EuGH zur Umsatzsteuerbefreiung für die Verwaltung von Immobilienfonds

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 09.12.2015, C-595/13, Fiscale Eenheid X NV es; Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG, Auslegung des unionsrechtlichen Begriff des Sondervermögens

Praxisproblem

In der Praxis ist immer wieder streitig, wie weit die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG für die Verwaltung von Investmentvermögen mit Blick auf das zugrunde liegende Unionsrecht reicht. Fraglich ist insbesondere, wie der unionsrechtliche Begriff des Sondervermögens auszulegen ist bzw. wie weit der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten geht, welche Sondervermögen von der Steuerbefreiung begünstigt sind und welche nicht.

Sachverhalt

Das niederländische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Frage, ob eine Gesellschaft, bei denen durch mehr als einen Anleger Kapital für den Ankauf, den Besitz, die Verwaltung und den Verkauf von Immobilien angesammelt wird, als „Kapitalanlagegesellschaft“ i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) anzusehen ist. Insbesondere stellte sich dabei die Frage, ob der Umstand, dass in Immobilien angelegt wird, der Anwendung der Richtlinienbestimmung entgegensteht. Weiterhin war streitig, ob unter den in Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6.EG-Richtlinie verwendeten Begriff „Verwaltung“ auch die von der Gesellschaft einem Dritten übertragene tatsächliche Bewirtschaftung der Immobilien der Gesellschaft erfasst ist.

Die Klägerin ist eine steuerliche Einheit (Organschaft) nach dem NL-MwStG. Eine zu ihr gehörende Gesellschaft A NV hatte im Jahr 1996 mit drei in den Niederlanden niedergelassenen – nicht zu der Organschaft gehörenden – Gesellschaften G 1-3 jeweils einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen geschlossen. G 1-3 wurden durch eine Reihe von Pensionsfonds errichtet. Nach der Errichtung hatten G 1-3 auch an Dritte Anteile (Aktienzertifikate) ausgegeben. Die Tätigkeiten der G 1-3 bestanden in der Akquisition von Anteilseignern bzw. Aktionären, dem An- und Verkauf von Immobilien und deren Bewirtschaftung. Die G 1-3 beschäftigten kein Personal. Nach den Verträgen führte die A NV u.a. folgende Tätigkeiten aus: die Verwaltung des Vermögens des Auftraggebers, die Rechnungslegung, die (automatisierte) Datenverarbeitung und die interne Buchprüfung, Verfügungen über das Vermögen des Auftraggebers, einschließlich des Erwerbs und des Verkaufs von Immobilien sowie die Akquisition von Anteilseignern bzw. Aktionären.

Die Verwaltung des Vermögens (Immobilien) umfasste folgende Tätigkeiten: die Aufsicht über die Immobilie und deren Nutzung sowie den zu diesem Zweck unterhaltenen Kontakt mit Mietern, das Einschalten von Maklern auf Rechnung des Auftraggebers bei Leerstand, Einschätzung der Mieter, Überprüfung eventuell freiwerdender Räumlichkeiten und die Erstellung einer Bestandsaufnahme, Mietinkasso und Schuldnerverwaltung, das Budgetieren und das Veranlassen größerer und kleinerer Instandsetzungsmaßnahmen sowie die technische Einschätzung und die Überprüfung der Ausführung der Arbeiten, die administrative Bearbeitung des Vorstehenden, alltägliche juristische Tätigkeiten sowie die Durchführung von Mieterhöhungen und das Verlängern von Mietverträgen.

Alle Tätigkeiten, die die A NV nach den Verträgen auszuführen hatte, wurden von ihr selbst oder in ihrem Auftrag und auf ihre Verantwortung von Dritten verrichtet. Für die Tätigkeiten hatte A von jeder der G 1-3 eine bestimmte Vergütung erhalten.

Die Klägerin war der Auffassung, die von der A NV empfangenen Vergütungen fielen unter die Steuerbefreiung nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. i Nr. 3 NL-MwStG. Die Vorschrift bestimmt, dass die Verwaltung eines von Investmentfonds und Kapitalanlagegesellschaften für gemeinsame Anlagen angesammelten Vermögens von der Umsatzsteuer befreit ist. Die Finanzbehörde war hingegen der Auffassung, nur die Verfügungen über das Vermögen des Auftraggebers sowie die Akquisition von Anteilseignern bzw. Aktionären seien steuerfrei, nicht aber die übrigen Leistungen (insbesondere die der Verwaltung des Immobilienvermögens).

Das Vorlagegericht wollte insbesondere wissen, ob der Umstand, dass das Anlagekapital der G 1-3 durch mehr als einen (institutionellen) Anleger angesammelt wird, bereits für die Feststellung ausreicht, dass es um ein durch Kapitalanlagegesellschaften verwaltetes Sondervermögen nach der 6. EG-Richtlinie geht.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass auch Immobilienfonds unter bestimmten Voraussetzungen zu den von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) begünstigten Anlageformen gehören können. Er bezieht sich auf seine frühere Rechtsprechung, wonach Fonds i.S.d. OGAW-Richtlinie Sondervermögen i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie sind, sodass die Verwaltungsleistungen steuerfrei sind. Darüber hinaus sind als Sondervermögen im Sinne dieser Regelung auch Fonds anzusehen, die dieselben Merkmale aufweisen und somit dieselben Umsätze tätigen oder diesen zumindest soweit ähnlich sind, dass sie mit ihnen im Wettbewerb stehen.

Der EuGH betont, dass diese anderen Arten von Anlagevermögen den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterliegen und den gleichen Anlegerkreis ansprechen müssen wie OGAW-Fonds. Wesentliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung ist dabei zusätzlich das Bestehen einer besonderen staatlichen Aufsicht, was im Ausgangsverfahren vom vorlegenden Gericht zu beurteilen ist.

Daneben müssen die Fonds aber noch weitere Merkmale aufweisen, um als Sondervermögen i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie angesehen werden zu können.

Mit Blick auf das Ausgangsverfahren hält der EuGH folgende Merkmale für wesentlich:

  • Ausgabe von Anteilsrechten an mehrere Anleger;
  • Der Fond steht verschiedenen Anlegern offen, die die Möglichkeit haben, ihre Anteilsrechte an Dritte abzutreten;
  • Der Ertrag der Anlage hängt von den Ergebnissen der Anlage ab, die die Verwalter im Laufe des Zeitraums, in dem die Anteilsinhaber diese Anteilsrechte innehaben, getätigt haben;
  • Die Anteilsinhaber haben Anrecht auf die vom Fonds erzielten Gewinne und auf den Gewinn infolge einer Wertsteigerung ihres Anteils. Sie tragen auch das Risiko, das mit der Verwaltung des darin gesammelten Vermögens einhergeht;
  • Die Anlage des gesammelten Vermögens erfolgt nach dem Grundsatz der Risikostreuung, wobei die Anlage nicht auf Wertpapiere beschränkt sein muss. Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens bejaht der EuGH die Risikostreuung, da das Vermögen in verschiedenen Kategorien von Immobilien, sowohl Wohn- als auch Geschäftsimmobilien, und in verschiedenen geografischen Regionen angelegt wird.

Zur zweiten Vorlagefrage betreffend den Begriff der „Verwaltung“ hat der EuGH entschieden, dass die tatsächliche Bewirtschaftung von Immobilien hiervon nicht erfasst ist wird und demzufolge nicht der Steuerbefreiung unterliegt. Zwar bezweckt diese Tätigkeit die Erhaltung und Vermehrung des angelegten Vermögens, jedoch ist dies keine spezifische Tätigkeit eines Sondervermögens. Vielmehr werden diese Tätigkeiten durch den Vermögensgegenstand unabhängig von dessen Zuordnung zu einem Sondervermögen geprägt.

Praxishinweis

Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH räumt Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten bei der Definition der in ihrem Hoheitsgebiet angesiedelten Fonds, die für die Zwecke der nach dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiung unter den Begriff „durch Kapitalanlagegesellschaften verwaltetes Sondervermögen“ fallen, ein Ermessen ein. Bei der Ausübung dieses Ermessens müssen die Mitgliedstaaten jedoch sowohl das mit dieser Bestimmung verfolgte Ziel beachten, das darin besteht, den Anlegern die Anlage in Wertpapiere über Organismen für Anlagen durch den Wegfall der Mehrwertsteuerkosten zu erleichtern. Diese Bestimmung soll, so der EuGH, die steuerliche Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Bezug auf die Wahl zwischen unmittelbarer Anlage in Wertpapiere und derjenigen gewährleisten, die durch Einschaltung von Kapitalanlagegesellschaften erfolgt (vgl. EuGH,  Urt. v. 07.03.2013, C-424/11, Wheels Common; Urt. v. 28.06.2007, C-363/05, JP Morgan Fleming Claverhouse Investment Trust plc; Urt. v. 04.05.2006, C-169/04, Abbey National).

Bisher fiel auf, dass der EuGH den Vergleich zwischen der „unmittelbaren Anlage in Wertpapiere“ und der „Anlage in Wertpapiere durch Einschaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen“ zog. Der Begriff Wertpapiere betrifft Effekten, keine Immobilien. Außerdem unterliegen Anlagen in Immobilien im Allgemeinen der Umsatzsteuer, wodurch eine Befreiung für Fonds, die in Immobilien anlegen, nicht notwendigerweise aus dem von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie verfolgten Ziel hervorgeht. Insofern geht der EuGH mit dem vorliegenden Urteil einen Schritt weiter und erklärt – unter bestimmten Voraussetzungen – Immobilienfonds als denkbare Formen von Sondervermögen. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der EuGH den sich aus Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie ergebenden Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten, den Begriff des Sondervermögens zu definieren, nunmehr dadurch für beschränkt hält, dass mit der OGAW-Richtlinie Regelungen der Aufsicht über Anlagevermögen auf Unionsebene bestehen. Die Definitionsbefugnis der Mitgliedstaaten sei somit durch die Koordinierung der Rechtsvorschriften im Bereich der Investmentaufsicht auf Unionsebene überlagert worden. Der Begriff des „Sondervermögens“ i.S.v. Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der 6. EG-Richtlinie werde daher gleichzeitig durch Unionsrecht und durch nationales Recht bestimmt.

Dies ist eine nur schwer nachvollziehbare Entscheidung, weil die 6. EG-Richtlinie bzw. die MwStSystRL allein den Umfang der Steuerbefreiung für die Verwaltung von Investmentvermögen bestimmen. In anderen Entscheidungen im Bereich der Umsatzsteuer hat der EuGH außersteuerliche Regelungen des Unionsrechts ausdrücklich als mögliche Auslegungshilfen verworfen. So hatte der EuGH mit Urteil v. 29.10.2015, C-174/14 entschieden, dass bei der Auslegung von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL der Begriff der sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht unter Heranziehung der Definition des Begriffs der Einrichtung des öffentlichen Rechts in Art. 1 Abs. 9 der RL 2004/18/EG (Vergabe-Richtlinie) interpretiert werden kann. Mit Urteil v. 10.6.2010, C-262/08 hatte der EuGH entschieden, die in Art. 13 der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen seien autonome unionsrechtliche Begriffe. Es sei danach im Ausgangsfall nicht angebracht, die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie in erster Linie auf den „gegenwärtigen“ wissenschaftlichen Kenntnisstand zu stützen. So ließ er die RL 2004/23 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen unberücksichtigt.

Das deutsche Recht ist von dem Urteil betroffen. Nach § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG sind Immobiliensondervermögen (§ 220 KAGB) wegen der alleinigen Anlage in Immobilien und damit der fehlenden Risikomischung, die nach § 1 Abs. 1b Satz 2 InvStG jedoch vorgeschrieben ist, grundsätzlich nicht begünstigt. § 4 Nr. 8 Buchst. h UStG gilt für die Verwaltung von Investmentvermögen nach dem Investmentgesetz (bis 23.12.2013) bzw. von Investmentfonds i.S.d. Investmentsteuergesetzes (ab 24.12.2013). Danach fallen auch nur offene Immobilienfonds (mit mind. drei Anlageobjekten), nicht aber geschlossene Immobilienfonds in den Anwendungsbereich der Umsatzsteuerbefreiung. Im vorliegenden Ausgangsverfahren handelt es sich offenbar um einen offenen Fonds, was der EuGH auch als zusätzliches Merkmal für die Anerkennung der streitgegenständlichen Fonds als begünstigtes Sondervermögen erwähnt. Zu beachten ist jedoch, dass der EuGH nur den konkreten Vorlagefall zu entscheiden hatte. In seinem Urteil C-363/05, JP Morgan hatte er entschieden, dass allein die Tatsache, dass es sich um einen geschlossenen Fonds handelt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht zur Versagung der Steuerbefreiung führen darf.

Fraglich ist, ob nach dem nationalen Recht aufgrund des Urteils auch andere bisher nicht begünstigte Fonds, die einer besonderen staatlichen Aufsicht unterliegen (in Deutschland das KAGB), begünstigt werden müssen, wie z.B. geschlossene Fonds wie etwa Schiffs-, Flugzeug- oder Windenergiefonds oder Managementdienstleistungen von Wagniskapitalfonds, Private Equity Fonds. Insofern dürfte Zurückhaltung geboten sein. Die Frage, ob auch Managementdienstleistungen von Wagniskapitalfonds von der unionsrechtlichen Steuerbefreiungsnorm umfasst sind, war nicht Gegenstand der Entscheidung. Der EuGH hat in dem Urteil durch Verweis auf eine Vielzahl von früheren Entscheidungen immerhin erneut bekräftigt, dass es das Ziel der Befreiung der Umsätze im Zusammenhang mit der Verwaltung von Sondervermögen ist, Kleinanlegern die Geldanlage in Investmentfonds zu erleichtern. Ergänzend kommt hinzu, dass der EuGH als eine (weitere) Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung auf Fonds, die nicht unter die OGAW-RL fallen, nennt, dass sie den gleichen Anlegerkreis ansprechen müssen wie die Fonds, die unter die OGAW-RL fallen. Der Kleinanlegergedanke ergibt sich damit auch aus der OGAW-RL und dem notwendigen Schutz der Kleinanleger, die in solche Organismen investieren.