EuGH zur Verzinsung von Vorsteuer-Guthaben

Anmerkung zu: EuGH, Beschl. v. 21.10.2015, C-120/15, Kovozber s.r.o.

Praxisproblem

Nach nationalem Recht stellt ein Vorsteuerüberhang einen Steuervergütungsanspruch gem. § 37 Abs. 1 AO dar. Er entsteht mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums und wird gem. § 168 Satz 2 AO i.V.m. § 220 Abs. 2 Satz 2 AO mit Bekanntgabe der Steuerfestsetzung fällig. Die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO). Die Verzinsung erfolgt nach § 233a AO. Danach beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Diese sog. Vollverzinsung soll die Liquiditätsnachteile sowohl des Fiskus als auch des Steuerpflichtigen ausgleichen, die sich aus einer verspäteten Zahlung bzw. Erstattung ergeben.

Sachverhalt

Bei dem slowakischen Vorabentscheidungsersuchen ging es Verzugszinsen im Zusammenhang mit der Erstattung von Vorsteuerüberhängen. Streitig war, ob eine innerstaatliche Regelung mit Art. 183 Abs. 1 MwStSystRL vereinbar ist, wenn bei der Festlegung der Voraussetzungen für die Erstattung eines Steuerüberschusses die Gewährung von Verzugszinsen (wegen verspäteter Erstattung der Mehrwertsteuer) vom Ablauf einer Frist von zehn Tagen seit dem Abschluss des Steuerprüfungsverfahrens zur Feststellung des Anspruchs auf Erstattung des Steuerüberschusses abhängig gemacht wird.

Entscheidung

Der EuGH hat das Vorabentscheidungsersuchen durch mit Gründen versehenen Beschluss (Art. 99 der Verfahrensordnung des EuGH) entschieden, der nicht in alle Amtssprachen übersetzt wird, da die Beantwortung der Vorlagefragen keinen Raum für vernünftige Zweifel ließ. Der Beschluss ist nur in Slowakisch und Französisch ergangen.

Nach dem Beschluss steht Art. 183 Abs. 1 MwStSystRL einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegen, die bei der Festlegung der Voraussetzungen für die Erstattung eines Mehrwertsteuerüberschusses die Gewährung von Verzugszinsen (wegen verspäteter Erstattung der Mehrwertsteuer) vom Ablauf einer Frist von zehn Tagen seit dem Abschluss des Steuerprüfungsverfahrens zur Feststellung des Anspruchs auf Erstattung des Steuerüberschusses abhängig macht.

Der EuGH hebt bei seiner Entscheidung auf frühere Rechtsprechung ab. Bereits mit Urteil v. 24.10.2013, C-431/12, SC Rafinaria Steaua Romana SA hatte er entschieden, dass Vorsteuererstattungsansprüche ab dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu verzinsen sind. Erfolgt eine Erstattung erst nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit, ist hinsichtlich der Zinsen der Grund für die Verspätung irrelevant. Zwar folge aus Art. 183 MwStRL direkt keine Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen, jedoch entspreche es seiner Rechtsprechung, dass die Auslegung im Hinblick auf den Regelungszusammenhang eine Verzinsung gleichwohl in den Fällen erfordere, in denen die Erstattung des Vorsteuerüberschusses nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt. Durch die Verzinsung sollen die finanziellen Verluste des Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Liquiditätsnachteile ausgeglichen werden und somit dem Grundsatz der Neutralität des Mehrwertsteuersystems Rechnung getragen werden. Dementsprechend sei die Verzinsung ab dem Tag durchzuführen, an welchem der Vorsteuerüberschuss hätte ausgeglichen werden müssen. Erfolge eine Erstattung erst später, sei der Grund für die Verspätung im Hinblick auf die Verzinsung irrelevant.

Praxishinweis

Bereits mit Urteil v. 18.4.2013, C-565/11, Irimie zu einer rechtswidrig erhobenen rumänischen Umweltsteuer für Kraftfahrzeuge hatte der EuGH entschieden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die die bei der Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer zu zahlenden Zinsen auf die Zinsen beschränkt, die ab dem auf das Datum des Antrags auf Erstattung der Steuer folgenden Tag angefallen sind.

In seinem Urteil v. 12.05.2011, C-107/10, Enel Maritsa Iztok 3 hatte der EuGH klargestellt, dass eine rückwirkende Verlängerung der nach nationalem Recht vorgesehenen Frist zur Erstattung eines Vorsteuerüberschusses im Hinblick auf eine Verkürzung des Verzinsungszeitraums nicht zulässig ist.

Der vorliegende Beschluss stellt eine Weiterentwicklung der ständigen Rechtsprechung des EuGH zu Verzinsungsmodalitäten dar. Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich dazu verpflichtet, zeitnah nach Eingang eines Vorsteuererstattungsantrages eine Entscheidung zu treffen und den Erstattungsanspruch ab dem Zeitpunkt der Entscheidung zu verzinsen.

Der EuGH-Beschluss wirft erneut die Frage auf, inwieweit die deutsche Vollverzinsung mit Blick auf die Umsatzsteuer den Anforderungen des Unionsrechts entspricht. Nach § 233a Abs. 2 AO beginnt der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Der EuGH stellt zwar in ständiger Rechtsprechung fest, dass die Realisierung eines Vorsteuererstattungsanspruchs grundsätzlich in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt, diese Autonomie aber durch die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität beschränkt wird. Zwar erfasst der Zinslauf nach § 233a AO grundsätzlich auch den Zeitraum zwischen dem Erlass eines rechtswidrigen Verrechnungsbescheides und dessen Aufhebung. Nach § 233a Abs. 2 AO beginnt der Zinslauf jedoch grundsätzlich erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Dieser späte Beginn des Zinslaufs wird durch den vorliegenden Beschluss erneut in Frage gestellt. Betroffene sollten ihre Ansprüche prüfen und ggf. Rechtsrat einholen.