BFH-Urteil v. 24.10.2013, V R 31/12, Sollbesteuerung und Steuerberichtigung

Praxisproblem

Im Rahmen der sogenannten Sollbesteuerung müssen Unternehmer umsatzsteuerrechtlich ihre Leistungen für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung versteuern. Unbeachtlich ist, ob die Vergütung – bestehend aus Entgelt und Steuerbetrag – von dem Unternehmer zu diesem Zeitpunkt bereits vereinnahmt worden ist. Gemäß § 17 UStG entfällt die Vorfinanzierung der Umsatzsteuer erst dann, wenn der Entgeltanspruch vom Unternehmer nicht durchgesetzt werden kann. Abweichend ist dies bei der Istbesteuerung, zu welcher jedoch nur kleinere Unternehmen und nicht bilanzierende Freiberufler berechtigt sind. Bei der Istbesteuerung entsteht der Steueranspruch erst für den Voranmeldungszeitraum der Entgeltvereinnahmung, demzufolge werden solche Liquiditätsnachteile von vornherein vermieden.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG und im Bereich Oberflächentechnik tätig. Für das Streitjahr 2007 gab die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärung ab, in welcher sie Sicherheitseinbehalte für mögliche Baumängel nicht als bereits bei der Leistungserbringung zu versteuerndes Entgelt berücksichtigte. Für die Leistungen bestanden Gewährleistungsfristen von zwei bis fünf Jahren. Bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist waren die Kunden vertraglich zu einem Sicherungseinbehalt von 5 % bis 10 % der Vergütung berechtigt. Die Klägerin hätte den Einbehalt nur durch Bankbürgschaft abwenden können, war aber nicht in der Lage, entsprechende Bürgschaften beizubringen.

Seitens des FA und des FG war die Klägerin im Rahmen der Sollbesteuerung verpflichtet, ihre Leistung auch im Umfang des Sicherungseinbehalts zu versteuern. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung liege eine Uneinbringlichkeit nicht vor, da die Kunden keine Mängelansprüche geltend gemacht hätten.

Der BFH hob das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Entscheidung

Der BFH entschied, entgegen der Auffassung von FA und FG, dass die Klägerin im Umfang der Sicherungseinbehalte zu einer Minderung wegen Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berechtigt sein kann. Zum Umfang und den Voraussetzungen dieser Sicherungseinbehalte sind aber noch weitere Feststellungen zu treffen.

Die Umsatzsteuer als indirekte Steuer soll den Unternehmer nicht belasten. Mit diesem Charakter der Umsatzsteuer ist eine Vorfinanzierung für einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht zu vereinbaren. Bei Unternehmen, die der Sollbesteuerung unterliegen, ist die Vorfinanzierung der Umsatzsteuer über mehrjährige Zeiträume, im Verhältnis zur Besteuerung der Unternehmer, die der Istbesteuerung unterliegen, mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar.

Der Begriff „Uneinbringlichkeit“ muss daher so ausgelegt werden, dass er auch dazu dient, die Besteuerungsgleichheit zwischen den Besteuerungsformen der Soll- und Istbesteuerung zu gewährleisten. Von einer Steuerberichtigung nach § 17 UStG ist demnach bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung auszugehen. Uneinbringlich i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist ein Entgelt, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann. Von Uneinbringlichkeit ist dann auszugehen, wenn der Leistende sein Entgelt für seine bereits erbrachten Leistungen aus Gründen, die bereits bei Leistungserbringung vorliegen, für einen Zeitraum über zwei bis fünf Jahre nicht vereinnahmen kann.

Eine Verpflichtung zu einer mehrjährigen Vorfinanzierung der Umsatzsteuer wäre mit Blick auf die dem Unternehmer zukommende Aufgabe, „öffentliche Gelder“ als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ zu vereinnahmen, unverhältnismäßig. Ob dies auch für andere Fallgestaltungen wie etwa die Lieferung im Rahmen von Leasingverhältnissen zu gelten hat, war im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine Feststellungen zu der Frage getroffen, in welchem Umfang die Klägerin aufgrund der Sicherungseinbehalte Entgelte nicht vereinnahmen konnte. Konnte sie vertraglich eine vollständige Zahlung bereits mit der Leistungserbringung für den Fall beanspruchen, dass sie durch Bankbürgschaft die Gewährleistungsansprüche ihrer Leistungsempfänger sicherte, ist es auch relevant, ob ihr eine derartige Bürgschaftsgestellung möglich war. Es bleibt ebenfalls zu prüfen, ob die Klägerin im Streitjahr eine Steuerminderung für in Vorjahren erbrachte Leistungen geltend gemacht hat, die dann aber nur zu einer Berichtigung im Jahr der Leistungserbringung führen könnte.

Praxishinweis

Das Urteil hat keinerlei Auswirkungen in den Fällen, in denen Kunden ihren vollen Rechnungsbetrag beglichen haben, sowie in den Fällen, in denen der Sicherheitseinbehalt durch eine Bankbürgschaft abgesichert ist.