Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH: Schuldet ein Logistikdienstleister Einfuhrumsatzsteuer für wiederausgeführte Drittlandsware?

Anmerkung zu: FG Hamburg, 18.02.2014, 4 K 130/12, 4 K 150/12 – Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH: Schuldet ein Logistikdienstleister Einfuhrumsatzsteuer für wiederausgeführte Drittlandsware?

Praxisproblem

Sind Waren in zollrechtliche Nichterhebungsverfahrens, zu welchem auch das Zolllagerverfahren und das Versandverfahren gehören (Art. 84 ZK), übergeführt worden, so werden grds. so lange keine Einfuhrabgaben erhoben, wie die Waren sich in den entsprechenden Zollverfahren befinden. Wird allerdings eine Pflicht nicht erfüllt, die sich bei einfuhrabgabenpflichtigen Waren aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens ergibt, entsteht nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK in anderen als den in Art. 203 ZK genannten Fällen die Einfuhrzollschuld. Über § 21 Abs. 2 UStG gelten für die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) die Vorschriften für Zölle sinngemäß, so dass gleichsam die EUSt entsteht. Abgabenschuldner von Zoll und EUSt ist die Person, die die Pflichten zu erfüllen hat, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung oder der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben bzw, die Person, die die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat, Art. 204 Abs. 3 ZK.  

Sachverhalt

In beiden Verfahren handelt es sich bei den Klägern um Logistikdienstleister, welche für ihre Auftraggeber Ware aus dem Drittland in der Union transportiert bzw. diese im Anschluss hier gelagert haben. Ohne in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden zu sein, sind die Waren anschließend aus dem Gebiet der Union wiederausgeführt worden. Der Kläger des einen Verfahrens hatte das externe gemeinschaftliche Versandverfahren T 1 nicht fristgerecht beendet, da er versäumte, die Waren bei dem zuständigen Zollamt zu gestellen, bevor diese weiterbefördert wurden. In dem anderen Verfahren hatte der Kläger den Warenabgang aus seinem Zolllager nicht rechtzeitig bzw. gar nicht erfasst.

Aufgrund dieser Pflichtverletzungen wurde gegen die Kläger jeweils Einfuhrzoll gem. Art. 204 Abs. 1 ZK festgesetzt. Neben den Zollabgaben wurde auch die EUSt erhoben. Hiergegen richten sich die Klagen insbesondere vor dem Hintergrund, dass Logistikdienstleister nach derzeitiger herrschender Auffassung die ihnen für Waren ihrer Kunden in Rechnung gestellte Einfuhrumsatzsteuer mangels eigener Verfügungsmacht nicht als Vorsteuer in Abzug bringen können. Die Kläger geben an, dass die EUSt gar nicht entstehen könne, da die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen seien.

Das deutsche Umsatzsteuergesetz ordnet in § 21 Abs. 2 UStG für die EUSt eine sinngemäße Anwendung der zollrechtlichen Vorschriften an. Nach Auffassung des FG ist durch die Inanspruchnahme der Kläger das Neutralitätsprinzip und damit ein konstitutives Merkmal des europäischen Mehrwertsteuerrechts in Gefahr. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden könne. Durch diese Abzugsregelung solle der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Aus Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie RL 77/388 EWG leitet das FG das Recht ab, dass jeder Steuerpflichtige Beträge abziehen könne, die ihm für die ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen als Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt worden seien, soweit diese Gegenstände oder Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Der allein als Dienstleister für einen anderen Verfügungsberechtigten tätige Zolllagerhalter wird hingegen unter Umständen dauerhaft belastet, ohne dass das FG für eine solche unterschiedliche Behandlung einen in dem Mehrwertsteuersystem begründeten sachlichen Rechtfertigungsgrund erkennen könne. Vor diesem Hintergrund hält das FG es auch für möglich, das Unionsrecht zur Mehrwertsteuer so auszulegen, dass jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden der Einfuhrmehrwertsteueranspruch nicht automatisch mit der Entstehung von Einfuhrzoll entstehen müsse.

Die Verfahren werden ausgesetzt und dem EuGH wurden die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Vorlagefragen

1. Frage: Steht es im Widerspruch zu den Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG, Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände zu erheben, die als Nichtgemeinschaftsware wiederausgeführt worden sind, für die jedoch wegen einer Pflichtverletzung nach Art. 204 ZK - hier: nicht rechtzeitige Erfüllung der Pflicht, die Entnahme der Ware aus einem Zolllager spätestens zum Zeitpunkt ihrer Entnahme in den dafür vorgesehenen Bestandsaufzeichnungen aufzuschreiben - eine Zollschuld entstanden ist?

Falls die Frage zu 1 verneint wird:

2. Frage: Gebieten es die Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG, in solchen Fällen Einfuhrumsatzsteuer für die Gegenstände zu erheben oder besteht insoweit ein Spielraum für die Mitgliedstaaten?

und

3. Frage: Ist ein Zolllagerhalter, der einen Gegenstand aus einem Drittstaat aufgrund eines Dienstleistungsverhältnisses in sein Zolllager einlagert, ohne über diesen verfügen zu können, Schuldner der Einfuhrmehrwertsteuer, die infolge seiner Pflichtverletzung gemäß Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 RL 77/388/EWG i. V. m. Art. 204 Abs. 1 ZK entstanden ist, auch wenn der Gegenstand nicht im Sinne von Art. 17 Abs. 2 Buchst a) RL 77/388/EWG für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet wird?

4. Frage: Gilt Einfuhrmehrwertsteuer für Gegenstände, die als Nichtgemeinschaftsware unter zollamtlicher Überwachung wiederausgeführt worden sind, für die jedoch wegen einer Pflichtverletzung nach Art. 204 ZK - hier: Unterlassen der fristgerechten Erledigung des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens durch Gestellung bei der zuständigen Zollstelle vor der Verbringung ins Drittland - eine Zollschuld entstanden ist, als im Sinne von Art. 236 Abs. 1 ZK in Verbindung mit den Vorschriften der Richtlinie 2006/112/EG nicht gesetzlich geschuldet, jedenfalls wenn als Schuldner derjenige in Anspruch genommen wird, dem die verletzte Pflicht oblag, ohne dass er über die Gegenstände verfügungsberechtigt war?

Praxishinweis

Mit Spannung bleibt die Entscheidung des EuGH abzuwarten. Bislang sind Logistikdienstleister rechtlich nicht in der Lage, die EUSt, welche sie für Gegenstände ihrer Kunden leisten, als Vorsteuer in Abzug zu bringen, da sie im maßgeblichen Zeitpunkt der Einfuhr nach herrschender Auffassung (a.A: FG Hamburg, Urteil vom 19.12.2012, 5 K 302/09) keine Verfügungsmacht über diese Gegenstände haben. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil des EuGH von elementarer Bedeutung für die Logistikbranche.