EuGH zur umsatzsteuerlichen Registrierung von Privatpersonen, die Umsätze innerhalb der Grenzen der Kleinunternehmerregelung erzielen

Anmerkung zu: EuGH, Beschl. v. 30.09.2015, C-424/14, Jacint Gabor Balogh

Praxisproblem

Das ungarische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Frage, ob eine Privatperson verpflichtet ist, sich nach Art. 213 Abs. 1 und Art. 214 Abs. 1 MwStSystRL umsatzsteuerlich registrieren zu lassen, wenn die Person nur Umsätze ausübt und auch ausüben will, die die Grenze der Kleinunternehmerregelung nicht übersteigen.

Sachverhalt

Die ungarische Finanzbehörde hatte bei dem Kläger festgestellt, dass er regelmäßig über eine Internetplattform Kinderbekleidung verkaufte (von Juni bis August 2013 insgesamt über 200 Verkäufe). Der Kläger gab an, dass er den Verkauf als Privatperson vorgenommen und einer Auskunft der Steuerbehörde zufolge bis einem Betrag von 600.000 HUF (ca. 1.910 €) keine Anzeigepflicht bestanden habe. Die Steuerbehörde stellte fest, dass der Kläger über keine Steuernummer verfüge, obgleich er gewerbsmäßig eine an eine Steuernummer gebundene Tätigkeit als Einzelunternehmer ausübe, so dass er seiner Anzeigepflicht (Anmeldepflicht) nicht genügt habe. Sie erlegte dem Kläger ein Versäumnisbußgeld i.H.v. 100.000 HUF (ca. 318 €) auf, das der Kläger angefochten hatte.

Der Kläger machte vor allem geltend, dass § 16 Abs. 2 der HU-AO nur und ausschließlich den Steuerzahler betreffe, der eine steuerpflichtige Tätigkeit ausüben möchte. Dem Gesetzeswortlaut lasse sich eindeutig entnehmen, dass es bis zur subjektiven Steuerfreigrenze von der Entscheidung des Steuerzahlers abhänge, ob er eine wirtschaftliche Tätigkeit als steuerpflichtige Tätigkeit ausüben wolle.

Das Vorlagegericht wollte insbesondere wissen, ob die ungarische Anzeigepflicht bzw. die Ahnungspraxis vom Unionsrecht gedeckt ist

Entscheidung

Der EuGH hat das Vorabentscheidungsersuchen durch mit Gründen versehenen Beschluss (Art. 99 der Verfahrensordnung des EuGH) entschieden, der nicht in alle Amtssprachen übersetzt wird, da die Beantwortung der Vorlagefragen keinen Raum für vernünftige Zweifel ließ. Der Beschluss ist nur in Ungarisch und Französisch ergangen.

Das Vorlagegericht wollte u.a. wissen, ob Art. 213 Abs. 1 und Art. 214 Abs. 1 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Steuerpflichtiger verpflichtet ist, den Beginn einer wirtschaftlichen Tätigkeit anzuzeigen, wenn die Umsätze aus dieser Tätigkeit die Kleinunternehmergrenze nicht überschreitet und der Steuerpflichtige keine steuerpflichtige Tätigkeit ausüben möchte.

Der EuGH geht davon aus, dass die Frage ausschließlich die Auslegung von Art. 213 Abs. 1 MwStSystRL betrifft und erinnert daran, dass nach dieser Vorschrift jeder Steuerpflichtige verpflichtet ist, die Aufnahme seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen. Im Ausgangsverfahren sei unstreitig, dass der Kläger eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe und Steuerpflichtiger (Unternehmer) i.S.v. Art. 9 MwStSystRL ist. Die in Rede stehende nationale Regelung, nach der jeder Steuerpflichtige zur Anzeige des Beginns seiner Tätigkeit verpflichtet ist, setze Art. 213 Abs. 1 MwStSystRL um. Da Ungarn von der Möglichkeit nach Art. 272 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL, wonach Kleinunternehmer von der Anzeigepflicht ausgenommen werden können, keinen Gebrauch gemacht hat, verstoße die nationale Regelung nicht gegen Art. 213 Abs. 1 MwStSystRL. Damit steht nach Ansicht des EuGH Art. 213 Abs. 1 MwStSystRL einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der ein Steuerpflichtiger dazu verpflichtet ist, den Beginn seiner wirtschaftlichen Tätigkeit anzuzeigen, wenn die Umsätze aus dieser Tätigkeit die Kleinunternehmergrenze nicht überschreiten und der Steuerpflichtige keine steuerpflichtige Tätigkeit ausüben möchte.

Weiter wollte das Vorlagegericht wissen, ob es gegen das Unionsrecht verstößt, wenn gegen einen Steuerpflichtigen, der die Kleinunternehmergrenze nicht überschreitet, wegen Nichtbeachtung der Anzeigepflicht des Beginns einer wirtschaftlichen Tätigkeit ein Versäumnisbußgeld verhängt wird. Dies hat der EuGH verneint. Er führt aus, dass die MwStSystRL keine ausdrückliche Sanktion für den Fall der Nichtbeachtung der Verpflichtungen aus Art. 213 Abs. 1 MwStSystRL vorsieht. Er verweist auf seine Rechtsprechung, wonach die Mitgliedstaaten mangels einer solchen Harmonisierung die Sanktionen wählen können, die ihnen sachgerecht erscheinen. Der Umstand, dass das Verhalten einen Steuerpflichtigen betrifft, der steuerfreie Umsätze tätigt, steht aus Sicht des Unionsrechts den im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen nicht entgegen. Die Verpflichtungen aus Art. 213 der MwStSystRL sind ein Kontrollzwecken dienendes Formerfordernis und die Verletzung dieser Verpflichtung ist geeignet, dem Mitgliedstaat die Möglichkeit einer effektiven Kontrolle möglicher Überschreitungen der Kleinunternehmergrenze vorzuenthalten. Bei der Sanktionierung von Unionsrechtsverstößen haben die Mitgliedstaaten jedoch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu beachten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die verhängte Sanktion angemessen zur Schwere des Verstoßes ist.

Die Beantwortung der dritten Vorlagefrage, mit der das Vorlagegericht wissen wollte, ob die Steuerbehörde anlässlich einer nachträglichen Prüfung dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zur Anwendung der Kleinunternehmerregelung versagen kann, hat der EuGH abgelehnt. Das Vorlageersuchen enthalte weder eine Begründung, warum die Beantwortung dieser Frage für die Entscheidung des Rechtsstreits relevant sei, noch welche Unionsrechtsvorschrift das Vorlagegericht ausgelegt wissen wollte.

Praxishinweis

Entgegen der häufig anzutreffenden Praxis bestätigt das Urteil die eigentliche Vorgehensweise auch bei der deutschen Kleinunternehmerregelung. Die deutsche Verwaltungspraxis sieht vor, dass sich ein Unternehmer i.S.d. § 2 UStG – unabhängig von der Kleinunternehmerregelung – umsatzsteuerlich erfassen lassen muss. Die Voraussetzungen der Kleinunternehmerregelung i.S.d. § 19 UStG sind jährlich erneut zu überprüfen. Hierfür müsste auch ein Kleinunternehmer eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung einreichen. Auch hinsichtlich der §§ 137, 138 AO (steuerliche Erfassung von Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen und Anzeigen über die Erwerbstätigkeit) dürfte die deutsche Rechtslage im Einklang mit dem EuGH-Beschluss stehen.