BFH zur Steuerfreiheit zahnärztlicher Heilbehandlungen

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 19.03.2015, V R 60/14, Steuerfreiheit oder Steuerpflicht bei Leistungen von Humanmedizinern und Zahnärzten, ärztliche Heilbehandlung, Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin

Praxisproblem

Bei Leistungen von Humanmedizinern und Zahnärzten kommt es immer wieder zu Abgrenzungsproblemen bei der Feststellung, ob die Leistung im Einzelfall steuerfrei (ohne Vorsteuerabzug) ist oder steuerpflichtig. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des EuGH erfassen sowohl der Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL als auch der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nur Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Die therapeutische Zweckbestimmung ist nicht besonders eng auszulegen. Daher können auch Leistungen medizinischer Art, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, steuerfrei sein. Bei Schönheitsoperationen ist der Zweck des Eingriffs entscheidend. Daher können ästhetisch-plastische Chirurgieleistungen, soweit sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist, unter die Begriffe „ärztliche Heilbehandlungen“ oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ fallen. Wenn der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken erfolgt, fällt er nicht unter diese Begriffe und ist somit nicht steuerfrei.

Sachverhalt

Im vorliegenden BFH-Fall ging es um in den Streitjahren 2005 und 2007 erbrachte zahnärztliche Leistungen. Im Anschluss an bestimmte medizinisch indizierte zahnärztliche Behandlungen (z.B. Wurzelkanalbehandlungen) wurde bei einigen Patienten eine Zahnaufhellung (sog. Bleaching) an den zuvor behandelten Zähnen durchgeführt. Für die Leistungen der Zahnaufhellung berechnete die Klägerin den betroffenen Patienten ein Entgelt, ohne Umsatzsteuer gesondert in Rechnung zu stellen. In den Umsatzsteuererklärungen behandelte sie die Leistungen als steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 14 UStG. Das Finanzamt ging jedoch davon aus, dass die Klägerin mit der Zahnaufhellung umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbracht habe.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, dass Zahnaufhellungen (Bleaching), die ein Zahnarzt zur Beseitigung behandlungsbedingter Zahnverdunklungen vornimmt, steuerfreie Heilbehandlungen sind. Die hier einschlägige Norm des § 4 Nr. 14 UStG ist nach Ansicht des Gerichts nicht auf solche Leistungen beschränkt, die unmittelbar der Diagnose, Behandlung oder Heilung einer Krankheit oder Verletzung dienen. Sie erfasst auch Leistungen, die erst als Folge solcher Behandlungen erforderlich werden, seien sie auch ästhetischer Natur (Folgebehandlung). So verhält es sich, wenn die medizinische Maßnahme dazu dient, die negativen Folgen der Vorbehandlung zu beseitigen

Praxishinweis

Der BFH ist der Vorinstanz (FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 09.10.2014, 4 K 179/10, EFG 2015, 251) gefolgt. Danach ist die von einem Zahnarzt durchgeführte Zahnaufhellung – sog. Bleaching – umsatzsteuerfrei, soweit sie dazu dient, einen aufgrund einer Vorerkrankung und Vorbehandlung nachgedunkelten Zahn aufzuhellen. Dient eine Maßnahme neben gesundheitlichen auch anderen wie z.B. ästhetischen Zwecken, die nicht der Behandlung oder Vorbeugung einer Krankheit bzw. Gesundheitsstörung dienen, ist der Schwerpunkt der Leistung maßgeblich dafür, ob sie umsatzsteuerfrei oder umsatzsteuerpflichtig ist. Eine Behandlung (hier eine Zahnbehandlung) kann auch dann eine begünstigte Heilbehandlung i.S.v. § 4 Nr. 14 UStG (im Sinne einer richtlinienkonformen einschränkenden Auslegung) darstellen, wenn sie auf die Beseitigung der optischen Folge einer Krankheit oder Gesundheitsstörung und einer aufgrund dieser Krankheit oder Gesundheitsstörung medizinisch indizierten Heilungsmaßnahme gerichtet ist, indem sie ein Teil einer auch zeitlich gestreckten Gesamtbehandlung der Gesundheitsstörung mit dem Ziel der soweit wie möglichen Wiederherstellung des status quo ante des behandelten Köperteils ist und folglich lediglich optische Wirkungen entfaltet. Mithin werden von der steuerlichen Begünstigung auch Maßnahmen rein optischer Natur erfasst, sofern sie der Beseitigung der durch die Gesundheitsstörung verursachten körperlichen Folgen und deren Heilung dienen. Für die Umsatzsteuerfreiheit einer ästhetischen Maßnahme wird ein Kausalitätszusammenhang in dem Sinne vorausgesetzt, dass die bestehende optische Beeinträchtigung durch die Gesundheitsstörung kausal entstanden ist und ihre Behebung aus diesem Entstehungsgrund vorgenommen worden ist. Nicht vorausgesetzt wird, dass die Korrektur der optischen Beeinträchtigung deren Ursache, also die kausale Krankheit oder den Unfall beseitigt.

Das BFH-Urteil geht nicht über die bisherige EuGH-Rechtsprechung hinaus. Danach können auch Schön-heitsoperationen – wie alle anderen ärztlichen Leistungen – nur dann nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei sind, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Es hängt somit von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ärztliche Leistungen wie Schönheitsoperationen der medizinischen Betreuung eines Menschen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienen, ob also ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht und die ärztlichen Leistungen daher umsatzsteuerfrei sind. Verallgemeinernde Aussagen in Bezug auf die Steuerpflicht oder Steuerfreiheit von Schönheitsoperationen sind daher nicht möglich. Indiz für die Steuerfreiheit einer Leistung kann aber die regelmäßige Übernahme der Kosten durch Krankenversicherungen sein.