BMF zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung des Erwerbs zahlungsgestörter Forderungen (sog. Non-Performing-Loans, NPL)

Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 02.12.2015, III C 2 - S 7100/08/10010, 2015/1021816

Praxisproblem

Der EuGH hatte mit seinem Urteil v. 27.10.2011, C-93/10, GFKL entschieden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der auf eigenes Risiko zahlungsgestörte Forderungen zu einem unter ihrem Nennwert liegenden Preis kauft, keine entgeltliche Dienstleistung i.S.v. Art. 2 Abs.  1 Buchst. c MwStSystRL erbringt und keine in ihren Geltungsbereich fallende wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wenn die Differenz zwischen dem Nennwert dieser Forderungen und deren Kaufpreis den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der betreffenden Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung widerspiegelt. Der BFH hatte sich mit Folgeurteilen v. 26.01.2012, V R 18/08 sowie v. 04.07. 2013, V R 8/10 dieser Rechtsauffassung angeschlossen und u.a. ergänzend ausgeführt, dass dem Forderungserwerber mangels Entgeltlichkeit der Leistung aus den Eingangsleistungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug kein Vorsteuerabzugsrecht zusteht.

Sachverhalt

Mit BMF-Schreiben v. 02.12.2015, III C 2 - S 7100/08/10010, 2015/1021816, BStBl. I 2015, 886 wurde – folgend dieser Rechtsprechung – die Verwaltungsauffassung geändert, was die umsatzsteuerrechtliche Behandlung des Erwerbs zahlungsgestörter Forderungen (im Gegensatz zu anderen Fallgestaltungen beim Forderungskauf oder Forderungseinzug) betrifft.

Entscheidung

Abgrenzung der der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen von anderen Fallgestaltungen beim Forderungskauf oder Forderungseinzug

Nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 sind von der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen solche Forderungserwerbe zu unterscheiden, bei denen die Tätigkeit des Forderungserwerbers im Wesentlichen darin besteht, den Forderungsverkäufer von der Einziehung der Forderung zu entlasten. In diesen Fällen ist nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 03.06.2004, BStBl. I 2004, 737 auch weiterhin regelmäßig von einer unternehmerischen Tätigkeit des Erwerbers auszugehen (vgl. Abschn. 2.4 Abs. 1 und Abs. 4 UStAE). Das Entgelt für die Leistung des Erwerbers, bestehend aus der Übernahme des Forderungseinzuges und ggf. des Ausfallrisikos, ist in derartigen Fällen grundsätzlich die Differenz zwischen dem Nennwert der dem Erwerber abgetretenen Forderungen und dem Betrag, den der Erwerber dem Verkäufer als Preis für diese Forderungen zahlt, abzüglich der in dem Differenzbetrag enthaltenen Umsatzsteuer (vgl. Abschn. 2.4 Abs. 6 UStAE).

Übertragung zahlungsgestörter Forderungen, wenn die Differenz zwischen dem Nennwert dieser Forderungen und deren Kaufpreis den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der betreffenden Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung widerspiegelt

Auch bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos wird grundsätzlich ein Kaufpreis vereinbart, der allerdings (erheblich) vom eigentlichen Nennwert der Forderung abweicht. Im Gegensatz zu Sachverhalten, bei denen regelmäßig werthaltige Forderungen übertragen werden bzw. die Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber ausgeschlossen ist, besteht nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 jedoch der wirtschaftliche Gehalt bei der Übertragung notleidender und damit zahlungsgestörter Forderungen gerade in der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch den Erwerber und nicht in der Einziehung der Forderungen. Die Differenz zwischen dem Nennwert der übertragenen Forderungen und deren Kaufpreis beruht vorrangig auf der Beurteilung der Werthaltigkeit der Forderungen. Umstände, die mit der Einziehung der Forderungen durch den Erwerber zusammenhängen, sind für die Bemessung des Abschlages auf den Kaufpreis von nur untergeordneter Bedeutung, selbst wenn hierfür eine gesonderte Vergütung bzw. Abschlag vereinbart wurde. Da sich der vom Nennwert der Forderungen abweichende Kaufpreis nach dem für die jeweilige Forderung geschätzten Ausfallrisiko richtet, spiegelt dieser den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung wider. In der Folge ist generell davon auszugehen, dass bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber der vereinbarte Kaufpreis dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert dieser Forderungen entspricht.

Begriff der „Zahlungsstörung“

Eine Forderung (bestehend aus Rückzahlungs- und Zinsanspruch) ist nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 insgesamt zahlungsgestört, wenn sie, soweit sie fällig ist, ganz oder zu einem nicht nur geringfügigen Teil seit mehr als 90 Tagen nicht ausgeglichen wurde. Eine Forderung ist auch zahlungsgestört, wenn die Kündigung erfolgt ist oder die Voraussetzungen für eine Kündigung vorliegen.

Tätigkeit des Forderungserwerbers beim Erwerb zahlungsgestörter Forderungen

Da der vereinbarte Kaufpreis dem tatsächlichen Wert der Forderung entspricht, stellt die Differenz zwischen Nennwert und Kaufpreis der Forderung nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 keine Vergütung dar, mit der unmittelbar eine vom Käufer erbrachte Dienstleistung entgolten werden soll. Der Forderungserwerber übt daher keine wirtschaftliche Tätigkeit aus. Dies gilt selbst dann, wenn der Erwerber den Verkäufer von der weiteren Verwaltung und Vollstreckung der Forderung entlastet oder die Beteiligten dem Forderungseinzug bei der Bemessung des Abschlages auf den Kaufpreis oder durch Vereinbarung einer gesonderten Vergütung eine nicht nur untergeordnete Bedeutung beimessen. Soweit nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 03.06.2004, BStBl. I 2004, 737 von einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Erwerbers bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber ausgegangen wurde, hält die Verwaltung hieran nicht mehr fest.

Vorsteuerabzug des Forderungserwerbers beim Erwerb zahlungsgestörter Forderungen

Der Einzug von Forderungen, die der Erwerber nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erworben hat, erfolgt nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 ebenso wie der eigentliche Erwerb nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Der Forderungserwerber ist daher nicht zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug berechtigt. Werden sowohl zahlungsgestörte als auch nicht zahlungsgestörte Forderungen in einem Portfolio übertragen, ist das Gesamtpaket für Zwecke des Vorsteuerabzuges entsprechend aufzuteilen (vgl. dazu die Grundsätze der BMF-Schreiben v. 02.01.2012, BStBl. I 2012, 60 sowie v. 02.01.2014, BStBl. I 2014, 119 und Abschn. 15.2b ff. UStAE).

Tätigkeit des Forderungsverkäufers beim Verkauf zahlungsgestörter Forderungen

Bei Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber erbringt der Verkäufer mit der Veräußerung und Abtretung einer zahlungsgestörten Forderung nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 eine nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerfreie Leistung im Geschäft mit Forderungen an den Erwerber. Soweit wegen Rückbeziehung der übertragenen Forderung auf einen zurückliegenden Stichtag der Forderungsverkäufer noch die Forderung verwaltet, liegt hierin eine unselbstständige Nebenleistung zum steuerfreien Forderungsverkauf, die das rechtliche Schicksal der Hauptleistung teilt.

Praxishinweis

Die Grundsätze des BMF-Schreibens v. 02.12.2015 sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Soweit die neue Verwaltungsauffassung den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 03.06.2004, BStBl. I 2004, 737 entgegenstehen, hält sie hieran nicht mehr fest. Gleichwohl enthält das BMF-Schreiben eine Übergangsregelung bis 30.06.2016. Für bis dahin ausgeführte Forderungsübertragungen beanstandet die Verwaltung es nicht, wenn die Beteiligten übereinstimmend entsprechend den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 03.06.2004 verfahren sind. Für Übertragungen, die auf Grundlage eines vor diesem Stichtag abgeschlossenen Kaufvertrages über den regelmäßigen Erwerb zahlungsgestörter Forderungen erfolgen und vor dem 01.01.2019 ausgeführt werden, gilt dies entsprechend. Gehen danach die Beteiligten einvernehmlich von einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Forderungserwerbers aus, erfolgt der Erwerb sowie der Einzug der Forderungen im Rahmen dieser wirtschaftlichen Tätigkeit. In der Folge steht dem Erwerber aus den Eingangsleistungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug insoweit das Vorsteuerabzugsrecht zu. Dies gilt auch für nach dem Stichtag bezogene Leistungen, soweit sie mit dieser wirtschaftlichen Tätigkeit des Erwerbers im Zusammenhang stehen.

Die Definition der Zahlungsstörung in dem BMF-Schreiben stellt ausschließlich auf das 90-Tage-Kriterium ab. Bankenrechtlich ist eine Forderung (bestehend aus Rückzahlungs- und Zinsanspruch) insgesamt zahlungsgestört, wenn diese nach den einschlägigen Regelungen des Europäischen Bankenaufsichtsrechts als notleidend einzustufen ist. Hiervon ist jedenfalls dann nach Art. 178 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRR) auszugehen, wenn der Schuldner sich seit mehr als 90 Tagen in Zahlungsverzug befindet. Auf diese bankenrechtliche Einordnung kommt es nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 nicht an. Zusätzlich stellt das BMF-Schreiben aber auch auf die Kündigung der Forderung als Kriterium für die Zahlungsstörung ab. So ist das Kriterium „Kündigung der Forderung“ insbesondere in Insolvenzfällen von entscheidender Bedeutung. Ein Insolvenzantrag zieht regelmäßig die sofortige Kündigung nach sich. Würden in diesem Fall aber zwischen letzter Zahlung und Kündigung weniger als 90 Tage liegen, wäre die Forderung nicht zahlungsgestört, wenn das BMF-Schreiben nur die 90-Tage-Regelung als Kriterium für die Zahlungsstörung heranziehen würde. Daher erscheint die Kündigung bzw. das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung unabdingbar für die Definition der Zahlungsstörung.

Allerdings beschreibt das BMF-Schreiben nicht genau, was konkret „gekündigt“ werden muss. Hierunter dürfte nur der zugrunde liegende (Kredit-)Vertrag gemeint sein, weil Forderungen als solche nicht gekündigt werden können.

Im Falle der Übertragung einer zahlungsgestörten Forderung ohne Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber liegt nach dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 eine wirtschaftliche Tätigkeit des Erwerbers vor, wenn dieser den Forderungseinzug übernimmt. Bemessungsgrundlage für diese Leistung ist in solchen Fällen grundsätzlich die Differenz zwischen dem Nennwert der dem Erwerber abgetretenen Forderungen und dem Betrag, den der Erwerber seinem Anschlusskunden als Preis für diese Forderungen zahlt, abzüglich der in dem Differenzbetrag enthaltenen Umsatzsteuer. Allerdings dürfte die Übertragung von zahlungsgestörten Forderungen ohne Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber nur von geringer Praxisrelevanz sein, zumal bei den typisch vorkommenden Übertragungen von zahlungsgestörten Forderungen i.S.v. „NPL“-Übertragungen gerade die vollständige Entlastung vom Ausfallrisiko beim Anschlusskunden im Vordergrund stehen wird.

Zwar liegt nach dem Wortlaut des EuGH-Urteils v. 27.10.2011, C-93/10, GFKL (nur dann) eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit vor, wenn die Differenz zwischen dem Nennwert der Forderungen und deren Kaufpreis den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der betreffenden Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung widerspiegelt. Hierin dürfte jedoch kein Widerspruch zu dem von dem BMF-Schreiben v. 02.12.2015 gewählten Ansatz liegen, nach dem generell der Kaufpreis dem tatsächlichen Wert entspricht. Denn der wirtschaftliche Gehalt bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen besteht in der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch den Erwerber. In der Folge bemisst sich der Abschlag vom Nennwert nach dem für die jeweilige Forderung geschätzten Ausfallrisiko. Dem Forderungseinzug kommt im Verhältnis zu dem auf das Ausfallrisiko entfallenden Abschlag eine nur untergeordnete Bedeutung zu. Sollten daher die Beteiligten, wie auch in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, eine Vergütung für den Forderungseinzug vereinbaren, liegt gleichwohl keine wirtschaftliche Tätigkeit des Erwerbers vor.

Nichts anderes dürfte gelten, wenn sich die Vergütung nicht auf Grundlage des wirtschaftlichen Werts nach Abschn. 2.4 Abs. 8 UStAE bestimmt, sondern pauschal vereinbart wird. Auch hier ist diese Vergütung – wirtschaftlich betrachtet – Bestandteil des vereinbarten Abschlages vom Nennwert. Gleichwohl beruht diese Differenz zwischen Nennwert und Kaufpreis weiterhin vorrangig auf der Beurteilung der Werthaltigkeit der Forderungen. Dies gilt selbst dann, wenn mit dem Abschlag eine andere Leistung des Erwerbers abgegolten werden sollte. So konnte der BFH in dem Folgeurteil v. 04.04.2013, V R 8/10 selbst dann keine entgeltliche Leistung erkennen, wenn der Erwerber den Verkäufer nicht nur vom Forderungseinzug, sondern auch von der weiteren Verwaltung und Vollstreckung der Forderungen entlastet hat.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung ist daher davon auszugehen, dass die Differenz zwischen Nennwert und Kaufpreis einer zahlungsgestörten Forderung vorrangig auf der Beurteilung der Werthaltigkeit beruht. Durch Abzug dieses Abschlages vom Nennwert ergibt sich der tatsächliche Wert der Forderung. Dieser Wert entspricht dem vereinbarten Kaufpreis.

Abschn. 2.4 Abs. 7 UStAE enthält im Gegensatz zu der vorangegangenen Fassung nicht mehr die Verpflichtung, des Forderungskäufers, das Vorliegen der Voraussetzungen der Zahlungsgestörtheit einer Forderung nachzuweisen. Gleichwohl dürfte der Forderungskäufer dies durch entsprechende Unterlagen oder Ähnliches in der Praxis zu belegen haben, weil die Zahlungsstörung zu seinen Gunsten wirkt. Denn bei Erwerb einer zahlungsgestörten Forderung kommt es – anders als bei sonstigen Forderungen – zu keiner Einzugsleistung, sodass der Erwerber die Differenz zwischen Nennwert und Kaufpreis der Forderung nicht als Entgelt der Umsatzsteuer unterwerfen muss.