Ermäßigter Steuersatz, Leistungen von Schaustellern, Freizeitpark, ortsgebundene und ortsungebundene Schausteller

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 09.09.2021, C-406/20 (Phantasialand)

Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Köln v. 25.08.2020 (8 K 1092/17) ging es um den Steuersatz bei Eintrittsgeldern für einen Freizeitpark.

Mit Zahlung eines Eintrittsgeldes erwarben die Besucher im Streitjahr 2014, ebenso wie in den Jahren zuvor und danach, das Recht, die Einrichtungen des Freizeitparks zu nutzen. Mit Antrag auf Änderung der USt-Festsetzung 2014 machte die Klägerin geltend, dass die Eintrittsberechtigungen nach dem ermäßigten USt-Satz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG zu versteuern seien. Das FA folgte dem nicht und ging von der Besteuerung der Eintrittsgelder zum Regelsteuersatz aus.

Die Klägerin trug vor: Der ermäßigte Steuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG sei auch auf Freizeitparks anzuwenden. Es verstoße gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Finanzverwaltung und die Rspr. die Umsätze ortsungebundener Schausteller anlässlich von saisonal und zeitlich begrenzten Jahrmärkten im Gegensatz zu den Umsätzen der ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks ermäßigt besteuerten.

Das FA berief sich auf das BFH-Urt. v. 02.08.2018, V R 6/16 (BStBl II 2019, 293), mit dem der BFH die Revision eines Freizeitparks aus Baden-Württemberg gegen ein Urteil des FG Baden-Württemberg v. 23.09.2015, 14 K 4220/12 (n.v.) als unbegründet zurückgewiesen hatte.

Das FG Köln hatte den EuGH um Vorabentscheidung gebeten, weil das Verständnis der in Art. 98 i. V. m. Anhang III Kategorie 7 der MwStSystRL verwendeten Begriffe „Jahrmärkte“ und „Vergnügungsparks“ zweifelhaft sei, weil zweifelhaft sei, ob die Rspr. des EuGH, nach dem der Kontext von zwei verschiedenen Leistungen zu berücksichtigen ist für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität vorliegt, im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt und weil zweifelhaft sei, wie die für die Feststellung eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Neutralität nach der EuGH-Rspr. maßgebliche „Sicht des Durchschnittsverbrauchers“ durch das nationale Gericht zu bestimmen ist.

Außerdem musste der EuGH klären, ob die Sicht des Durchschnittsverbrauchers im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Neutralität eine der Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten nicht zugängliche, bloß „gedankliche Perspektive“ ist.

Entscheidung

Unterschiedliche Steuersätze zulässig

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 98 i. V. m. Anhang III Nr. 7 MwStSystRL einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen unterliegen, nämlich einem ermäßigten Satz und dem Regelsteuersatz, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Weiter verbietet es das Unionsrecht nach der Entscheidung nicht, dass das vorlegende Gericht, wenn es bei der Prüfung, ob der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, besondere Schwierigkeiten hat, nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.

Praxishinweis

Mit der Entscheidung kann die unterschiedliche Besteuerung im nationalen Recht von ortsungebundenen Schaustellern (ermäßigter Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG) und von ortsgebundenen Schaustellerunternehmen wie Freizeit- und Vergnügungsparks (Regelsteuersatz) grds. beibehalten werden.

Neutralitätsgrundsatz beachtlich

Allerdings ist dabei nach dem vorliegenden Urteil der Neutralitätsgrundsatz zu beachten. Dieser Grundsatz lässt es nicht zu, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtl. der MwSt unterschiedlich zu behandeln.

Bei der Prüfung der Voraussetzung, wonach die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen, sind nach dem vorliegenden Urteil zum einen die Unterschiede zu berücksichtigen, die die Eigenschaften der fraglichen Leistungen sowie deren Verwendung betreffen und daher mit diesen Leistungen naturgemäß verbunden sind. Da der EuGH bisher schon entschieden hatte, dass es nicht allein auf die Gegenüberstellung einzelner Leistungen ankommt, sind zum anderen auch die Unterschiede des Kontexts zu berücksichtigen, in dem die Leistungen erbracht werden.

Die Beurteilung der Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit der in einem Freizeitpark einerseits und auf einem Jahrmarkt andererseits dargebotenen Schaustellerleistungen ist letztlich Sache des nationalen Gerichts. Für diese Beurteilung kann es erheblich sein, dass im vorliegenden Fall eine der Leistungen grds. ständig verfügbar ist, während die andere nur einige Tage oder Wochen im Jahr zur Verfügung steht.

Außerdem hatte die Bundesregierung in dem Verfahren geltend gemacht, dass ortsungebundene und ortsgebundene Schaustellerunternehmen nicht denselben nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen, da mit der Genehmigung für das Abhalten eines Jahrmarkts verschiedene „Marktprivilegien“ einhergehen, die für die Dauer der Festsetzung zur Freistellung von bestimmten normalerweise geltenden rechtlichen Anforderungen wie insbes. den Vorschriften über die Öffnungszeiten führen. Auch insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Unterschiede, soweit sie erwiesen sind, die Wahl des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen.

Zur Frage des FG Köln, ob das nationale Gericht in diesem Zusammenhang berechtigt ist, ein empirisches Sachverständigengutachten zur Sicht des Durchschnittsverbrauchers heranzuziehen oder ob diese Sicht nur eine einer Beweiserhebung nicht zugängliche „gedankliche Perspektive“ darstellt, stellt der EuGH fest, dass ein Gericht im Allgemeinen in der Lage ist, die Sicht des Durchschnittsverbrauchers aufgrund eigener Sachkunde festzustellen. Das Unionsrecht verbietet jedoch nicht, dass ein nationales Gericht, das bei dieser Beurteilung besondere Schwierigkeiten hat, hierzu nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.

Dieser letzte Punkt ist eine durchaus wichtige Erkenntnis, wenn es zur Abwehrberatung erforderlich sein sollte, die Ansicht eines Durchschnittsverbrauchers festzulegen. Insoweit könnte künftig auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor Gericht beantragt werden.

Link

EuGH, Urt. v. 09.09.2021, C-406/20

Quelle

EUR-Lex

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