BMF zur Option im Kaufvertrag bei angenommener Geschäftsveräußerung im Ganzen

Anmerkung zu BMF-Schreiben v. 23.10.2013 zur Ausübung einer Option (§ 9 Abs. 1 UStG)

bei angenommener Geschäftsveräußerung im Ganzen 

Praxisproblem

Bisher war fraglich, wann eine „vorsorglich“ ausgeübte Option zur Umsatzsteuerpflicht nach § 9 Absatz 1 UStG bei einer bei einem Immobilienumsatz oder bei Unternehmensverkäufen bzw. Verkäufen  von gesellschaftsrechtlichen Anteilen von den Vertragsparteien angenommenen Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG als ausgeübt gilt.

Hintergrund der in der Praxis durchaus schwierigen und mit Rechtsunsicherheiten behafteten Abgrenzungsfrage war die auf Grund des BFH-Urteils v. 10.12.2008 (XI R 1/08, BStBl II 2009 S. 1026) mit BMF-Schreiben vom 1.10.2010, BStBl I S. 768, ausgelöste Regelung in Abschnitt 9.1 Abs. 3 Satz 1 UStAE, wonach eine Option zur Steuerpflicht nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der entsprechenden Steuerfestsetzung ausgeübt werden kann. Im Falle einer irrtümlich angenommenen Geschäftsveräußerung im Ganzen war eine „hilfsweise“ oder „bedingt“ erklärte Option, die erst nach dem Eintritt der formellen Bestandskraft wirksam wird, nicht geeignet, ein Vorsteuerrisiko des Grundstücksveräußerers zu verhindern, weil sie i.d.R. als nicht rechtzeitig ausgeübt galt. In Zeiten vor Anwendung von Abschnitt 9.1 Abs. 3 UStAE war eine Option solange möglich, wie die Steuerfestsetzung für die zugrunde liegende Leistung noch vorgenommen oder geändert werden konnte (vgl. Abschnitt 148 Abs. 3 Satz 4 UStR 2008). Nach alter Regelung konnte der Unternehmer somit auch nachträglich optieren bzw. eine Option widerrufen, also im Einspruchsverfahren gegen den USt-Bescheid, im Rahmen einer Änderung der USt-Festsetzung nach § 164 Abs. 2 AO oder durch Einspruch gegen einen USt-Bescheid, der einen bestandskräftigen Bescheid änderte (die Anfechtung war hier allerdings nur soweit zulässig, wie die Änderung reichte).

Erst der Eintritt der materiellen Bestandskraft (d.h. nach § 164 Abs. 1, § 168 AO regelmäßig mit Ablauf der mindestens 4-jährigen Festsetzungsfrist, § 169 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) hinderte die Ausübung der Option. Nach der Regelung des BMF-Schreibens vom 1.10.2010, BStBl I S. 768, endete die Möglichkeit der Option/ihres Widerrufs mit Eintritt der formellen Bestandskraft der Jahressteuerfestsetzung (nicht der Umsatzsteuer-Voranmeldung). Formelle Bestandskraft bedeutet, die Steuerfestsetzung kann nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen oder geändert werden. Ein USt-Bescheid ist zwar grundsätzlich noch aufgrund von Korrekturvorschriften der AO änderbar, aber aufgrund Ablaufs der Rechtsbehelfsfrist oder aufgrund eines Rechtsbehelfsverzichts durch den Steuerpflichtigen nicht mehr anfechtbar.

Auslöser der geänderten Verwaltungsauffassung war das BFH-Urteil vom 10.12.2008, XI R 1/08, BStBl II 2009 S. 1026, wonach „ein rückwirkender Wechsel von der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (§ 16 UStG) bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig“ ist. Der BFH nahm in seinem Urteil auch zur Anwendbarkeit des § 9 UStG Stellung. Danach (so das BMF-Schreiben vom 1.10.2010, BStBl I S. 768) ermöglicht § 9 Abs. 1 UStG eine Option zur Steuerpflicht, regelt aber - im Unterschied zu §§ 19, 23 UStG (hier: bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung) - nicht, bis zu welchem Zeitpunkt diese zu erklären ist und bis zu welchem Zeitpunkt eine erklärte Option noch rückgängig gemacht werden kann. Unter Hinweis auf die rechtssystematisch vergleichbare Situation beim Widerruf eines Verzichts auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG habe der BFH eine Bindungswirkung an die Option zur Steuerpflicht ab dem Eintritt der formellen Bestandskraft der jeweiligen Steuerfestsetzung bejaht. Dies wird in der Literatur äußerst kritisch betrachtet.

Folge der Einschränkung der Optionsfrist war, dass eine zügige und definitive Optionsentscheidung erforderlich wurde, da die formelle Bestandskraft eines USt-Bescheids früher eintritt als die materielle Bestandskraft.

 

Beispiel:

Unternehmer U gibt die USt-Jahreserklärung 2012 am 6.12.2013 ab. Das Ende der Einspruchsfrist ist am 6.1.2014. Die materielle Bestandskraft tritt am 31.12.2017 ein. U hat damit rund 4 Jahre weniger Zeit, über eine Option zu entscheiden.

Die Folgen einer fehlenden Optionsentscheidung konnten bisher insbesondere bei einer rechtsirrtümlich unterstellten Geschäftsveräußerung im Ganzen erheblich sein.

 

Beispiel:

Unternehmer U veräußert zum 31.12.2012 eine umsatzsteuerpflichtig vermietete Gewerbeimmobilie an den bisherigen Mieter M, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. U hatte das Gebäude 2008 zu Herstellungskosten von 2 Mio plus 380 T € USt errichtet und ab 1.1.2009 an M vermietet. U und M sind bei der Veräußerung von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ausgegangen. Die Voraussetzungen dafür liegen jedoch nicht vor, weil M nicht das Vermietungsunternehmen von U fortführt.

 

Lösung:

Da die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht vorliegen, ist die Veräußerung des Grundstücks steuerbar und (mangels vorliegender Option nach § 9 UStG) steuerfrei nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG. Als Folge ergibt sich eine Vorsteuerberichtigung auf die Herstellungskosten K bei U zum 31.12.2012 (1/10 von 380 T€ mal 6 Jahre (2013 bis 2018) = 228 T€ und je nach Zeitpunkt der Aufdeckung der unzutreffenden Geschäftsveräußerung im Ganzen ab 1.4.2014 monatliche Nachzahlungszinsen von 1.140 € (0,5 % nach §§ 233a, 238 AO).

Nach alter Regelung hätten U und M sich einvernehmlich auf eine nachträgliche Option einigen können. Damit hätte sich bei U kein Vorsteuerkorrekturbedarf ergeben und es wären für M grundsätzlich auch keine Nachteile entstanden, außer dass er bei steuerpflichtiger Veräußerung des Grundstücks zwar Steuerschuldner nach § 13b UStG wird, aber gleichzeitig die geschuldete USt als Vorsteuer geltend machen kann. Bei M beginnt allerdings (wenn keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt) der Vorsteuerberichtigungszeitraum neu mit entsprechenden Folgen beim Übergang zu einer vorsteuerschädlichen Nutzung des Grundstücks.

Aufgrund der Neuregelung durch das BMF-Schreiben 1.10.2010, BStBl I S. 768 konnte U im Beispielsfall nicht mehr nachträglich optieren und blieb mit der Vorsteuerberichtigung belastet. Eine etwaige separate Veräußerung von Betriebsvorrichtungen fällt nicht unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 UStG und nicht unter das Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG. In diesem Fall würde U nachträglich Umsatzsteuer schulden und wäre ggf. mit der Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO belastet.

Vergleichbares gilt bei Unternehmensverkäufen oder den Verkäufen von gesellschaftsrechtlichen Anteilen. Auch in diesen Fällen ist im Kaufvertrag die regelmäßig schwierige Frage nach dem Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen oder einer Option zur Steuerpflicht zu treffen.

 

Bisherige Abwicklung in der Praxis

Früher wurde zur Risikoabwehr bei einer bei Immobilienumsätzen, Unternehmensverkäufen oder Anteilsverkäufen angenommenen Geschäftsveräußerung im Ganzen regelmäßig eine „hilfsweise Option“ empfohlen („...die Parteien gehen davon aus, dass es sich um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG handelt. Für den Fall dass das Finanzamt endgültig feststellt, dass die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, optiert der Veräußerer bereits jetzt nach § 9 Abs. 1 und 3 UStG zur Steuerpflicht …“). Fraglich war, ob dies eine wirksame (fristgerechte) Option sein konnte. Die aufschiebende Bedingung der im Kaufvertrag formulierten (bedingten) Option hätte ggf. keine wirksame Erklärung darstellen können. Nachfolgend wurde in der Literatur vertreten, dass eine Option (ohne jegliche Einschränkung) auch neben der durchgeführten Beurteilung als Geschäftsveräußerung im Ganzen zielführender sei.  

Neuregelung der Verwaltungsauffassung

Mit dem BMF-Schreiben vom 23.10.2013, IV D 3 - S 7198/12/10002 (2013/0954206) ist Abschnitt 9.1 Abs. 3 UStAE geändert worden. Zwar ist es bei der bisherigen Regelung geblieben, dass die Erklärung bzw. der Widerruf einer Option nur bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuererklärung möglich ist.

Das BMF-Schreiben regelt aber ergänzend Folgendes: im Rahmen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen kommt eine Option grundsätzlich nicht in Betracht. Gehen die Parteien jedoch im Rahmen des notariellen Kaufvertrags übereinstimmend von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen aus und beabsichtigen sie lediglich für den Fall, dass sich ihre rechtliche Beurteilung später als unzutreffend herausstellt, eine Option zur Steuerpflicht, gilt diese vorsorglich und im Übrigen unbedingt im notariellen Kaufvertrag erklärte Option als mit Vertragsschluss wirksam.

Praxishinweis

Mit dieser Regelung können die oben beschriebenen negativen Folgen der verkürzten Frist der Option bzw. des Widerrufs einer Option vermieden werden. Von den Vertragsparteien wird lediglich eine Erklärung über die eigene Rechtsauffassung über die Geschäftsveräußerung im Ganzen gefordert. Daneben muss ggf. eine unbedingte Optionserklärung erfolgen, die im Wege der Fiktion als von Anfang an wirksam betrachtet wird. Von erheblicher Bedeutung ist, dass die Formulierung zutreffend erfolgt. Daher sollten alte Formularhandbücher vermieden und rechtzeitig aktuelle Beratung einbezogen werden.

Im Zeitpunkt des Veräußerungsgeschäfts stehen die für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen maßgeblichen Merkmale in tatsächlicher Hinsicht fest. Eine Änderung dieser Voraussetzungen ist im Nachhinein weder möglich, noch kann sie von den Parteien angestrebt werden. Die Abweichung hinsichtlich einer zum Veräußerungszeitpunkt angenommenen rechtlichen Einordung zugunsten einer Geschäftsveräußerung im Ganzen geht auf eine - zum damaligen Zeitpunkt fehlgegangene - rechtliche Schlussfolgerung zurück, die auf einem Rechtsirrtum der Parteien beruht, es läge eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vor, jedoch nicht auf eine Änderung der tatsächlichen Bedingungen. Folgerichtig können die Vertragsparteien unter diesem Blickwinkel nur eine Erklärung über die eigene Rechtsauffassung hinsichtlich des Vorliegens einer Geschäftsveräußerung im Ganzen zum Zeitpunkt des Veräußerungsgeschäfts abgeben und diese mit einer unbedingten Option, die ggf. schon als von Anfang an wirksam gilt, verknüpfen. Der Vorteil dieser Lösung ist eine Rechtsfolge, die bereits im Zeitpunkt des Veräußerungsgeschäfts klar definiert ist und Diskussionen mit der Finanzverwaltung über einen rückwirkenden Bedingungseintritt entbehrlich macht.

Das BMF-Schreiben vom 23.10.2013 enthält keine ausdrückliche Anwendungsregelung. Da das Schreiben zur Änderung des UStAE ergangen ist, sollten die neuen Grundsätze auf Umsätze anzuwenden sein, die nach dem 31.10.2010 (Inkrafttreten des UStAE) ausgeführt werden.