FG Münster, Urt. v. 16.01.2014, 5 K 3930/10 U, Neues zur steuerfreien Ausfuhrlieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts

Praxisproblem

In der Praxis schließen oft mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und der Gegenstand gelangt von dem ersten Lieferer unmittelbar an den letzten Abnehmer. Umsatzsteuerlich spricht man von einen sog. Reihengeschäft. Es finden in einem Reihengeschäft so viele Lieferungen wie Umsatzgeschäfte statt. Aufgrund der Tatsache, dass hierbei lediglich eine Warenbewegung vollzogen wird, kann die Beförderung oder Versendung in einem Reihengeschäft lediglich einer der Lieferungen zugeordnet werden. Demgemäß kann nur eine Lieferung unter den Voraussetzungen des § 6 UStG als Ausfuhrlieferung steuerfrei sein. Bei den anderen Lieferungen handelt es sich um ruhende Lieferungen.

Problematisch ist die Zuordnung der Warenbewegung zu einer Lieferung im Reihengeschäft, wenn der mittlere Unternehmer/ein Zwischenhändler den Gegenstand befördert oder versendet.

Sachverhalt

Die Klägerin verkaufte im Streitjahr 2008 Handys an eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft, die diese ihrerseits an Abnehmer in Dubai veräußerte. Die britische Gesellschaft beauftragte ein Beförderungsunternehmen mit dem Transport der Handys nach Dubai. Die in Großbritannien ansässige Gesellschaft trat mit ihrer britischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auf. Die Handys wurden auch tatsächlich nach Dubai verbracht. Diesen Vorgang behandelte die Klägerin als steuerfreie Lieferung, da sie davon ausging, dass sie die Handys im Rahmen eines umsatzsteuerbefreiten Reihengeschäfts umsatzsteuerbefreit – als bewegte Lieferung – und damit als steuerbefreite Ausfuhrlieferung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 Abs. 1 UStG geliefert habe. Das beklagte Finanzamt geht hingegen davon aus, dass die Lieferung an die britische Gesellschaft als sog. unbewegte Lieferung in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sei.

Entscheidung


Das FG wies die Klage ab und entschied, dass die streitbefangene Lieferung der Klägerin nicht steuerfrei sei. Bei dem vorliegenden Reihengeschäft wäre die Warenbewegung nicht der Lieferung der Klägerin, sondern ausgangsseitig der Lieferung des mittleren Unternehmers an seinen Abnehmer zuzuordnen. Somit habe die Klägerin eine (nicht-warenbewegte) ruhende Lieferung erbracht, welche gem. § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG in Deutschland steuerbar und – mangels einer Befreiungsvorschrift – auch steuerpflichtig sei.

Die von der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 16.12.2010, C–430/09, Euro Tyre Holding und Urt. v. 27.09.2012, C-587/10, VSTR) sowie des BFH (Urt. v. 11.08.2011, V R 3/10 und Urt. v. 28.05.2013, XI R 11/09) entwickelten Grundsätze seien zwar zu innergemeinschaftlichen Lieferungen innerhalb der Europäischen Union ergangen, aber auf Ausfuhrlieferungen in Drittstaaten zu übertragen. Nach Auffassung des FG Münster habe der mittlere Unternehmer die Handys als Lieferer im Sinne von § 3 Abs. 6 S. 6, 2. Alt. UStG versendet. Die widerlegbare Vermutung in § 3 Abs. 6 S. 6, 1. Alt. UStG hält das FG in diesem Fall nicht für einschlägig. Für die erforderliche Abgrenzung zwischen den beiden Alternativen komme es nach Auffassung des erkennenden Senats auf die Verpflichtung und Absichtsbekundung des Zwischenerwerbers an, den Liefergegenstand befördern oder versenden zu wollen.

Nicht allein maßgeblich sei, wer den Transport der Ware tatsächlich veranlasst oder die Gefahr und/oder Kosten des Transports trage. Ebenso soll die verwendete Umsatzsteueridentifikationsnummer des Zwischenerwerbers allenfalls ein Indiz darstellen. Die Beantwortung der Frage, wem die bewegte Lieferung zugerechnet werden müsse, hänge vielmehr von einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ab. Ein wichtiges Indiz für die Frage, welchem Umsatzgeschäft die Warenbewegung zuzurechnen sei, sei, ob der Zwischenerwerber dem Ausgangslieferanten mitgeteilt habe, dass er die Ware bereits vor der Beförderung oder Versendung an einen Endabnehmer weiterverkauft habe. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass aufgrund einer derartigen Mitteilung für den Ausgangslieferanten erkennbar ist, dass die Beförderung oder Versendung nicht seiner Lieferung zuzurechnen sei. Das FG Münster führt weiter aus, dass der BFH zwar in seinem Urteil vom 28.05.2013, XI R 11/09, BFH/NV 2013, 1524 (Nachfolgeurteil zu EuGH vom 27.09.2012, C-587/10 -VStR-, ABL EU 2012 Nr. C 366, 9) entschieden habe, dass die Zuordnung der bewegten Lieferung davon abhängen soll, ob und wann dem letzten Erwerber die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, übertragen worden ist. Der erkennende Senat hält diese Entscheidung des BFH für problematisch und folgt ihr indes nicht. Vielmehr folgt es im konkreten Fall der Rechtsauffassung des 5. Senats des BFH aus seinem Urteil vom 11.8.2011, V R 3/10, BFH/NV 2011, 2208 und hält diese für maßgeblich.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der derzeit ungeklärten Frage zur Zuordnung der Warenbewegung bei Beförderung oder Versendung durch einen mittleren Unternehmer im Reihengeschäft zuzulassen.

Praxishinweis


Bei einem Reihengeschäft, bei dem die Ware unmittelbar vom ersten Lieferanten an den letzten Abnehmer gelangt, kann nur eine der Lieferungen die bewegte und damit steuerfreie Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftliche Lieferung sein. Daher ist die richtige Zuordnung der warenbewegten Lieferung von erheblicher Bedeutung, da es bei einer falschen Beurteilung zu einer späteren Steuerbelastung kommen kann.

Die vorgenannte Rechtsprechung des EuGH und BFH haben Zweifel an der bestehenden Verwaltungsauffassung in Abschn. 3.14 UStAE und der Unionsrechtskonformität des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG hervorgerufen und in der Praxis für viel Verunsicherung gesorgt.

Die Finanzverwaltung hat die Entscheidungen noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung eine praxistaugliche und klare Regelung für die Handhabung in Deutschland entwickeln wird. Das Verfahren des FG Münster hingegen ist lediglich insoweit dienlich, als das nunmehr ein Revisionsverfahren beim BFH möglich ist, in welchem die vielen offenen Fragen aus den vorangehenden Entscheidungen des EuGH und BFH nunmehr auch für die Ausfuhr geklärt werden können.