Prozesszinsen für erstattete Einfuhrumsatzsteuer

Grundsätze aus dem BFH Urteil vom 17.10.2023, VII R 53/20

I.    Hintergrund

Die Verzinsung von Nachzahlungen und Erstattungen im Steuer-, aber auch im Zollrecht, führt immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Steuer- und Abgabenpflichtigen einerseits und der Finanz- bzw. Zollverwaltung anderseits. Prominentestes Beispiel hierfür war die verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung über die Frage, ob die Höhe des Zinssatzes in Nachzahlungs- oder Erstattungsfällen verfassungskonform war, die letztendlich zu einer gesetzlichen Neuregelung der hier relevanten § 233a AO i.V. m. § 238 AO geführt hat (siehe hierzu auch unseren Newsletter 18/2022). 

Jüngst hatte auch der BFH mit Urteil vom 17.10.2023, VII R 53/20 wieder zur Frage der Verzinsung, dieses Mal in einem Fall der Zahlung von Prozesszinsen für erstatte Einfuhrumsatzsteuer, Stellung zu nehmen. Zu entscheiden hatte hier der VII. Senat des BFH, der sowohl für das Zollrecht als auch das allgemeine Abgabenrecht zuständig ist. 

II.    Zu entscheidender Sachverhalt 

Von Seiten des zuständigen Hauptzollamtes (HZA) wurde im April 2016 gegenüber der Klägerin (und Revisionsklägerin im BFH-Verfahren) Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) festgesetzt. Nach einem erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin hiergegen Klage beim zuständigen Finanzgericht Hamburg. Noch im Klageverfahren half das HZA den Einsprüchen ab und erstattete die EUSt an die Klägerin, so dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt wurde. In der Folge beantragte die Klägerin beim HZA die Gewährung von Prozesszinsen auf die EUSt, was das HZA ablehnte. Hiergegen erhob die Klägerin mit Zustimmung des HZA Sprungklage

Das FG Hamburg urteilte im Sprungklageverfahren (FG Hamburg, Urteil vom 25.09.2020, 4 K 47/20), dass der Klägerin der geltend gemachte Zinsanspruch zusteht und dieser sich auf § 236 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 der deutschen Abgabenordnung (AO) stützt. Die ebenfalls ggf. einschlägige Reglung des Art. 116 Abs. 6 Unterabs. 1 des Unionszollkodex (UZK) setzt dabei einen Erstattungsfall voraus, der im Streitfall nicht vorliegt und zudem erst auf seit dem 01.05.2016 entstandene Zollschulden anwendbar ist. Außerdem werden durch die Vorschrift allein Zinsansprüche auf Erstattungsbeträge ausgeschlossen, aber nicht Prozesszinsen. Zudem kommt es für die Anwendung von Art. 116 UZK nicht darauf an, wann der Anspruch rechtsanhängig gemacht worden, sondern darauf, wann die Zollschuld entstanden ist. 

Gegen das Urteil des FG wandte sich das HZA mit seiner Revision vor dem BFH und begründet dieses im Wesentlichen damit, dass § 236 AO durch Art. 116 Abs. 6 UZK verdrängt wird. 

Die Klägerin schließt sich den Ausführungen des FG Hamburg an und ergänzt, dass Art. 116 UZK auf das Rechtsbehelfsverfahren der Klägerin nicht anzuwenden sei, so dass die Anwendung des § 236 AO nicht durch das Unionsrecht ausgeschlossen wäre. Dabei betreffe der Ausschluss des Art. 116 UZK nur Erstattungszinsen, während Prozesszinsen, wie hier, ein Ausfluss des Klageverfahrens seien. Im Übrigen stünde ihr als Klägerin ein Anspruch auf Verzinsung auch nach dem Unionsrecht zu, während Art. 116 Abs. 6 UZK lediglich Arbeitsfehler im Rahmen des Masseverfahrens der Zollabfertigung ausgleichen solle. 

III.    Entscheidung des BFH

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat laut BFH einen Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 AO. Dieser entsteht, wenn durch eine  rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt wird. Dies gilt, entsprechend, wenn sich wie hier der Rechtsstreit durch   Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt hat (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO). Der Zweck des § 236 AO besteht darin, dem Gläubiger eines  Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren. 

Art. 241 ZK, der im Zeitpunkt der Entstehung der EUSt im vorliegenden Fall noch anwendbar war, steht dem Anspruch auf Prozesszinsen aus § 236 Abs. 2 Nr. 1 i. V .m. Abs. 1 AO nicht entgegen.;  Art. 241 Satz 2 zweiter Anstrich ZK lässt eine Zahlung von Zinsen sogar ausdrücklich zu. Art. 116 Abs. 6 UZK, nach dem im Falle der Erstattung von den betreffenden Zollbehörden grundsätzlich keine Zinsen zu zahlen sind, gilt erst ab dem 01.05.2016 (vgl. Art. 288 Abs. 2 UZK) und ist daher auf den Streitfall nicht anwendbar. 

Bei der Regelung in Art. 116 Abs. 6 UZK handelt es sich um eine materiell-rechtliche Vorschrift, die seit dem vollständigen Inkrafttreten des UZK anwendbar ist (Senatsurteil vom 22.10.2019 - VII R 38/18, Rz 22). Sie gilt gemäß Art. 288 Abs. 2 UZK erst ab dem 01.05.2016. Für Fälle, in denen die Zollschuld vor dem 01.05.2016 entstanden ist, gelten daher noch die materiell-rechtlichen Bestimmungen der Art. 235 bis 242 ZK (Senatsurteil vom 22.10.2019 - VII R 38/18). Eine Rückwirkung von Art. 116 Abs. 6 UZK ist nicht möglich. Vorliegend ist die EUSt noch unter Geltung des alten Zollkodex entstanden. Auf Grund dessen ist  Art. 241 ZK auf den Streitfall anwendbar, weshalb eine Verzinsung nach nationalen Vorschriften schon auf Grund des Wortlauts dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen ist. 

Weiter hat der BFH festgestellt, dass es für die Beurteilung, ob sich die Zulässigkeit der Verzinsung eines Erstattungsbetrags nach Art. 241 des Zollkodex (ZK) oder Art. 116 Abs. 6 des UZK richtet, auf den Zeitpunkt der Zollschuldentstehung ankommt. Soweit der VII. Senat zuvor in seinem Urteil vom 22.10.2019 - VII R 38/18, Rz 23 ausgeführt hat, dass für die Anwendbarkeit von ZK oder UZK auf die Rechtshängigkeit abgestellt werden muss, diese Formulierung dem entschiedenen Streitfall geschuldet ist. Da sowohl der Eintritt der Rechtshängigkeit und damit die Entstehung des Zinsanspruchs als auch die Entstehung der Zollschuld in diesem Fall in den Geltungszeitraum des ZK fielen, kam unter keinem Gesichtspunkt die Anwendung von Art. 116 Abs. 6 UZK in Betracht, weshalb der BFH keine genaueren Kriterien für die Abgrenzung zwischen ZK und UZK finden musste.

IV.    Empfehlungen für die Praxis

Das Urteil des BFH verdeutlicht, dass es in der Frage der Verzinsung bei Erstattungen von Zöllen und Einfuhrabgaben in Form von Prozesszinsen maßgeblich auf den Zeitpunkt der Entstehung der Zoll- oder Abgabenschuld ankommt und nicht auf die Frage wann eine Klage beim Gericht anhängig geworden ist. Soweit die Zollschuld noch bei Geltung des Art. 241 ZK entstanden ist, also noch vor dem Inkrafttreten des UZK, und speziell des Art. 116 Abs. 6 UZK, zum 01.05.2016, ist die Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 AO als einzelstaatliche Bestimmung möglich. Erst bei einer Zoll- und Abgabenschuldentstehung ab dem 01.05.2016 wäre Art. 116 Abs. 6 UZK als Ausschlusstatbestand zu prüfen gewesen.

Ob Art. 116 Abs. 6 UZK überhaupt gemäß § 21 Abs. 2 UStG als Entstehungsnorm für die EUSt unter Anknüpfung an das Zollrecht sinngemäß auf die  EUSt angewandt werden kann, hatte der BFH nicht zu entscheiden. Da es spätestens durch die sogenannte Eurogate-II und Fedex-Rechtsprechung des EuGHs aber zu einer zunehmenden rechtssystematischen Trennung von Zollrecht und EUSt kommt, wäre in den Fällen, in denen in Erstattungsfällen Art. 116 Abs. 6 UZK zur Anwendung käme, auch die Prüfung eines Einspruchs- und Klageverfahrens zu prüfen. 

Abschließend sei an dieser Stelle noch drauf hingewiesen, dass soweit eine Verzinsung von Erstattungsbeträgen nach § 236 AO als Prozesszinsen erfolgt, die Höhe der Erstattungszinsen weiter 0,5 Prozent pro Monat beträgt und nicht nur 0,15 Prozent wie etwa für eine Verzinsungen nach § 233a AO ab dem 01.01.2019.

Quelle 

Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. Oktober 2023, VII R 53/20

FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.09.2020 - 4 K 47/20

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