Den umgekehrten Fall (sonstige Leistung einer inländischen Muttergesellschaft an ihre ausländische Zweigniederlassung, die dort einer Organschaft angehört), hat der EuGH nicht entschieden, aber auch für diesen Fall dürften die Grundsätze des vorliegenden Urteils gelten. In solchen Fällen würde dies zur Folge haben, dass Innenumsätze zwischen einer inländischen Hauptniederlassung und ihren in verschiedenen Mitgliedstaaten belegenen Zweigniederlassungen, die dort jeweils zu einer Gruppe gehören, unter sonst gleichen Bedingungen unterschiedlich besteuert würden. Die umsatzsteuerliche Würdigung der Innenumsätze würde davon abhängen, ob der Mitgliedstaat der jeweiligen Zweigniederlassung von der Möglichkeit einer Gruppenbesteuerung Gebrauch macht oder nicht.