BMF zum Vorrang von verschiedenen, im Konkurrenzverhältnis stehenden Steuerbefreiungsvorschriften

Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 04.11.2015, III C 2 - S 7304/15/10001, 2015/0982961

Praxisproblem

Kommt für einen Umsatz neben der Befreiungsvorschrift z.B. des Art. 67 Abs. 3 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut (NATO-ZAbk) grundsätzlich auch eine Steuerbefreiung nach § 4 UStG in Betracht, stellt sich im Hinblick auf den Vorsteuerabzug die Frage nach dem Vorrang der einzelnen Steuerbefreiungsvorschriften. Zum Konkurrenzverhältnis zweier Steuerbefreiungsvorschriften hatte der BFH unter Zugrundelegung der Urteilsgrundsätze des EuGH-Urteils v. 07.12.2006, C-240/05, Eurodental, mit Urteil vom 22.08.2013, V R 30/12, BStBl. II 2014, 133 entschieden, dass die Spezialvorschrift vorrangig anzuwenden ist. Im Ausgangsfall hatte der BFH festgestellt, dass beim Konkurrenzverhältnis von steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferung (§ 4 Nr.  1 Buchst. b UStG) zu steuerfreier Lieferung von menschlichem Blut (§ 4 Nr. 17 Buchst. a UStG) die Spezialvorschrift – also hier die Lieferung von menschlichem Blut – vorrangig anzuwenden ist.

Sachverhalt

Mit BMF-Schreiben v. 04.11.2015, III C 2 - S 7304/15/10001, 2015/0982961, BStBl. I 2015, 886 wurden Regelungen zum Vorrang der Steuerbefreiungen nach § 26 Abs. 5 UStG (z.B. nach Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk) getroffen. Diese Steuerbefreiungen gehen als selbständige Befreiungstatbestände außerhalb des UStG den Befreiungstatbeständen des UStG mit der Folge vor, dass für diese Umsätze ein Ausschluss des Vorsteuerabzugs nicht eintritt.

Entscheidung

Bei den Steuerbefreiungen nach den in § 26 Abs. 5 UStG bezeichneten Vorschriften

  • Art. III Nr. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die von der Bundesrepublik zu gewährenden Abgabenvergünstigungen für die von den Vereinigten Staaten im Interesse der gemeinsamen Verteidigung geleisteten Ausgaben (BGBl. II 1955, 823);
  • Art. 67 Abs. 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (BGBl. II 1961, 1183, 1218);
  • Art. 14 Abs. 2 Buchst.  b und d des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte, Europa, über die besonderen Bedingungen für die Einrichtung und den Betrieb internationaler militärischer Hauptquartiere in der Bundesrepublik Deutschland (BGBl. II 1969, 1997, 2009)

handelt es sich um Spezialvorschriften, die vorrangig vor den allgemeinen Steuerbefreiungen nach § 4 UStG anzuwenden sind. Die Steuerbefreiungen nach den in § 26 Absatz 5 UStG bezeichneten Vorschriften sind als Spezialvorschriften anzusehen, weil es sich um selbstständige Befreiungstatbestände außerhalb des UStG handelt, die den Befreiungstatbeständen des UStG systematisch vorgehen. In der Folge tritt nach § 15 Abs.  3 Nr. 1 Buchst. a UStG bei Anwendung dieser Spezialvorschriften der Ausschluss des Vorsteuerabzugs für steuerfreie Umsätze (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG) nicht ein.

Praxishinweis

Bei der Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks an einen NATO-Truppenangehörigen konnten sich bisher aufgrund des Konkurrenzverhältnisses zweier Steuerbefreiungsvorschriften Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug ergeben. Wird ein Grundstück vermietet oder verpachtet, fällt dieser Umsatz grundsätzlich unter die Steuerbefreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 12 UStG. Wird das Grundstück an Leistungsempfänger vermietet oder verpachtet, für die Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk gilt, ist der Umsatz aufgrund § 26 Abs. 5 UStG nach dieser Befreiungsvorschrift steuerfrei.

Für den Vorsteuerabzug ergab sich daraus die Konsequenz, dass für einen nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Umsatz nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug ausgeschlossen war. Dagegen tritt nunmehr nach dem BMF-Schreiben v. 04.11.2015 der Ausschluss vom Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG nicht ein, wenn der (Vermietungs-)umsatz aufgrund Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk steuerfrei ist.

Anders als in dem Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil v, 0.12.2006, C-240/05, Eurodental zugrunde lag, rührt der Vorrang der Steuerbefreiung z.B. nach Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk nicht daher, dass diese insofern spezifischer wäre als sie die befreite Leistung „einzeln aufführt und sehr genau beschreibt“ (vgl. Rz. 43 des EuGH-Urteils Eurodental). Vielmehr rührt der Vorrang hier daher, dass die Steuerbefreiung nach Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk ein selbstständiger Befreiungstatbestand außerhalb des UStG ist, der den Befreiungstatbeständen des UStG systematisch vorgeht. Ein solcher Vorrang gegenüber den Befreiungstatbeständen des UStG besteht auch bei den übrigen in § 26 Abs. 5 UStG bezeichneten Vorschriften, d.h. den Befreiungen nach dem OffshoreStA und nach dem NATO-HQ-ErgAbk. So ist nach Art. III Nr. 1 Buchst. a OffshoreStA u.a. die Wohnraumbeschaffung durch die amerikanischen Streitkräfte für ihre Truppenangehörigen oder das zivile Gefolge steuerfrei, vgl. BMF-Schreiben v. 02.10.1991, BStBl. I 1991, 964.

Für die ebenfalls in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG genannten nach § 25 Abs. 2 UStG steuerfreien Reiseleistungen bedurfte es in dem BMF-Schreiben v. 04.11.2015 offenbar keiner vergleichbaren Regelung. Da Reiseleistungen i.S.d.  25 Abs. 1 UStG Leistungen eigener Art sind, kann sich selbst dann keine Überschneidung mit einer anderen Befreiungsvorschrift ergeben, wenn der Unternehmer nur eine Leistung (z.B. die Vermietung einer Ferienwohnung) erbringt. Insofern ordnet Abschn. 25.4 Abs. 4 UStAE, auf den Abschn. 15.13 Abs. 2 Satz 2 UStAE verweist, zutreffend die umfassende Geltung des Rückausschlusses nach § 15 Abs. 3 UStG an.