EuGH zu den Nachweispflichten der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 09.10.2014, C-492/13, Traum EOOD; innergemeinschaftliche Lieferungen, Transportdienstleistung, Nachweispflichten, Vorsteuerabzug, Steuerbefreiung

Praxisproblem

Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen stellt sich immer wieder die Frage, wie den Nachweispflichten der Steuerbefreiung Genüge getan werden kann. Zu Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung kann es insbesondere dann kommen, wenn sich nach der Lieferung herausstellt, dass die USt-IdNr. des Erwerbers im Zeitpunkt der Lieferung nicht (mehr) gültig war. Der EuGH war in dem bulgarischen Verfahren aufgefordert zu entscheiden, ob in solchen Fällen die Steuerbefreiung versagt werden kann.

Sachverhalt

Der Kläger war 2007 im Handelsregister beim Kreisgericht Varna und am 26.03.2008 im Register nach dem ZDDS (BG-MwStG) registriert worden und war im Zeitraum vom 01.09.2009 bis 31.10.2009 im Bereich allgemeiner Bauleistungen für Gebäude und bauliche Anlagen tätig. Der Kläger hatte den Vorsteuerabzug aus von einem bulgarischen Unternehmer N mit dem Geschäftsgegenstand Messerhalter und Rohlinge sowie einem bulgarischen Unternehmer O mit dem Geschäftsgegenstand Transportdienstleistung ausgestellten Rechnungen ausgeübt. Die Umsätze wurden als tatsächlich bewirkt angesehen und der Vorsteuerabzug anerkannt.

Der Kläger erklärte innergemeinschaftliche Lieferungen an die griechischen Erwerber E auf zwei Rechnungen und K auf einer Rechnung. Als verkaufte Gegenstände waren Messerhalter und Rohlinge angegeben.

Bei der im Rahmen einer Außenprüfung beim Kläger durchgeführten Kontrolle der Gültigkeit der angegebenen UStID-Nrn. der Erwerber auf der offiziellen Website der EU wurde festgestellt, dass E am 15.11.2005 nach dem ZDDS registriert wurde und seit 15.01.2006 abgemeldet war. E hatte keinen innergemeinschaftlichen Erwerb in Griechenland deklariert. Der Kläger legte Rechnungen und Schlussrechnungen, internationale Frachtbriefe zu jeder Rechnung, Verträge sowie eine in englischer und bulgarischer Sprache ausgestellte Bescheinigung über den Erwerb von Waren vor.

Die bulgarische Finanzbehörde ging davon aus, dass die Voraussetzung von Art. 7 Abs. 1 ZDDS, wonach für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung deren Erwerber eine nach dem ZDDS registrierte Person sein müsse, nicht erfüllt sei, so dass die Umsätze des Klägers in Bulgarien steuerpflichtig seien. Der Kläger legte daraufhin den früheren Bescheid der Finanzbehörde vor, wonach eine Überprüfung im VIES-System ergeben habe, dass der Erwerber E eine gültige USt-IDNr. mit dem Registrierungsdatum 15.11.2005 hatte.

Die bulgarische Finanzbehörde ging davon aus, dass die vom Kläger vorgelegten schriftlichen Bestätigungen des Erwerbers und die Annahme- und Übergabeprotokolle nicht glaubhaft seien, da sie keine Angaben über das genaue Objekt/die genaue Adresse, an dem/der die Ware angenommen worden sei, die Personen, die die Ware angenommen hätten, ihre Position und ihre Vertretungsmacht in der annehmenden Gesellschaft enthielten.

Der Kläger machte geltend, nach dem BG-Recht lägen alle erforderlichen Dokumente zum Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung – eines Verkaufs von aus Bulgarien beförderten Gegenständen an eine für die Zwecke des ZDDS in Griechenland registrierte Gesellschaft – vor. Es wurde außerdem Gutgläubigkeit geltend gemacht: Der Kläger habe sich bei einer von ihm durchgeführten Überprüfung im VIES-System vorher vergewissert, dass der Erwerber eine für Mehrwertsteuerzwecke in Griechenland registrierte Person sei, so dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt seien.

Die Vorlagefragen bezogen sich im Wesentlichen auf die Beweiswürdigung, die in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt. So wurde z.B. gefragt, ob die Grundsätze der Steuerneutralität, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes durch eine Verwaltungspraxis und eine Rechtsprechung verletzt werden, wonach es dem Verkäufer obliegt, die Echtheit der Unterschrift des Erwerbers festzustellen und die Frage zu klären, ob sie von einer den Erwerber vertretenden Person stammt. Außerdem fragte das Vorlagegericht nach der unmittelbaren Wirkung von Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass es unter Umständen wie denen im Ausgangsverfahren den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit widersprechen würde, die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung an den griechischen Erwerber E zu versagen. Der EuGH bezieht sich dabei im Wesentlichen auf seine mit Urteil vom 06.09.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona aufgestellten Grundsätze. Die bulgarische Finanzbehörde hatte der Steuerbefreiung zunächst zugestimmt und akzeptiert, dass der Erwerber, wie es Art. 7 Abs. 1 ZDDS zur Bedingung macht, in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Griechenland) mehrwertsteuerpflichtig war. Nach Feststellung, dass die USt-IdNr. von E rückwirkend nicht mehr gültig war, konnte die bulgarische Finanzbehörde von dem Kläger nicht nachträglich verlangen, mit anderen Mitteln die Erwerbereigenschaft von E nachzuweisen. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass eine solche Anforderung von den bulgarischen Regelungen auch nicht vorgesehen ist und darüber hinaus von der bulgarischen Steuerbehörde auch nicht vor dem Erlass des Verrechnungs- und Erstattungsbescheids, mit dem die Steuerbefreiung zunächst anerkannt worden war, geltend gemacht wurde. Dies muss jedoch das vorlegende Gericht noch prüfen.

Auch die rückwirkende Löschung der USt-IdNr. des Erwerbers E alleine führte im vorliegenden Fall nicht zur Versagung der Steuerbefreiung. Insoweit wiederholt der EuGH ebenfalls seine Rechtsprechung im Urteil vom 06.09.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona. Da die zuständige Behörde den Status eines Steuerpflichtigen zu prüfen hat, bevor sie ihm eine USt-IdNr. zuteilt, könnten eventuelle Unregelmäßigkeiten des Registers der Steuerpflichtigen nicht dazu führen, dem liefernden Unternehmer, der sich auf die Angaben in diesem Register gestützt hat, die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen.

Die Vorlagefrage, ob ein Unternehmer sich unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL berufen könne, hat der EuGH bejaht. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH könne sich der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen. Art. 131 MwStSystRL lässt nach dem vorliegenden Urteil den Mitgliedstaaten beim Erlass der in Art. 138 MwStSystRL vorgesehenen Bedingungen für die Steuerbefreiung zwar einen gewissen Gestaltungsspielraum, um eine korrekte und einfache Anwendung der Steuerbefreiung zu gewährleisten. Dies beeinträchtige aber nicht die Genauigkeit und Unbedingtheit der in Art. 138 MwStSystRL vorgesehenen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Steuerbefreiung.

Praxishinweis

Der EuGH hat sich zu den konkreten Fragen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung im vorliegenden Einzelfall nicht geäußert. Der EuGH ist im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV auch nicht befugt, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu überprüfen oder zu würdigen. Daher ist es Sache des Vorlagegerichts, alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen, um festzustellen, ob der Kläger in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihr vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass er sich aufgrund seiner innergemeinschaftlichen Lieferung nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat.

Der EuGH hatte bereits in seinem Urteil vom 06.09.2012 2012, C-273/11, Mecsek-Gabona festgestellt, dass mangels einer konkreten Bestimmung in der MwStSystRL zu den Anforderungen an den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, dies festzulegen. Dabei haben die Mitgliedstaaten jedoch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dies hat der EuGH im vorliegenden Fall wiederum angeführt.

Neu an der Entscheidung ist, dass der EuGH Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL für eine Vorschrift hält, auf die der Unternehmer sich unmittelbar berufen kann. Der EuGH hält die Regelung für inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, ungeachtet dessen, dass nach Art. 131 MwStSystRL den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zusteht, die Bedingungen der Steuerbefreiung (in erster Linie Regelungen zur Nachweisführung) festzulegen.

Beratungsbedarf besteht somit dann, wenn das Finanzamt die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung versagt hat, weil die USt-IdNr. des Erwerber gelöscht wurde. Hier ist entscheidend, ob im Zeitpunkt der Lieferung eine gültige USt-IdNr. vorgelegen hat. Hatte der liefernde Unternehmer im Übrigen keinen begründeten Anlass, an den Angaben des Erwerbers und seiner Unternehmereigenschaft bzw. dem Bezug der Ware für dessen Unternehmen zu zweifeln, ist ihm die Steuerbefreiung aus Gründen des Vertrauensschutzes zu gewähren(vgl. auch Abschn. 6a.7 Abs. 3 und 4 und Abschn. 6a.8 UStAE).