EuGH zur Auslegung von Art. 18 Buchst. c MwStSystRL, Besteuerung von Entnahmen bei Geschäftsaufgabe

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 16.06.2016, C-229/15, Jan Mateusiak

Praxisproblem

Unentgeltliche Wertabgaben aus dem Unternehmen sind, soweit sie in der Abgabe von Gegenständen bestehen, nach § 3 Abs. 1b UStG den entgeltlichen Lieferungen und, soweit sie in der Abgabe oder Ausführung von sonstigen Leistungen bestehen, nach § 3 Abs. 9a UStG den entgeltlichen sonstigen Leistungen gleichgestellt. Unentgeltliche Wertabgaben sind sowohl bei Einzelunternehmern als auch bei Personen- und Kapitalgesellschaften sowie bei Vereinen und bei Betrieben gewerblicher Art oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieben von juristischen Personen des öffentlichen Rechts möglich.

Die nach § 3 Abs. 1b UStG einer entgeltlichen Lieferung gleichgestellte Entnahme oder unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands aus dem Unternehmen setzt die Zugehörigkeit des Gegenstands zum Unternehmen voraus. Die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen richtet sich nicht nach ertragssteuerrechtlichen Merkmalen, also nicht nach der Einordnung als Betriebs- oder Privatvermögen. Maßgebend ist, ob der Unternehmer den Gegenstand dem unternehmerischen oder dem nichtunternehmerischen Tätigkeitsbereich zugewiesen hat. Die Entnahme eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands wird nach § 3 Abs. 1b UStG nur dann einer entgeltlichen Lieferung gleichgestellt, wenn der entnommene oder zugewendete Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Entnahmetatbestände, deren Bemessungsgrundlage sich nach § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG richtet, können auch bei einer Geschäftsaufgabe anfallen. Bemessungsgrundlage einer Gegenstandsentnahme ist der Einkaufspreis für den entnommenen Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises die Selbstkosten zum Zeitpunkt der Entnahme.

Sachverhalt

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob Art. 18 Buchst. c MwStSystRL dahingehend auszulegen ist, dass Sachanlagen, für die der Unternehmer den Vorsteuerabzug für die Herstellungskosten geltend gemacht hat, der Mehrwertsteuer nicht unterliegen, wenn bei Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmers der Berichtigungszeitraum bereits abgelaufen war.

Nach Art. 18 Buchst. c MwStSystRL können die Mitgliedstaaten mit Ausnahme der in Art. 19 genannten Fälle (Geschäftsveräußerung im Ganzen) den Besitz von Gegenständen durch einen Unternehmer oder seine Rechtsnachfolger bei Aufgabe seiner wirtschaftlichen Tätigkeit einer entgeltlichen Lieferung gleichstellen, wenn die Gegenstände bei ihrer Anschaffung oder bei ihrer Verwendung nach Art. 18 Buchst. a MwStSystRL zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben..

Der Kläger, ein Notar, hatte im Jahr 1999 ein Gebäude errichtet und für die Anschaffungs- und Herstellungskosten den Vorsteuerabzug geltend gemacht, soweit er das Gebäude als Notarkanzlei nutzte. Das Grundstück, auf dem das Gebäude errichtet wurde, sowie die verbleibende Wohneinheit des Gebäudes wurden zu keinem Zeitpunkt für unternehmerische Zwecke verwendet und waren daher nach polnischem Recht keine Sachanlagen des Unternehmens. Im Zeitpunkt der Geschäftsaufgabe des Klägers im Jahr 2013 war der Berichtigungszeitraum für den unternehmerisch genutzten Gebäudeteil bereits abgelaufen. Der Kläger war daher der Auffassung, dass der unternehmerisch genutzte Gebäudeteil im Zeitpunkt der Geschäftsaufgabe nicht mehr nach polnischem Recht (Art. 14 PL-MwStG) auf der Basis von Art. 18 Buchst. c MwStSystRL besteuert werden könne. Nach Ablauf des Berichtigungszeitraums sei davon auszugehen, dass der Abzug der auf die Herstellung des Wirtschaftsguts entfallenen Vorsteuer für unternehmerische Zwecke „konsumiert“ worden sei und der Besitz dieser Waren zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe keine weiteren umsatzsteuerlichen Folgen mehr nach sich ziehen könne.

Entscheidung

Der EuGH hat insbesondere unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 08.05.2013, C-142/12, Hristomir Marinov entschieden, das Hauptziel von Art. 18 Buchst. c der MwStSystRL bestehe darin, zu verhindern, dass Gegenstände, die zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, nach der Aufgabe der steuerbaren Tätigkeit – aus welchen Gründen oder unter welchen Umständen sie auch erfolgt sein mag – einem unversteuerten Endverbrauch zugeführt werden. Nach den weiteren Urteilsgründen ist Art. 18 Buchst. c MwStSystRL auch auf Gegenstände anzuwenden, bei denen gem. Art. 187 Abs. 1 MwStSystRL der Berichtigungszeitraum zum Zeitpunkt der Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit bereits abgelaufen ist.

Nach dem Urteil sind die Regelungen über die Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben während der unternehmerischen Tätigkeit und der Besteuerung auf der Basis von Art. 18 Buchst. c MwStSystRL unabhängig voneinander anzuwenden. Der Wortlaut des Art. 18 Buchst. c MwStSystRL  enthält nach dem Urteil weder eine zeitliche Einschränkung für die Besteuerung noch nimmt er auf Art. 184 bis 187 MwStSystRL Bezug. Dies wiegt umso schwerer, als Art. 168a Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL für die Besteuerung der privaten Verwendung eines Grundstücks gem. Art. 26 ausdrücklich auf die Regelungen der Art. 184 bis 192 verweist. Die Besteuerung nach Art. 18 Buchst. c MwStSystRL kann nach dem Wortlaut der Bestimmung nur erfolgen, wenn die Anschaffung eines Gegenstands zum Vorsteuerabzug berechtigt hat. Er ist damit frei von jeder steuerlichen Belastung Teil des Unternehmensvermögens. Soweit der Gegenstand aber bei Aufgabe der Tätigkeit noch einen Restwert besitzt, ist er nach der Entscheidung des EuGH noch nicht im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit verbraucht worden und somit seine anschließende private Nutzung – erstmalig – zu besteuern. Ob dies auch gilt, wenn die spätere private Nutzung einer Steuerbefreiung unterliegen würde, wenn es sich um eine unternehmerische Nutzung handelte (z.B. nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL), hat der EuGH nicht entschieden.

Praxishinweis

Die Bestimmungen zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs in den Art. 184 ff. der MwStSystRL setzen dafür unmittelbar am Vorsteuerabzug an. Der Vorsteuerabzug wird gem. Art. 167 i.V.m. Art. 63 MwStSystRL regelmäßig schon zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands gewährt, auf der Grundlage seiner beabsichtigten Nutzung. Welche Nutzungen ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, regeln die Art. 168 und 169 der MwStSystRL. Regelmäßig ist Voraussetzung, dass der Unternehmer den erworbenen Gegenstand zur Ausführung besteuerter Umsätze verwendet. Die Berichtigungsvorschriften sollen nach der ständigen EuGH-Rechtsprechung die Genauigkeit des Vorsteuerabzugs erhöhen, indem nach dem Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands überwacht wird, inwieweit ihn der Unternehmer auch tatsächlich für Zwecke nutzt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen.

Die Regelungen zur Besteuerung der privaten Nutzung von Gegenständen setzen hingegen nicht beim Recht auf Vorsteuerabzug an, sondern unterwerfen – ohne den einmal gewährten Vorsteuerabzug anzutasten – die private Nutzung der Mehrwertsteuer. Dabei erfasst Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL die private Nutzung eines Gegenstands, der sich weiterhin im Unternehmensvermögen befindet, während die Steuertatbestände der Art. 16 und 18 Buchst. c den Übergang eines Gegenstands vom Unternehmens- in das Privatvermögen eines Steuerpflichtigen betreffen. Im laufenden Betrieb werden solche Übergänge gem. Art. 16 MwStSystRL als Entnahmen zwingend besteuert. Art. 18 Buchst. c MwStSystRL gibt darüber hinaus den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Übergang eines Gegenstands vom Unternehmens- in das Privatvermögen zu besteuern, der sich aus der Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit ergibt.

Das deutsche UStG macht von Art. 18 MwStSystRL keinen Gebrauch. Die Besteuerung von Entnahmen bei Geschäftsaufgabe unterliegt daher ausschließlich den nationalen Regelungen auf der Basis von Art. 16 MwStSystRL und richtet sich somit nach § 3 Abs. 1b UStG (es sei denn, es handelt sich um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG)).

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