EuGH zur Absetzbarkeit der Vorsteuern für die Herstellungskosten eines Gebäudes

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 22.06.2016, C-267/15, Gemeente Woerden

Praxisproblem

Ein Unternehmer, der für Zwecke des Vorsteuerabzugs als Leistungsempfänger anzusehen ist, ist nach § 15 Abs. 1 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er beabsichtigt, Leistungen für sein Unternehmen i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG und damit für seine unternehmerischen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen zu verwenden. Zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung muss nach dem objektiven Inhalt der bezogenen Leistung ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang bestehen, nur mittelbar verfolgte Zwecke sind unerheblich. Besteht der direkte und unmittelbare Zusammenhang zu einem einzelnen Ausgangsumsatz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, der steuerpflichtig ist (bzw. von § 15 Abs. 3 UStG umfasst wird), kann der Unternehmer den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen. Die für den Leistungsbezug getätigten Aufwendungen gehören dann zu den Kostenelementen dieses Ausgangsumsatzes. Bei einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einem Ausgangsumsatz, der mangels wirtschaftlicher Tätigkeit nicht dem Anwendungsbereich der Umsatzsteuer unterliegt oder ohne Anwendung von § 15 Abs. 3 UStG steuerfrei ist, besteht keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Dies gilt auch, wenn der Unternehmer eine Leistung z.B. für einen steuerfreien Ausgangsumsatz bezieht, um mittelbar seine zum Vorsteuerabzug berechtigende wirtschaftliche Gesamttätigkeit zu stärken, da der von ihm verfolgte endgültige Zweck unerheblich ist. Fehlt ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, kann der Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt sein, wenn die Kosten für die Eingangsleistung zu seinen allgemeinen Aufwendungen gehören und – als solche – Bestandteile des Preises der von ihm erbrachten Leistungen sind. Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen und berechtigen nach Maßgabe dieser Gesamttätigkeit zum Vorsteuerabzug.

Sachverhalt

Bei dem niederländischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage der Absetzbarkeit der Vorsteuern für die Herstellungskosten eines Gebäudes für einen Bauherren, wenn dieser das Gebäude zu einem nicht kostendeckenden Preis verkauft hat und der Käufer das Gebäude zum Teil zur unentgeltlichen Nutzung überlässt und zum Teil damit umsatzsteuerfreie Vermietungseinnahmen erzielt.

Die Klägerin, eine Gemeinde, erteilte einen Auftrag zum Bau von zwei Gebäuden (1 und 2) zur multifunktionalen Nutzung, u.a. für die Erteilung von Grundschulunterricht, für die Bereitstellung von Kinderbetreuung, für Pflege und Wellness sowie für Sport und Kultur. Die Kosten für das Gebäude 1 beliefen sich auf insgesamt rd. 6,6 Mio. € ohne Umsatzsteuer. Die Klägerin zog die ihr für die Übergabe nach Fertigstellung in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nahezu vollständig als Vorsteuer ab. Die Kosten für das Gebäude 2 betrugen rd. 7,2 Mio. €; auch hier zog die Klägerin die ihr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nahezu vollständig als Vorsteuer ab.

Zu Beginn des Jahres 2007 wurde eine Stiftung S gegründet. Die Leitung der Stiftung besteht aus fünf Mitgliedern, von denen eines von der Klägerin, drei von den Leitungen jeder der drei die Gebäude nutzenden Bildungseinrichtungen und eines von einer anderen Stiftung M ernannt wurden. Stiftungszweck ist die Verwaltung von Gebäuden und darüber hinaus die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Nutzern der Gebäude.

Ursprünglich hatte die Klägerin die Absicht, die Gebäude an die Stiftung S zu vermieten. Sie sah dann von diesem Vorhaben ab und veräußerte die Gebäude steuerpflichtig an die Stiftung S. Das Gebäude 1 wurde zu einem Betrag von rd. 0,5 Mio. € zzgl. Umsatzsteuer verkauft. Im Zusammenhang mit dieser Übertragung wurde gem. Art. 15 Abs. 4 des NL-Gesetzes über die Besteuerung von Rechtsgeschäften Immobilienerwerbsteuer auf einen angegebenen Wert von rd. 6,6 Mio. € erhoben.

Gebäude 2 wurde mit notarieller Urkunde in zwei Wohneigentumsrechte aufgespalten, die die Klägerin an die Stiftung veräußerte und im Dezember 2007 mit notariellen Urkunden übertrug. Das eine Wohneigentumsrecht (Wohneigentumsrecht 1) betraf das Erdgeschoss und die erste Etage von Gebäude 2, wo sich Räume befinden, die für die Erteilung von Unterricht, für eine Kindertagesstätte und für außerschulische Betreuung genutzt wurden. Der Kaufpreis für dieses Wohneigentumsrecht betrug rd. 0,6 Mio. € zzgl. Umsatzsteuer.

Das Wohneigentumsrecht 2 betraf eine zweite Etage. Auf dieser wurden zwei Fitnessräume (Sportcenter mit zwei kombinierbaren Fitnessräumen) samt allen zugehörigen Einrichtungen eingerichtet. Der Kaufpreis für Wohneigentumsrecht 2 betrug rd. 0,15 Mio. € zzgl. Umsatzsteuer.

Nach Übergabe der Gebäude überließ die Stiftung S drei Einrichtungen Gebäudeteile zur unentgeltlichen Nutzung für Zwecke von Sondergrundschulunterricht. Die übrigen Teile wurden von der Stiftung S gegen Entgelt an unterschiedliche Mieter vermietet, die diese Teile für verschiedene Zwecke nutzen. Diese Vermietung war mit Ausnahme der Vermietung der Sportanlagen in den Gebäuden steuerfrei.

Die niederländische Finanzbehörde war der Auffassung, die Klägerin habe Gebäude 1 und die beiden Wohneigentumsrechte von Gebäude 2 nicht i.S.v. Art. 3 NL-MwStG an die Stiftung geliefert, sondern umsatzsteuerfrei an sie vermietet i.S.v. Art. 11 Abs. 1 Buchst. b NL-MwStG. Deshalb habe die Klägerin keinen Vorsteuerabzug aus der Anschaffung der Gebäude und schulde Umsatzsteuer nach Art. 3 Abs. 3 Buchst. b NL-MwStG.

Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob ein Steuerpflichtiger in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem der Steuerpflichtige ein Gebäude hat bauen lassen und zu einem nicht kostendeckenden Preis verkauft hat, während der Käufer des Gebäudes einem Dritten einen bestimmten Teil dieses Gebäudes zur unentgeltlichen Nutzung überlässt, ein Recht auf Vorsteuerabzug der gesamten für den Bau des Gebäudes in Rechnung gestellten Umsatzsteuer oder nur eines Teils der Umsatzsteuer proportional zu den Gebäudeteilen hat, die der Käufer für wirtschaftliche Tätigkeiten nutzt (im vorliegenden Fall Vermietung gegen Entgelt).

Entscheidung

Der EuGH hat, die Unternehmereigenschaft der Klägerin unterstellend, entschieden, dass im Ausgangsverfahren der Vorsteuerabzug auf die Anschaffung der Gebäude in voller Höhe zu gewähren war. Auf die spätere Nutzung der Gebäude durch den Käufer kommt es nicht an. Ebenso ist es unerheblich, dass der Käufer einen Teil des Gebäudes einem Dritten zur unentgeltlichen Nutzung überließ.

Der EuGH begründet seine Entscheidung mit seiner ständigen Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug. Insofern verschafft das Urteil keine neuen Erkenntnisse. Der Vorsteuerabzug war in voller Höhe zulässig, weil die Eingangsumsätze (die Herstellung der Gebäude) unmittelbar einem steuerpflichtigen Ausgangsumsatz (der Weiterlieferung der Gebäude) zugeordnet werden konnten.

Praxishinweis

Der EuGH sah sich mit einem Einzelfall konfrontiert. Entscheidungserheblich war, dass die Kaufpreise unmittelbar mit den Lieferungen der Gebäude zusammenhingen und die Klägerin diese mithin gegen Entgelt und deshalb als unternehmerische Tätigkeiten bewirkt hatte, die einen entsprechenden Vorsteuerabzug eröffnen. Auf die Kaufpreiserlöse im Vergleich zu den Anschaffungskosten der Gebäude konnte es grundsätzlich nicht ankommen. Der EuGH hat nochmals klargestellt, dass die MwStSystRL das Recht auf Vorsteuerabzug nicht von einer an die Nutzung des Ausgangsumsatzes durch den Empfänger dieser Leistung anknüpfenden Bedingung abhängig macht, weil dies bedeuten würde, dass jeder Umsatz eines Unternehmers an einen Leistungsempfänger, der – wie Privatpersonen – keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, das Recht des leistenden Unternehmers auf Vorsteuerabzug systemwidrig beschränken würde.

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