EuGH zur Befreiung von Dienstleistungen, die selbstständige Zusammenschlüsse von Personen an ihre Mitglieder erbringen, von der Mehrwertsteuer

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 04.05.2017, C-274/15, Kommission/Luxemburg

Praxisproblem

Bei der Klage der EU-Kommission gegen Luxemburg ging es um die Steuerbefreiung für Leistungen selbstständiger Zusammenschlüsse von Personen gegenüber ihren Mitgliedern. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer „Dienstleistungen, die selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt“. Die Kommission monierte die luxemburgische Umsetzung dieser Richtlinienvorschrift unter drei Gesichtspunkten.

Sachverhalt

Die EU-Kommission verklagte Luxemburg, weil dort das Mehrwertsteuersystem für selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, wie in Art. 44 Abs. 1 Buchst. y des L-MwStG, den Art. 1 bis 4 der Großherzoglichen Verordnung vom 21.01.2004 über die Mehrwertsteuerbefreiung für Dienstleistungen, die von selbstständigen Zusammenschlüssen von Personen gegenüber ihren Mitgliedern erbracht werden, dem Verwaltungsrundschreiben Nr. 707 vom 29.01.2004 betreffend Art. 1 bis 4 der Großherzoglichen Verordnung, und dem Schreiben vom 18.12.2008 der im Comité d’Observation des Marchés (Cobma [Ausschuss für Marktbeobachtung]) tätigen Arbeitsgruppe in Abstimmung mit der Administration de l’Enregistrement et des Domaines [Steuerverwaltung] definiert, insbesondere gegen Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 132 Abs. 1 Buchst. f, Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 168 Buchst. a, Art. 178 Buchst. a sowie Art. 14 Abs. 2 Buchst. c und Art. 28 MwStSystRL, verstoßen habe.

Die in Luxemburg geltende Regelung beschränkte die Mehrwertsteuerbefreiung nach Ansicht der Kommission nicht allein auf die Dienstleistungen, die der selbstständige Zusammenschluss von Personen erbringt und die unmittelbar für die von seinen Mitgliedern durchgeführten Tätigkeiten, die nicht der Mehrwertsteuer unterliegen oder von ihr befreit sind, erforderlich sind.

Darüber hinaus war die Kommission der Ansicht, dass nach luxemburgischen Recht die Mitglieder eines selbstständigen Zusammenschlusses von Personen, die teilweise steuerpflichtige Tätigkeiten bewirken, die Mehrwertsteuer als Vorsteuer abziehen könnten, die dem selbstständigen Zusammenschluss von Personen für Eingangsumsätze von Dritten in Rechnung gestellt wird, während gem. Art. 168 MwStSystRL das Recht auf Vorsteuerabzug nur dem Unternehmer zustehe, der die Eingangsumsätze für unmittelbare Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwende.

Schließlich trug die Kommission vor, dass Art. 14 Abs. 2 Buchst. c und Art. 28 MwStSystRL dem luxemburgischen Recht entgegenstünden, soweit dieses vorsehe, dass in dem Fall, dass ein Mitglied eines selbstständigen Zusammenschlusses von Personen von Dritten Leistungen in seinem Namen, aber für Rechnung des Zusammenschlusses erhalte, das Geschäft, das darin bestehe, dass dieses Mitglied dem Zusammenschluss die so übernommenen Ausgaben zuweise, vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer ausgeschlossen sei.

Entscheidung

Der EuGH hat der Klage der Kommission im Wesentlichen stattgegeben. Dies betrifft insbesondere

 

  • die Voraussetzung, dass die Dienstleistungen des Zusammenschlusses für unmittelbare Zwecke der Ausübung von Tätigkeiten der Mitglieder erbracht werden müssen, die steuerfrei sind oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind,
  • die Unternehmer-Eigenschaft des Personenzusammenschlusses (insoweit vertritt der EuGH eine andere Sichtweise als der Generalanwalt Wathelet in der Klage Kommission/Deutschland, C-616/15, Rn. 78),
  • das Vorsteuerabzugsrecht des Personenzusammenschlusses und seiner Mitglieder sowie die Steuerbarkeit von Kommissionsgeschäften zwischen dem Personenzusammenschluss und seinen Mitgliedern.

Nach dem EuGH-Urteil können wegen des eindeutigen Wortlauts der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nur die Dienstleistungen eines Zusammenschlusses für unmittelbare Zwecke der Ausübung steuerbefreiter Tätigkeiten seiner Mitglieder von der Mehrwertsteuer befreit sein. Mit der Regelung, dass die Dienstleistungen eines Zusammenschlusses an seine Mitglieder von der Mehrwertsteuer befreit sind, wenn der Anteil der steuerpflichtigen Tätigkeiten der Mitglieder 30 % (oder sogar 45 %) ihres Jahresumsatzes nicht übersteigt, hat Luxemburg daher die MwStSystRL fehlerhaft umgesetzt.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass der Personenzusammenschluss ein selbstständiger Unternehmer ist, der Dienstleistungen selbstständig an seine Mitglieder erbringt, die von ihm verschieden sind. Angesichts der Selbstständigkeit des Zusammenschlusses gegenüber seinen Mitgliedern gegenüber können diese (anders, als es das luxemburgische Recht vorsieht) keinen Vorsteuerabzug aus den von dem Personenzusammenschluss für Zwecke seiner Ausgangsumsätze bezogenen Umsätzen geltend machen. Folglich hat Luxemburg auch in diesem Punkt die MwStSystRL nicht richtig umgesetzt.

Schließlich hat der EuGH noch entschieden, dass wegen der Selbstständigkeit des Zusammenschlusses gegenüber seinen Mitgliedern jeder Umsatz zwischen dem Zusammenschluss und einem seiner Mitglieder als Umsatz zwischen zwei Steuerpflichtigen zu betrachten ist und somit in den Anwendungsbereich der MwStSystRL fällt. Demnach hat Luxemburg auch insoweit die MwStSystRL fehlerhaft umgesetzt, indem es geregelt hatte, dass Umsätze, die ein Mitglied im eigenen Namen aber für Rechnung des Zusammenschlusses tätigt, nicht steuerbar sind.

Praxishinweis

Deutschland macht von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nur mit der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. d UStG im Bereich der Heilbehandlungsleistungen Gebrauch. Ein Vorsteuerabzugsrecht besteht bei derartigen Ausgangsumsätzen nicht. Die Steuerbefreiung nach nationalem Recht ist auf Personenzusammenschlüsse beschränkt, deren Mitglieder Ärzte oder Angehörige arztähnlicher Berufe sowie Krankenhäuser oder krankenhausähnliche Einrichtungen sind. Je nach Ausgang des (wegen dieser eingeschränkten Umsetzung) von der EU-Kommission angestrengten Klageverfahrens C-616/15 und des sich daraus ggf. ergebenden Handlungsbedarfs wird das vorliegende Urteil jedoch zu beachten sein.

Es mag erstaunlich sein, dass die EU-Kommission eine jahrelange Regelung Luxemburgs, die in drei Punkten eklatant gegen geltendes Unionsrecht verstieß, erst so spät durch den EuGH überprüfen ließ.

Zugleich wird aber die zukünftige Entwicklung nach diesem Urteil auch in Deutschland spannend bleiben, da es bekanntlich bereits einen Vorstoß in Richtung einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG – Entwurf für Zusammenschlüsse im Finanzdienstleistungs- und Bankensektor gab.

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