EuGH zu Steuerbefreiung auf eng mit Unterrichtsleistungen verbundene Leistungen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 04.05.2017, C-699/15, Brockenhurst College

Praxisproblem

Bei dem britischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Streitig war die Anwendung der Steuerbefreiung auf bestimmte eng mit Unterrichtsleistungen verbundene Leistungen.

Sachverhalt

Die klagende Bildungseinrichtung erbringt gewerbsmäßig Unterrichtungsdienstleistungen an Studenten und bietet Lehrgänge über Gastronomie und Gastgewerbe sowie über darstellende Künste an. Damit die Studenten des Lehrgangs über Gastronomie und Gastgewerbe Kenntnisse unter praxisnahen Bedingungen erwerben können, betreibt die Einrichtung ein Restaurant. Alle Bewirtungsaufgaben des Restaurants werden von Studenten des College unter der Aufsicht ihrer Tutoren ausgeübt. Das Restaurant wird auch von Personen der Öffentlichkeit besucht, die für ihre Mahlzeit ein Entgelt von ungefähr 80 % der Mahlzeitkosten bezahlen. In entsprechender Weise veranstaltet die Bildungseinrichtung im Rahmen des Lehrgangs über darstellende Künste – wiederum durch die betreffenden Studenten – Konzert- und Theateraufführungen gegen Eintrittsgeld, um den Studenten, die diesen Lehrgang belegt haben, praktische Erfahrungen zu vermitteln.

Das Lehrrestaurant ist an den Ausbildungserfordernissen der Studenten des Gastronomie- und Gastgewerbelehrgangs ausgerichtet. Es dient zugleich als Unterrichtsraum für diese Studenten. Die allgemeine Öffentlichkeit hat keinen Zugang zu diesem Restaurant. Die Bildungseinrichtung unterhält eine Datenbank, in die lokale Gruppen und Einzelpersonen aufgenommen sind, die das Restaurant u.U. besuchen möchten.

Unstreitig war, dass die Restaurant- und die Unterhaltungsdienstleistungen nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sind, durch Umsätze im unmittelbaren Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen zusätzliche Einnahmen für die Bildungseinrichtung zu erzielen. Das Verfahren betraf die Frage, ob die von der Einrichtung erbrachten Gastronomie- und Unterhaltungsdienstleistungen (d.h. die Dienstleistungen, die vom College an die Mitglieder der Öffentlichkeit erbracht werden, die in dem Restaurant eine Mahlzeit einnehmen oder eine Aufführung besuchen) von der Mehrwertsteuer befreit sind, wie es von der Bildungseinrichtung geltend gemacht wurde, oder ob sie, wie die britische Finanzbehörde meinte, dem Normalsteuersatz unterliegen. Streitig war zwischen den Parteien insbesondere, ob diese Dienstleistungen im Sinne der Befreiung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL als Dienstleistungen anzusehen sind, die mit der Unterrichtsleistung, die die Bildungseinrichtung an ihre Studenten erbringt, „eng verbunden“ sind.

Entscheidung

Der EuGH hat zu den streitigen Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen entschieden, dass diese als mit der Unterrichtsleistung der Bildungseinrichtung „eng verbunden“ angesehen werden können und folglich steuerfrei sind, wenn diese Dienstleistungen für die Ausbildung der Studenten unerlässlich und nicht dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen bewirkt werden, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

Praxishinweis

Das Urteil stellt eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung dar. Mit Urteil v. 14.06.2007, C-434/05, Stichting Regionaal Opleidingen Centrum Noord-Kennemerland/West-Friesland (Horizon College auf das sich der EuGH im vorliegenden Fall maßgeblich bezieht, hatte das Gericht entschieden, dass eine Verbindung zu einer Hauptleistung bestehen muss, neben der in den Steuerbefreiungen nach Art. 132 MwStSystRL auch „eng verbundene“ Umsätze begünstigt sind (vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.01.2001, C-76/99, Kommission/Frankreich). Eine Leistung kann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung angesehen werden, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten (vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.1998, C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin. Diese Rechtsprechung des EuGH zu Haupt- und Nebenleistungen in dem hier streitigen Kontext, ob ein eng verbundener Umsatz vorliegt, kann aber nicht in dem Sinne verstanden werden, dass eine Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt. Denn wenn „eng verbundene Umsätze“ Nebenleistungen in diesem Sinne wären, wäre ihre besondere Erwähnung in Art. 132 MwStSystRL nicht erforderlich gewesen. Das Abstellen des EuGH auf Haupt- und Nebenleistungen für Zwecke der Auslegung des Begriffs der „eng verbundenen Umsätze“ ist vielmehr so zu verstehen, dass ein eng verbundener Umsatz (als Hauptleistung) die Zwecke für die originär in Art. 132 MwStSystRL begünstigten Umsätze erfüllen muss, die eine Nebenleistung (als Nebenleistung) allgemein für eine Hauptleistung erfüllt, um das Schicksal dieser Hauptleistung teilen zu können.

Die in dem Verfahren zu dem EuGH-Urteil v. 14.06.2007, C-434/05 streitige vorübergehende Überlassung einer Lehrkraft an eine andere Lehreinrichtung kann für den EuGH unter diesen Kriterien von Haupt- und Nebenleistung grundsätzlich ein eng mit dem Unterricht verbundener Umsatz sein. Dies scheint für den EuGH jedenfalls dann der Fall zu sein, wenn in bestimmten Lehreinrichtungen zeitweilig ein Mangel an Lehrpersonal herrscht. Dann könne die Gestellung qualifizierter Lehrkräfte anderer Lehreinrichtungen es ermöglichen, dass die Studierenden unter den bestmöglichen Bedingungen in den Genuss des von den Zieleinrichtungen erteilten Unterrichts kommen. Dafür ist es allerdings nicht erforderlich, dass die eng mit dem Unterricht verbundenen Dienstleistungen unmittelbar gegenüber den Studierenden erbracht werden. Auch (so der EuGH) ist es grundsätzlich unerheblich, dass eventuell zwischen der Haupttätigkeit der Einrichtung, die die Lehrkräfte zur Verfügung stellt, und deren zweitrangiger Tätigkeit, eng mit dem Unterricht verbundene Dienstleistungen zu erbringen, keine unmittelbare Verbindung besteht.

Gemessen an dieser Rechtsprechung hat der EuGH im Ausgangsverfahren die streitigen Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen ebenfalls als steuerfrei beurteilt. Mitentscheidend hierfür war, dass der EuGH die streitigen Dienstleistungen deshalb als für die steuerfreien Bildungsleistungen unerlässlich hält, weil sie von solcher Art oder Qualität sind, dass ohne Rückgriff auf diese Dienstleistungen keine Gleichwertigkeit des Unterrichts der unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL fallenden Einrichtung und damit des ihren Studierenden erteilten Unterrichts gewährleistet wäre. Auch stellt der EuGH fest, dass die Anzahl der potentiellen Kunden der Dienstleistungen und das nicht preisdeckende Entgelt es nicht ersichtlich werden lassen, dass die Einrichtung sich durch die Dienstleistungen zusätzliche Einnahmen verschaffen will und sich somit im Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmern befinden würde.

Das Urteil ist für das deutsche Umsatzsteuerrecht von einiger Bedeutung, als die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht vollständig in das deutsche Recht umgesetzt ist. So dienen z.B. nach Abschn. 4.21.4 Abs. 2 und 3 UStAE die Lieferungen von Lehr- und Lernmaterial nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck. Sie sind nur insoweit steuerfrei, als es sich um Nebenleistungen handelt. Eine Nebenleistung liegt in diesen Fällen vor, wenn das den Lehrgangsteilnehmern überlassene Lehr- und Lernmaterial inhaltlich den Unterricht ergänzt, zum Einsatz im Unterricht bestimmt ist, von der Schule oder der Bildungseinrichtung oder dem Lehrer für diese Zwecke selbst entworfen worden ist und bei Dritten nicht bezogen werden kann. Leistungen, die sich auf die Unterbringung und Verpflegung von Schülern beziehen, dienen dem Schul- und Bildungszweck im Regelfall nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar.

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