BFH zum Vertrauensschutz bei Ausfuhrlieferungen

BFH, Beschl. v. 29.03.2016, XI B 77/15

Praxisproblem

Werden Waren in Drittstaaten verbracht, besteht für den leistenden Unternehmer die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung nach §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 Abs. 1 UStG. Dies setzt allerdings voraus, dass es dem Leistenden möglich ist, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung buch- und belegmäßig nachzuweisen, § 6 Abs. 4 S. 1 UStG, §§ 8 ff UStDV. Anders als § 6a Abs. 4 UStG für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung enthält § 6 UStG keinen Vertrauensschutztatbestand für gutgläubige Exporteure, sodass die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung unabhängig vom Grad des Verschuldens des Steuerpflichtigen zu versagen war. Der EuGH hatte vor diesem Hintergrund mit Urt. v. 21.02.08, C-271/06, Netto Supermarkt entschieden, dass auch ein vom Warenabnehmer gefälschter Zollbeleg die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen dann unberührt lässt, wenn der Steuerpflichtige die Fälschung auch bei Beachtung kaufmännischer Sorgfaltspflichten nicht erkennen konnte. Der EuGH begründete seine Entscheidung damit, dass das Gemeinschaftsrecht bei Betrugsfällen zwar verlange, dass der Exporteur gutgläubig war und alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer eigenen Involvierung in Betrugshandlungen ergriffen hat, aber eine unzulässige  Beeinträchtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeben sei, wenn ein Steuersystem dem Lieferer unabhängig davon, ob er an dem vom Abnehmer begangenen Betrug beteiligt war, die gesamte Verantwortung für die Zahlung der Mehrwertsteuer auferlegt und damit dem Steuerpflichtigen anzulasten, dass durch betrügerische Machenschaften Dritter, auf die er keinen Einfluss hat, Steuereinnahmen entgehen. Die Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Kaufmannes bedingen daher das Führen eines zumindest formell ordnungsgemäßen Buch- und Belegnachweises.

Sachverhalt

Im Streitfall ging es um gefälschte Zollstempel auf Ausfuhrbelegen für diverse durch den Kläger als steuerfrei erklärte Ausfuhrlieferungen. Diese betrafen zum einen Verkäufe von Waren, die der Kläger im eigenen Namen die Ausfuhr angemeldet hatte. Das Zollpapier wurde an den jeweiligen die Ware befördernden Käufer übergeben, welcher das Exemplar Nr. 3 mit einem gefälschten Zollstempel zusammen mit der Originalrechnung zurücksandte. Des Weiteren veräußerte der Kläger Waren im nichtkommerziellen Reiseverkehr an ausländische Käufer und verwendete in diesem Fall  entweder die Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigung für Umsatzsteuerzwecke oder einen sog. „Global Refund Cheque“, wobei er auf dem jeweiligen Formular u.a. Namen und Adresse des Käufers, Art und Menge der Ware als auch den Kaufpreis inklusive Mehrwertsteuer auswies. In den angehefteten Rechnungen war jedoch weder Umsatzsteuer ausgewiesen noch ein Steuersatz genannt. Auf sämtlichen Belägen befanden sich gefälschte Zollstempel.

In Anlehnung an das Urt. des BFH v. 30.06.2008, V R 7/03 stellte der Kläger einen Antrag auf Erlass der Umsatzsteuer mit der Begründung, dass er die Fälschungen der Zollstempel bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht habe erkennen können. Der gegen die Ablehnung des Erlassantrages durch das Finanzamt eingelegte Einspruch als auch die im Anschluss erhobene Klage waren erfolglos. Die Erben des zwischenzeitlich verstorbenen Klägers hatten Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH eingelegt 

Entscheidung

Der BFH hat den Antrag auf Zulassung zur Revision abgelehnt.

Nach Auffassung des BFH ist die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Die Kläger begehrten Klärung der Frage, ob der Buch- und Belegnachweis formell vollständig erbracht sein muss, um einen Vertrauensschutztatbestand hinsichtlich der Voraussetzungen der steuerfreien Ausfuhrlieferung auszulösen. Diese Frage kann nach Auffassung des BFH bereits auf der Grundlage der Rechtsprechung beantwortet werden, so dass es hier bereits an der Klärungsbedürftigkeit und damit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache mangelt.

Es ist bereits hinreichend geklärt, dass ein Steuerpflichtiger die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erfüllt, wenn er den gesetzlichen Buch- und Belegnachweis nicht formell vollständig führt (vgl. BFH, Urt. v. 15.07.2004, V R 1/04). Maßgeblich ist nach Auffassung des BFH die formelle Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH, wonach „der Lieferer auf die Rechtmäßigkeit des Umsatzes, den er tätigt, vertrauen können muss, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Befreiung von der Mehrwertsteuer zu verlieren, wenn er [...] selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns außerstande ist zu erkennen, dass die Voraussetzungen für die Befreiung in Wirklichkeit nicht gegeben waren, weil die vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise gefälscht waren (EuGH, Urt. v. 21.02.2008, C-271/06, Netto Supermarkt).

Dass der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung die analoge Anwendung von § 6a Abs. 4 UStG auf Ausfuhrlieferungen ablehnt, steht dem nicht entgegen, denn hier geht es nicht um die nach § 6a Abs. 4 UStG für innergemeinschaftliche Lieferungen mögliche Anwendung von Vertrauensschutz im Festsetzungsverfahren, sondern um die Auslegung des Merkmals der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, die in beiden Fällen nicht unterschiedlich erfolgen kann.

Darüber hinaus wollten die Kläger geklärt wissen, ob die Nennung von Waren oder Gattungsbezeichnungen ausreichend für die Angabe der handelsüblichen Bezeichnungen des Gegenstandes im Rahmen des formellen Nachweises ist. Auch diese Frage ist nach Auffassung des BFH bereits dadurch geklärt, dass das FG in seiner Entscheidung festgestellt hat, dass die auf den Rechnungen und Zollpapieren befindlichen Warenbezeichnungen eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der abgerechneten Leistungen nicht ermöglichen, da sie zu allgemein gefasst sind, um beurteilen zu können, welche konkreten Gegenstände ausgeführt werden sollten.

Praxishinweis

Für den Steuerpflichtigen lassen sich diesem Urteil zwei bereits bekannte Aussagen entnehmen, die der BFH nun noch einmal bestätigt hat:

  • Erstens erfüllt ein in Steuerpflichtiger dann nicht die Anforderungen an die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, wenn er den gesetzlichen Buch- und Belegnachweis nicht formell vollständig führt.
  • Zweitens muss eine Rechnung hinreichend bestimmte Angaben zum Leistungsgegenstand enthalten, welche eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der abgerechneten Leistung ermöglichen und eine mehrfache Abrechnung der Leistung in einer anderen Rechnung ausschließen. Lediglich Gattungsbegriffe sind nicht ausreichend, die entsprechenden Anforderungen zu erfüllen.

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