BFH zur zeitlichen Grenze der Rücknahme des Verzichts auf Steuerbefreiungen

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 19.12.2013, V R 6/12 und v. 19.12.2013 V R 7/12, Zeitliche Grenze der Rücknahme des Verzichts auf Steuerbefreiungen

Praxisproblem

Unter den Voraussetzungen des § 9 UStG kann ein Unternehmer umsatzsteuerfreie Umsätze i.S.d. § 4 UStG als steuerpflichtig behandeln. Die Erklärung zur Option bzw. die Rücknahme kann nach Verwaltungsauffassung (Abschn. 9.1. Abs. 3 UStAE) nur bis zur formellen Bestandskraft erfolgen. Diese Auffassung war bisher jedoch umstritten. Durch die Urteile des BFH erfolgte nun eine Klarstellung.

Sachverhalt

Die M-G-GmbH (deren Gesamtrechtsnachfolgerin die Klägerin ist) erwarb im Dezember 1991 von der M-GmbH ein mit einem Hotel bebautes Grundstück. Die Verkäuferin verzichtete auf die Steuerbefreiung und stellte eine Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer aus. Diese machte die M-G-GmbH als Vorsteuer in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1991 geltend. Das Finanzamt setzte den Umsatzsteuerüberschuss erklärungsgemäß fest.

Die D-GmbH (als Rechtsnachfolgerin der M-GmbH) und die M-G-GmbH vereinbarten im Dezember 1997 den Widerruf des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung der Grundstücksveräußerung. Daraufhin wurde der M-G-GmbH eine korrigierte Rechnung – ohne Umsatzsteuerausweis – erteilt. Infolgedessen erklärte die M-G-GmbH eine Kürzung des Vorsteuerabzugs, welcher aus dem Widerruf resultierte, in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1997.

Im Rahmen einer Außenprüfung reichte die Klägerin (als Rechtnachfolgerin der M-G-GmbH) eine geänderte Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1997 ein. Sie begründete dies damit, dass die Vorsteuerkürzung nicht für das Jahr der Rücknahmen (1997), sondern für das Jahr des Leistungsbezugs (1991) hätte erfolgen müssen.

Das Finanzamt erließ einen Änderungsbescheid für das Jahr 1997, in dem es antragsgemäß die Vorsteuer heraufsetzte und entsprechend für das Jahr 1991 den Vorsteuerabzug herabsetzte. Dagegen wandte sich die D-GmbH mit der Klage. Sie trug vor, die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 1991 sei bereits abgelaufen gewesen. Die Klage blieb ohne Erfolg.
Der Sachverhalt des Urteils v. 19.12.2013, V R 7/12 ist dem oben beschriebenen Sachverhalt sehr ähnlich und wird daher nicht noch einmal aufgeführt.

Entscheidung

Zusammenfassend hat der BFH entschieden, dass die Revisionen der Klägerinnen zurückgewiesen werden.

Durch die Rücknahme der Option verliert der Käufer den gewährten Vorsteuerabzug und zwar im Jahr des Leistungsbezuges und nicht erst im Zeitpunkt der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung. Der getätigte Umsatz wird steuerfrei und demnach wird keine Steuer mehr gesetzlich geschuldet. Voraussetzung für den rückwirkenden Verlust des Vorsteuerabzugs durch die Rücknahme des Verzichts ist jedoch, dass die Rücknahme in formaler und zeitlicher Hinsicht wirksam war.

In den Streitfällen wurde der Verzicht auf die Steuerbefreiung durch die Erteilung einer neuen Rechnung ohne Umsatzsteuerausweis formal zutreffend rückgängig gemacht. Ebenso in zeitlicher Hinsicht war die Rücknahme wirksam. Solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO noch änderbar ist, kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG zurückgenommen werden.
Hierbei weist der Senat darauf hin, dass, soweit die bisherige Senatsrechtsprechung dahingehend verstanden werden konnte, dass die Rücknahme des Verzichts nur bis zur formellen Bestandskraft der Umsatzsteuerfestsetzung des Leistenden zulässig ist, der Senat daran nicht weiter festhält.
Obgleich die Begrenzung des Verzichts oder seiner Rücknahme auf die formelle Bestandskraft für Rechtssicherheit und frühzeitig klare Verhältnisse sorgt, begrenzt sie den Steuerpflichtigen aber unverhältnismäßig in der Ausübung seines Wahlrechts, zumal ein Widerruf innerhalb der formellen Bestandskraft auch nur zulässig ist, wenn ein solcher Widerruf im Gesetz vorgesehen ist, wie in § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG für die Option des Kleinunternehmers zur Regelbesteuerung oder in § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG für die Option zur Besteuerung nach Durchschnittssätzen.
Der BFH vertritt daher die Auffassung, dass der Unternehmer berechtigt ist, den Verzicht und dessen Rücknahme solange geltend zu machen, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung  nach § 164 AO noch änderbar ist.

Praxishinweis

Mit diesen Urteilen widerspricht der BFH der Verwaltungsauffassung (Abschn. 9.1 Abs. 3 UStAE), wonach eine Änderung nur bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig ist. Der BFH stellt ausdrücklich klar, dass er, soweit die bisherige Rechtsprechung dahin verstanden werden konnte, dass die Rücknahme des Verzichts nur bis zur formellen Bestandskraft der Umsatzsteuerfestsetzung des Leistenden zulässig sei, daran nicht festhält. Es bleibt demnach abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf diese Urteile reagiert.
Der BFH stellt weiter klar, dass er mit diesen Urteilen nicht von der Rechtsprechung des XI. Senats abweicht (Urt. v. 10.12.2008, XI R 1/08). In diesem Streitfall ging es nicht um ein bindendes obiter dictum, da es in dem vom XI. Senat entschiedenen Streitfall um die Frage eines rückwirkenden Wechsels von der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten nach
§ 20 UStG und somit um einen anderen Sachverhalt ging.