Urteil des Gerichts der Europäischen Union zur Reichweite von Verboten der VO (EU) 833/2014 i.Z.m. Luftfahrzeugen – EuG, Urteil v. 20.12.2023, T-233/22, Islentyeva ./. Rat

EuG zur Auslegung des Art. 3d VO (EU) Nr. 833/2014 – EU-Sanktionen gegen Russland treffen keine russischen Privatpersonen ohne wirtschaftlichen Einfluss:

Im Rahmen der stetigen Ausweitung der Embargobestimmungen im Außenwirtschaftsverkehr mit Russland wurden verschiedene Verbote im Bereich der Luftfahrt bzw. i. Z. m. Luftfahrzeugen geschaffen. U.a. zählen hierzu die Bestimmungen des Art. 3d Abs. 1 der VO (EU) 833/2014, welche Start-, Überflugs- und Landeverbote für Luftfahrzeuge enthalten, die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland befinden oder von diesen gechartert werden oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen.


Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat sich nun in einem Urteil mit der Reichweite dieser Verbote auseinandergesetzt und in seiner Auslegung insbesondere auf Sinn und Zweck der VO (EU) 833/2014 abgestellt.


Sachverhalt
Ekaterina Islentyeva – luxemburgische und russische Staatsangehörige mit Privatpilotenlizenz – erhob am 28. April 2022 Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) vor dem EuG. Die Klägerin beantragte u.a. in der Sache, die VO (EU) Nr. 2022/334 des Rates, soweit sie der VO (EU) Nr. 833/2014 den Art. 3d einfügt, für nichtig zu erklären. 


Die Klägerin nutzte vor Erlass der Rechtsakte Luftfahrzeuge, die einer luxemburgischen Vereinigung ohne Gewinnzweck mit Sitz am Flughafen Luxemburg-Findel gehörten, und überflog Luxemburg, Frankreich, Deutschland, Belgien und das Vereinigte Königreich. 


 Art. 3d Abs. 1 VO (EU) Nr. 833/2014 lautet: „Luftfahrzeugen, [...], sowie nicht in Russland registrierten Luftfahrzeugen, die sich im Eigentum russischer natürlicher oder juristischer Personen, [...] oder anderweitig unter deren Kontrolle stehen, ist es untersagt, im Hoheitsgebiet der Union zu landen, vom Hoheitsgebiet der Union zu starten, oder das Hoheitsgebiet der Union zu überfliegen.“ 


Die Klägerin sah sich dadurch als russische Staatsangehörige mit Privatpilotenlizenz in ihren Rechten aus Art. 21 AEUV, sowie Art. 20 und 21 EU-Grundrechtcharta betroffen. 


Entscheidung des EuG
Das EuG wies ihre Klage zwar mit Urteil vom 20.12.2023 zurück, stellte aber klar, dass die russischen Sanktionen auf sie keine Anwendung finden: In seiner Auslegung des Art. 3d Abs. 1 kommt das EuG zu dem Ergebnis, dass eine wörtliche Auslegung von „anderweitig unter deren Kontrolle stehen“ zu der Annahme führe, dass davon eine Kontrolle wirtschaftlicher/finanzieller Art oder technischer/betrieblicher Art betroffen sein kann. 


Sinn und Zweck der VO (EU) Nr. 833/2014 sei es aber größtmöglichen Druck auf die russische Regierung auszuüben, damit diese ihre Handlungen und ihre Politik, die die Ukraine destabilisieren, sowie die militärische Aggression gegen dieses Land beenden. Beschränkungen, die sich gegen russische natürliche Personen richten, die ein nicht eingetragenes Luftfahrzeug lediglich steuern und nicht wirtschaftlich oder finanziell kontrollieren, üben keinen Druck auf die russische Regierung aus. Ein Verbot der Landung, des Starts oder des Überflugs des Unionsgebiets, das für jedes Luftfahrzeug gilt, dass in technischer oder betrieblicher Hinsicht von einem russischen Staatsangehörigen kontrolliert wird, sei im Hinblick auf das Ziel der VO (EU) Nr. 833/2014 offensichtlich ungeeignet. Art. 3d Abs. 1 beziehe sich deshalb nur auf die wirtschaftliche oder finanzielle Kontrolle über ein Luftfahrzeug, nicht aber auf die – nach dem Wortlaut grammatikalisch erfasste – technische oder betriebliche Kontrolle.  


Ausblick
Die Entscheidung des EuG zeigt auf, dass zur Auslegung der Vorschriften der VO (EU) 833/2014 nicht allein auf deren Wortlaut – welcher oftmals uferlos erscheint – abzustellen ist, sondern stets auch der Sinn und Zweck der VO (EU) 833/2014 zu berücksichtigen ist. Zur Auslegung von Verbotstatbeständen sind also die vom Embargo verfolgten Ziele mit heranzuziehen. Diesbezüglich stellt das EuG dar, dass Ziel der VO (EU) 833/2014 sei, größtmöglichen Druck auf die russische Regierung auszuüben, damit diese ihre Handlungen und ihre Politik, die die Ukraine destabilisieren, sowie die militärische Aggression gegen dieses Land beenden. Bei der Auslegung von Verbotstatbeständen der VO (EU) 833/2014 und der Prüfung der Betroffenheit von Handlungen im Einzelfall ist dies entsprechend zu berücksichtigen.

 

Quellen

Verordnung (EU) Nr. 2022/334

Verordnung (EU) Nr. 833/2014

Urteil

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