EuGH zur Steuerbefreiung für Vorumsätze in der Seeschifffahrt

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 04.05.2017, C-33/16, A Oy

Praxisproblem

Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 1 UStG ist nach Abschn. 8.1 Abs. 1 UStAE bisher davon abhängig, dass die Umsätze unmittelbar an Betreiber eines Seeschiffes oder an die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger bewirkt werden. Die Steuerbefreiung kann sich nicht auf Umsätze auf den vorhergehenden Stufen erstrecken. Bei dem finnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Steuerbefreiung für Vorumsätze in der Seeschifffahrt. Streitig war die Regelung in Art. 148 MwStSystRL, auf der § 4 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 UStG beruht. Die konkrete Frage, die sich in dem Verfahren stellte, war die Behandlung (Steuerbefreiung/Steuerpflicht) von Dienstleistungen für den unmittelbaren Bedarf von Seeschiffen und ihrer Ladung nach Art. 148 Buchst. d MwStSystRL. Das vorlegende Gericht wollte im Wesentlichen wissen, ob Beladen und Entladen eines Schiffes Dienstleistungen im Sinne dieser Vorschrift sind, und ob die Befreiung nur für Dienstleistungen auf der letzten Handelsstufe, die unmittelbar an den Betreiber eines Seeschiffes erbracht werden, gilt.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Gesellschaft im Eigentum einer Gesellschaft B, die ihren Betrieb in zwei Häfen ausübt. Sie erbringt sowohl im Hafen als auch im Landterminal individuelle und kundenorientierte Gesamtdienstleistungen an Befrachter, Ablader und Reedereien. Die Dienstleistungen umfassen Stauer- und Terminaldienstleistungen, Lagerdienstleistungen, Schiffsagentur, Speditionsdienstleistungen u.a. Sie erhält auch von anderen als der Gesellschaft B Aufträge, etwa von einer Spedition, die für den gesamten Transport der Ware an den Kunden verantwortlich ist, oder von dem Verfügungsberechtigten der Ware. In dem dem Verfahren zugrunde liegenden Antrag an den zentralen finnischen Steuerausschuss auf Erlass eines Vorbescheids ging es um Kunden, die eine Betriebsstätte oder ihren Sitz in Finnland haben. Zu den Dienstleistungen der Klägerin zählen u.a. der Transport und das Verladen der Ware vom Kai auf das Schiff und vom Schiff auf den Kai. Sie bietet Verladedienstleistungen je nach Auftrag sowohl als Teil der Transportdienstleistung als auch als gesonderte Dienstleistung an. Die Dienstleistungen werden an den Befrachter oder an das für den gesamten Transport verantwortliche Unternehmen, etwa Gesellschaft B, oder an die Reederei erbracht. Die von der Klägerin erbrachten Verladedienstleistungen können den bloßen Be- oder Entladevorgang betreffen oder sich auf die Beförderung der Ladung beziehen. Bei den Schiffen, die beladen oder gelöscht werden, handelt es sich um Seefahrzeuge, die im gewerblichen internationalen Verkehr tätig sind.

Der Steuerausschuss hatte festgestellt, dass die Verladedienstleistungen nicht als steuerbefreite Dienstleistungen i.S.d. § 71 Abs. 3 FI-MwStG (AVL) anzusehen seien. Er nahm Bezug auf Art. 148 Buchst. a, c und d MwStSystRL sowie auf die EuGH-Rechtsprechung in den verbundenen Rechtssachen C-181/04 bis C-183/04, Elmeka. Nach der EuGH-Rechtsprechung könnten Dienstleistungen, die für internationale Seefahrzeuge oder deren Ladung erbracht würden, nur steuerfrei sein, wenn sie auf der letzten Handelsstufe erfolgten. Die Befreiung könne nicht auf vorausgehende Handelsstufen ausgedehnt werden.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die streitigen Be- und Entladedienstleistungen die Voraussetzungen von Art. 148 Buchst. d MwStSystRL erfüllen. Die Beförderung von Ladung stellt nach dem Urteil eine übliche Art des Betriebs von auf hoher See eingesetzten Schiffen dar. Für die Beförderung einer Ladung und somit für einen derartigen Betrieb eines Schiffes sei es erforderlich, dass diese Ladung am Ausgangshafen auf dieses Schiff aufgeladen und sodann am Zielhafen wieder abgeladen wird. Daher dienen derartige Dienstleistungen unmittelbar dem Bedarf der Ladung eines Schiffes i.S.v. Art. 148 Buchst. a MwStSystRL und sind somit für den Betrieb des die Ladung befördernden Schiffes unerlässlich und dienen auch unmittelbar dem Bedarf des Seeschiffes.

Die weitere Frage des Vorlagegerichts, ob Art. 148 Buchst. d MwStSystRL ausschließlich Dienstleistungen im Bereich des Beladens und Entladens eines Schiffes i.S.v. Art. 148 Buchst. a MwStSystRL befreit, die auf der letzten Handelsstufe einer solchen Dienstleistung erbracht werden, oder ob auch auf einer vorausgehenden Handelsstufe erbrachte Dienstleistungen wie eine von einem Unterauftragnehmer an einen Unternehmer erbrachte Dienstleistung, die dieser dann einem Speditions- oder Transportunternehmen weiterberechnet, steuerfrei sind, bzw. ob nach Art. 148 Buchst. d MwStSystRL auch Be- und Entladedienstleistungen steuerfrei sind, die an den Verfügungsberechtigten dieser Ladung, etwa einen Ausführer oder Einführer, erbracht werden, hat der EuGH erstaunlicherweise bejaht. Art. 148 Buchst. d spreche weder auf eine bestimmte Stufe der Handelskette der Dienstleistungen an, noch den Kreis der Personen, denen diese Dienstleistungen in Rechnung zu stellen sind. Folglich erlaube der Wortlaut der Bestimmung für sich allein nicht die Annahme, dass Dienstleistungen, die nicht auf der letzten Handelsstufe erbracht werden oder die einer Mittelsperson in Rechnung gestellt werden, von der in der Vorschrift geregelten Steuerbefreiung ausgeschlossen sind.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht. Es war bisher nicht ernstlich zweifelhaft, dass Beladen und Entladen eines Schiffes Dienstleistungen für den unmittelbaren Bedarf von Seeschiffen und ihrer Ladung  i.S.d. Art. 148 Buchst. d MwStSystRL darstellen. Dies hat der EuGH vorliegend bestätigt.

Auch erschien es nach den Feststellungen des EuGH in den Urteilen C-181/04 und C-183/04, Elmeka sowie C-526/13, Fast Bunkering Klaipeda nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Steuerbefreiung nach Art. 148 Buchst. d MwStSystRL (wie alle anderen Tatbestände in Art. 148 MwStSystRL) nur für Dienstleistungen auf der letzten Handelsstufe Anwendung findet. Dies allerdings hat der EuGH jetzt für Be- und Entladeleistungen an einem Seeschiff revidiert. Mit Blick auf die Systematik der Steuerbefreiung und seine bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich (EuGH, Urt. v. 14.09.2006, C-181/04 bis 183/04, Elmeka) kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass zum einen nicht nur Dienstleistungen im Bereich des Beladens und Entladens eines Schiffes i.S.v. Art. 148 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei sein können, die auf der letzten Handelsstufe einer solchen Dienstleistung erbracht werden, sondern auch auf einer vorausgehenden Handelsstufe erbrachte Dienstleistungen wie etwa eine von einem Unterauftragnehmer an einen Auftraggeber, die dieser dann einem Speditions- oder Transportunternehmen weiterberechnet. Auch können Be- und Entladedienstleistungen steuerfrei sein können, die an den Verfügungsberechtigten dieser Ladung, etwa deren Ausführer oder Einführer, erbracht werden. Der EuGH begründet dies im Wesentlichen damit, dass es bei seiner strengen Sichtweise in dem Urteil v. 14.09.2006, C-181/04 bis 183/04, Elmeka um einen mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbaren Fall gegangen sei. In der Sache Elmeka habe es sich um Dienstleistungen des Transports von Kraftstoff gehandelt, die für Rechnung eines Auftraggebers erbracht wurden, der diesen Kraftstoff in der Folge an Reeder verkaufte. So mussten physisch mehrere Umsätze getätigt werden, bevor die Verwendung dieser Leistungen für den Bedarf der Seeschiffe feststand, da eine solche Verwendung erst bei Lieferung des Kraftstoffs an die Betreiber der Schiffe, in denen der Kraftstoff verbraucht wurde, sicher feststand. Eine Ausdehnung der Steuerbefreiung auf vorhergehende Handelsstufen dieser Dienstleistung hätte die Einführung von Kontroll- und Überwachungsmechanismen erfordert, um sich der endgültigen Bestimmung dieses Kraftstoffs zu vergewissern. Dies sei aber mit einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen unvereinbar gewesen.

Im vorliegenden Fall geht der EuGH demgegenüber davon aus, dass die Bestimmung der streitigen Ladedienstleistungen ihrem Wesen nach von ihrer Vereinbarung an als sicher gelten kann. Ihre Art hängt ausschließlich von der Art des zu be- oder entladenden Schiffes ab. Die Steuerbefreiung der streitigen Leistungen wird nach dem Urteil auch dem Ziel der Förderung der grenzüberschreitenden Beförderung von Waren oder Personen gerecht. Eine Beschränkung der Steuerbefreiung nach Art. 148 Buchst. d MwStSystRL auf Leistungen auf der letzten Handelsstufe läuft nach dem EuGH-Urteil diesem Ziel zuwider, weil jedes Zwischenglied in der Handelskette bestrebt wäre, die Finanzierungskosten für den aus der Mehrwertsteuerentrichtung resultierenden Liquiditätsbedarf auf seine Kunden abzuwälzen, und brächte somit eine Verteuerung der Preise bei der grenzüberschreitenden Beförderung mit sich, ohne dass eine solche Verteuerung durch die Gewährleistung der korrekten und einfachen Anwendung der Steuerbefreiung gerechtfertigt wäre. Diese Annahme ist erstaunlich, setzt der EuGH doch voraus, dass die Entrichtung von Ausgangsumsatzsteuer Finanzierungskosten erzeugt. Der EuGH geht offenbar davon aus, dass die Entrichtung der Umsatzsteuer durch den Kunden an den leistenden Unternehmer regelmäßig der Abführung durch diesen an die Finanzbehörde nachfolgt. Auch blendet er aus, dass es Fälle geben soll, in denen der Vorsteuerabzug aus einem Eingangsumsatz geltend gemacht wird, bevor dieser bezahlt worden ist.

Nach dem vorliegenden Urteil muss die bisher strenge Sichtweise, die die Finanzverwaltung in Abschn. 8.1 UStAE vertritt, wohl aufgegeben werden.

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