BFH zum energiesteuerrechtlichen Entlastungsanspruch für privilegierte Verwendung von Erdgas

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 20.09.2016, VII R 7/16

Praxisproblem

Der BFH bezieht mit seinem Urteil in der Rechtssache VII R 7/16 vom 20.09.2016 erneut Stellung zu den Voraussetzungen eines Entlastungsanspruchs für privilegierte Prozesse bei der Verwendung von Erdgas. Das Gericht führt insbesondere aus, dass ein solcher Anspruch in Folge von Verjährung bereits zu einem Zeitpunkt erlöschen kann, in dem die entlastungsfähige Steuer noch nicht einmal festgesetzt worden ist.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) begehrt vom Beklagten und Revisionskläger (HZA) eine Steuerentlastung für die privilegierte Verwendung von Erdgas nach § 51 Abs. 1 EnergieStG.

Streitgegenstand ist ein Entlastungsanspruch für von der Klägerin im Jahr 2011 bezogenes Erdgas. Der Versorger meldete die dafür zu entrichtende Energiesteuer im Jahr 2012 an. Im Januar 2013 stellte die Klägerin für die streitgegenständlichen Erdgasmengen entsprechende Entlastungsanträge, die vom HZA mit dem Hinweis auf die Festsetzungsverjährung abgelehnt worden sind.

In dem nach erfolglosem Einspruchsverfahren betriebenen Klageverfahren obsiegte die Klägerin. Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, dass das HZA die Festsetzungsverjährung zu Unrecht angenommen habe. Nach Auffassung des erkennenden Senats beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden sei. Die Vergütung nach § 51 Abs. 1 EnergieStG setze ein nachweislich versteuertes Energieerzeugnis voraus, sodass allein die Verwendung des Erzeugnisses nicht ausreiche, um eine maßgebliche Festsetzungsverjährung eintreten zu lassen. Das Tatbestandsmerkmal „Versteuerung“ setze voraus, dass die Steuer zumindest festgesetzt, wenn nicht sogar entrichtet worden sei. Im Streitfall habe der Versorger die Steuer erst im Jahr 2012 angemeldet und somit festgesetzt. Daher habe sich die von der Klägerin zu beachtende Antragsfrist nach § 95 Abs. 1 Satz 4 EnergieStV bis zum 31.12.2013 verlängert und ihr stehe der begehrte Entlastungsbetrag zu.

Mit dem Rechtsmittel der Revision begehrte das HZA die Aufhebung der Entscheidung des Finanzgerichts und die Klageabweisung. Zur Begründung führte das HZA an, dass der Begriff „Versteuerung“ i.S.d. Energiesteuerrechts auszulegen sei. In der Praxis gäben die Versorger ihre Energiesteueranmeldungen in zulässiger Weise regelmäßig erst im Folgejahr nach der Lieferung ab. Um unterschiedliche Entstehungszeitpunkte für Entlastungsansprüche zu vermeiden, müsse ein Energieerzeugnis bereits dann als versteuert gelten, sobald der Versorger das Erzeugnis unter Berechnung der Steuer geliefert habe und dies aus seinen steuerlichen Aufzeichnungen hervorgehe. Die Regelung des § 95 Abs. 1 Satz 4 EnergieStV fände hingegen im vorliegenden Fall keine Anwendung.

Entscheidung

Die zulässige Revision hatte Erfolg und führte unter Abweisung der Klage zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Entscheidung.

Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass es für die Entstehung des Entlastungsanspruchs nach § 51 Abs. 1 EnergieStG unerheblich sei, ob die Steuer für die gelieferten Erzeugnisse bereits festgesetzt oder sogar entrichtet worden ist.

Da die Verwendung des von der Klägerin bezogenen Erdgases im vorliegenden Fall unstreitig war, musste der Senat lediglich über die Frage entscheiden, ob zum Zeitpunkt der Stellung des Entlastungsantrags durch die Klägerin die einjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bereits abgelaufen war und der Anspruch folgerichtig mit Ablauf des Kalenderjahres 2012 nach § 47 AO erloschen ist.

Da BFH bejahte diese Frage und führte zur Begründung aus, dass es entgegen der Auffassung des Finanzgerichts gerade nicht darauf ankomme, dass für die verwendeten Erzeugnisse eine Steueranmeldung abgegeben worden ist. Vielmehr beginne die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO schon mit Ablauf des Jahres, in denen die Erzeugnisse steuerbegünstigt verwendet worden seien. Dabei könne von einer steuerbegünstigten Verwendung beim Bezieher schon dann ausgegangen werden, wenn die beim Lieferer zu führenden Aufzeichnungen Aufschluss über die Belieferung der Erzeugnisse geben.

Nach Auffassung des erkennenden Senats sei der Begriff der Versteuerung daher unter Berücksichtigung der Ziele des Gesetzgebers und der Interessen der Wirtschaftsbeteiligten dahingehend auszulegen, dass eine Versteuerung i.S.d. § 51 Abs. 1 EnergieStG bereits dann gegeben sei, wenn die Energieerzeugnisse beim Verwender einer Verwendung zugeführt worden sind, wobei unterstellt werden kann, dass in diesem Zeitpunkt die vom Lieferer nach § 79 Abs. 2 EnergieStV zu führenden Aufzeichnungen ausreichende Gewähr für die Durchsetzung des Steueranspruchs bieten. Einer darüber hinaus gehenden Steuerfestsetzung bedürfe es hingegen nicht, um die Verjährungsfrist beginnen zu lassen.

Da der Entlastungsanspruch schon nach dem (eindeutigen) Gesetzeswortlaut erloschen sei, müsse der Senat sich nicht mit der Anwendung von § 95 Abs. 1 Satz 4 EnergieStV befassen. Insbesondere könne der Verordnungsgeber nach Auffassung des Senats keine anspruchserhaltende Norm auf dem Verordnungswege schaffen, wenn sie dem Gesetzeswortlaut widerspricht.

Für den Streitfall hat diese Auslegung zur Folge, dass der geltend gemachte Anspruch der Klägerin durch Eintritt der Festsetzungsverjährung seit Januar 2013 erloschen ist.

Praxishinweis

Im Rahmen der oben zitierten Entscheidung bestätigt der BFH erneut seine Auslegung des Verbrauchsteuerrechts. Eine neue Qualität erlangt die hier bewertete Entscheidung jedoch dadurch, dass der BFH den Gesetzeswortlaut des Tatbestandsmerkmals „Versteuerung“ nunmehr mit Hilfe des Begriffs der „Verwendung“ auslegt. Da das Tatbestandsmerkmal der „Verwendung“ gleichzeitig Voraussetzung für einen Entlastungsanspruch nach § 51 Abs. 1 EnergieStG ist, kann geschlussfolgert werden, dass das Tatbestandsmerkmal der „Versteuerung“ im Sinne der Anspruchsnorm somit gegenstandslos geworden ist.

Auch die Frage nach dem Anwendungsspielraum § 95 Abs. 1 Satz 4 EnergieStV könnte zukünftig gestellt werden, da der BFH in dem vorliegenden Fall dieser Norm quasi keine Bedeutung hat zukommen lassen.

Hinzu kommt, dass einige Finanzgerichte Entlastungsanträgen in ähnlich gelagerten Fällen stattgegeben haben (vgl. FG Hamburg, Urt. v. 02.03.2011, 4 K 181/10, FG München, Urt. v. 04.02.2016, 14 K 23/14, a.A. FG Düsseldorf, Urt. v. 27.05.2015, 4 K 1961/14 VSt), was dafür spricht, dass die Entscheidung des BFH zu einer Umkehr in der Rechtsprechung führen wird.

Entlastungsberechtigte Unternehmen sollten vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung die internen Prozesse dahingehend überprüfen, ob die intern überwachten Verjährungsfristen an die Lieferung des bezogenen Erzeugnisses anknüpfen oder von einer Steueranmeldung des Versorgers abhängig gemacht werden. Nur wenn zukünftig berücksichtigt wird, dass die Laufzeit für die Festsetzungsfrist bereits mit der Lieferung/Verwendung beginnt, kann sichergestellt werden, dass Entlastungsansprüche rechtzeitig geltend gemacht werden.

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